TSV 1860 München:"Laufen, Fußballspielen, Schnauze halten"

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Die Schüler und ihr neuer Lehrmeister: Daylon Claasen (l.) und Milos Degenek, der bei Möhlmanns erstem Pflichtspiel als 1860-Trainer gelbgesperrt fehlt. (Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Vor seinem ersten Spiel als Trainer von 1860 moderiert Benno Möhlmann geschickt alle Probleme.
  • Seine Defensive muss er gegen den KSC umbauen - Rodnei und Degenek fallen aus.

Von Philipp Schneider

Wie er sich so fühle, will Vereinssprecherin Lil Zercher von Benno Möhlmann nun wissen. Es sei ja sicher selbst für einen erfahrenen Trainer wie ihn keine alltägliche Situation, so eine erste Löwenrunde mit den Journalisten? Und dann noch am Tag vor seinem ersten Spiel als Löwentrainer? "Yoah gut", brummt Möhlmann, dann beugt er seinen Oberkörper nach vorne in Richtung des im kleinen Löwen-Pressestüberl traditionell nicht eingeschalteten (da mangels weitem Raum nicht notwendigen) Mikrofons und fragt: "Aber das geht ja jetzt hier bestimmt ganz locker ab, oder?" Geht es dann tatsächlich. Erstaunlicherweise.

Zwölf Tage ist es her, dass Möhlmann sein Amt angetreten hat beim TSV 1860 München. Einem Fußball-Zweitligisten, den zu diesem Zeitpunkt, nach der Beurlaubung von Möhlmanns Vorgänger Torsten Fröhling, nicht wenige Beobachter schon nach nur zehn Spieltagen als Favoriten für die zwei unbeliebten Abstiegsplätze ausgemacht hatten. Doch vermutlich hätten sich nicht einmal die Führungskräfte des Vereins, die ihn holten, vorstellen können, wie locker es zugehen würde mit ihrem neuen Übungsleiter Möhlmann. Hatte der 61-Jährige aus Lohne schon in den vergangene Tagen alle Personalschwierigkeiten im Mittelfeld ("Na und? Sechser kann doch jeder spielen. Das ist doch die einfachste Aufgabe.") mit norddeutsch knarzendem Humor klein geredet, so erreichte seine Krisenmoderation am Tag vor dem Heimspiel gegen den Karlsruher SC an diesem Montag (20.15 Uhr) eine ungeahnte Dimension der Lockerheit.

Seit Sonntag nämlich steht fest, dass nicht nur der etatmäßige Abräumer Milos Degenek nach seiner fünften gelben Karte gegen den KSC fehlen wird. Inzwischen ist auch klar, dass mindestens ein Spieler auf einer Position fehlt, die garantiert nicht jeder spielen kann: in der Innenverteidigung. Rodnei, jener bullige Brasilianer, dessen Vorzüge Fröhling erst sehr spät lieb gewann, fällt wohl wegen Verstimmungen im Magen-Darm-Trakt aus. Genau wie der schon länger vermisste Kai Bülow. Möhlmann bleibt also nichts anderes übrig, als Sertan Yegenoglu, 20, aus der U21 zu berufen. Beim ehemaligen U21-Trainer Fröhling gehörte die Jugendförderung zum Konzept. Möhlmann dagegen handelt nun auch aus der Not. "Yegenoglu hat einen guten Eindruck hinterlassen. Ob er endgültig spielt, werden wir noch sehen", sagt der Trainer: "Oder ob wir innerhalb der Mannschaft positionsmäßig umstellen."

Diese innermannschaftliche Operation wäre ein waghalsiges Manöver. Eines also, das dem alten Fahrensmann im deutschen Profifußball gefallen würde. Denkbar wäre, Rechtsverteidiger Gary Kagelmacher in die Mitte zu ziehen. Dann müsste der wendige, wenngleich körperlich nicht robuste Feinfuß Daylon Claasen verteidigen. Selbstredend kommentierte Möhlmann die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios nicht. Er wolle das "so beibehalten", sagte er in seiner ersten Löwenrunde, "dass wir nicht immer über die Aufstellung reden müssen". Er habe es "ganz gerne, wenn die Spieler erst im letzten Moment erfahren, ob sie spielen". Und noch viel lieber hätte es Möhlmann sicher, wenn Öffentlichkeit und Gegner noch etwas später als im letzten Moment die Aufstellung erfahren. Da passte es ins Bild, dass er auch erst am Spieltag seine Entscheidung bekanntgeben möchte, ob er Vitus Eicher (bislang neun Einsätze) oder Stefan Ortega (ein Einsatz) als Torwart vertraut.

Wer aber dachte, dass sich Möhlmann aus den genannten Gründen der strategisch notwendigen Geheimniswahrung als Freund des sogenannten Geheimtrainings - das auch am Sonntag mal wieder vonstatten ging - erwiesen hat, der sah sich getäuscht. Erforderlich sei die optische Abschottung der Mannschaft, um in aller Ruhe und ungestört "Dinge zu üben, wo die Jungs doof aussehen können". Als Problem sieht Möhlmann also gar nicht so sehr das fußballerische Unvermögen mancher Spieler bei Sechzig an. Als Problem hat er die Gefahr ausgemacht, die Spieler könnten bei Ausübung ihrer spielerisch unvermögenden Übungen beobachtet werden. In der Hoffnung natürlich, dass sie bis Montagabend dazugelernt haben, wenn sie in der Arena vor Publikum auflaufen müssen; eine feingeistige Argumentation war das, auf die wohl nur einer kommen kann, der schon 1080 Ligapartien als Trainer oder Spieler erlebt hat.

Fantasievoll umschiffte Möhlmann vor seinem ersten Spiel als Sechzig-Trainer auch alle Fallen, die ihm manch ein Journalist mit weit weniger als 1080 Pflichtspielen zu stellen gedachte. Ob er noch mal mit seinem Vorgänger Fröhling telefoniert habe? "Drei oder viermal. Aber nur um zu besprechen, wohin ich seinen Aschenbecher stellen soll." Ob er sich nicht manchmal wünsche, dass die vielen braven Spieler im Kader etwas lauter wären? "Das ist noch nicht optimal, muss man versuchen hinzukriegen. Aber erst mal sollen sie Laufen, Fußballspielen, Schnauze halten."

Und ganz besonders einfallsreich verhinderte es Möhlmann auszusprechen, was bei 1860 längst jeder weiß: Dass nämlich der Kader im Sommer unzureichend zusammengestellt wurde. Er sagte nur: "Ich werde im Moment keine neuen Spieler fordern. Aber ich muss sehen, ob alle wieder fit werden."

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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