TSV 1860 München:"Ich wusste nicht, dass es hier einen weiteren Fußballverein gibt"

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Investor Hasan Ismaik (rechts) und Präsident Peter Cassalette (l.) stellen den Engländer Ian Ayre als neuen Geschäftsführer des Zweitligisten TSV 1860 München vor. (Foto: dpa)
  • Ian Ayre, der neue Geschäftsführer aus England, will den TSV 1860 München zurück zu alter Größe zu führen.
  • Bei seiner Vorstellung gibt er gleich mal dem FC Bayern eins mit.
  • Ansonsten klingen Ayres Aussagen wesentlich realistischer als die von anderen 1860-Protagonisten.

Von Christoph Leischwitz, München

Von einem Schwarz-Weiß-Foto blickte Peter Grosser skeptisch in Richtung des provisorisch aufgebauten Podiums. Dort rief Peter Cassalette, der Präsident des TSV 1860 München, am Montag nicht weniger aus als einen "historischen Moment". Grosser, der Kapitän der historischen Meistermannschaft der Löwen von 1966, starrte von der Wand aus mit der Schale über dem Kopf hinüber zu Ian Ayre, dem neuen Boss aus England, der nicht weniger vorhat, als den TSV 1860 zurück zu alter Größe zu führen.

Es war kein Zufall, dass der Fußball-Zweitligist den neuen Geschäftsführer im ehrwürdigen Grünwalder Stadion vorstellte. Ihn an solch einem Ort zu präsentieren, das ist so, als würde die SPD den Wahlkampf-Auftakt in einer früheren Kohlezeche feiern: Das eigene Image soll über die Nostalgie aufgefrischt werden. Nun war der 53 Jahre alte Ayre zwar bis vor Kurzem kein Sechzig-Fan, aber im Gegensatz zu anderen wichtigen Figuren im Verein besitzt er einen fußballerischen Hintergrund.

Er ist nach eigener Aussage 1000 Meter entfernt von der Anfield Road aufgewachsen, an der das Stadion des FC Liverpool steht. Zehn Jahre lang hat er zuletzt als Vorstandschef der "Reds" gearbeitet, und er hat diesen großen Verein ein Stück weit deutsch gemacht: durch die Verpflichtungen von Emre Can und Trainer Jürgen Klopp.

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Sein Name wird "air" ausgesprochen - "wie die Luft, die wir atmen"

Jetzt geht Ayre selbst nach Deutschland, in die zweite Liga. Die Historie von 1860 sei ein Grund gewesen, auf der Suche nach einer "neuen Herausforderung" hierher zu kommen, sagt Ayre. Sein Name wird übrigens "air" ausgesprochen, "wie die Luft, die wir atmen", sagte er auf Englisch.

Geholt wurde Ayre von Löwen-Investor Hasan Ismaik, schon vor einem Jahr war die Idee geboren worden. Ayre löst nun den studierten Maschinenbauer Anthony Power ab, der vor seinem 1860-Intermezzo nichts mit Fußball zu tun hatte und jetzt im Ismaik-Umfeld in die zweite Reihe rückt.

Blitzlichtgewitter: Ayre trifft ein paar Minuten zu früh an der Stadiongaststätte ein, er unterhält sich erst einmal mit Cassalette und Power. Er muss noch warten, denn Ismaik lässt sich entschuldigen, er wird sich verspäten. Kurz schweift Ayres Blick über das Spielfeld. Kürzlich hatte der Investor Ismaik den Emanzipierungsprozess weg vom FC Bayern mal wieder zum Thema gemacht, indem er sagte, er wolle das Sechzgerstadion, wie die Fans es nennen, umbauen und erheblich vergrößern lassen (dass die Stadt, der das Stadion gehört, dabei mitmacht, gilt als ausgeschlossen).

Es wird bei dieser ersten Vorstellung schnell klar, dass der überpünktliche Ayre dieselben Ziele hat wie der unpünktliche Ismaik - er verpackt sie nur anders. Oft wirkt er dabei wie ein PR-Experte, fast schon langweilig. Aber das ist womöglich etwas Gutes, etwas, was der zuletzt so unruhige Verein gebrauchen kann: leisere, realistischere Töne. Ayre sagt also nichts von einem Stadion mit 50 000 Zuschauern und angeschlossenem Löwenkäfig, er schreit auch nicht von einem Balkon herunter wie Trainer Vitor Pereira bei seinem Amtsantritt im Dezember: "Ich werde euch an die Spitze führen!"

Ayre sagt Sätze wie: "Es ist doch das Ziel jedes Zweitligisten, so schnell wie möglich in der ersten Liga zu spielen." Obendrein hat Ayre auch seine Fan-Hausaufgaben schon gemacht. "Ich wusste nicht, dass es in dieser Stadt einen weiteren Fußballverein gibt", sagt er. Dem FC Bayern eins mitgegeben - check. "Wenn der Größte immer der König wäre, wäre der Elefant König des Dschungels, nicht der Löwe", sagt Ayre. Das Wort Löwe eingebaut - check.

Seine Hauptaufgabe besteht darin, einen Kader zusammenzustellen, der Aufstiegspotenzial besitzt. Dass dieser Kader, mit Hilfe des Geldes von Ismaik, im Sommer einen Umbruch erfahren würde, war ohnehin zu erwarten. Und auch, wenn es zuletzt in Liverpool Kritik an seiner Transferpolitik gab und Deals mit Spielern wie Henrikh Mkhitaryan offenbar kurzfristig platzten, so scheint Ayre doch genug Beziehungen mitzubringen, um einen Zweitligisten konkurrenzfähig zu machen. Das Geschäft laufe überall gleich, versichert er; er habe überdies auch in Liverpool mit Investoren zusammen gearbeitet. Und wenn es passieren sollte, dass in Gesprächen mit Trainer Pereira der Name eines Liverpooler Spielers falle, dann habe er ja zumindest schon mal die Telefonnummer.

Am Ende sprach er über die Außendarstellung des Klubs in den vergangenen Monaten, über den Streit mit verschiedenen Zeitungen. Man brauche gute Beziehungen zu Fans und Partnern. Er wolle einen Klub, der nach außen mit einer Stimme spricht und wie eine Familie auftritt: "Das funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten." Was immer das hinter dem diplomatischen Code heißen mag: Ayre hört sich so an, als ob bei 1860 bald wieder rationalere Entscheidungen getroffen werden.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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