Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins:Und auf einmal knallt der Korken

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Zwölf oder dreizehn Pints im Pub: Der souveräne Sieg des Briten Bradley Wiggins bei der Tour de France beruht auch auf einer komplizierten Familiengeschichte zwischen Alkoholismus und Spielkasinos - und sie wirft Fragen auf.

Andreas Burkert, Chartres

Bradley Wiggins wankt, ihm sei schummrig, sagt er seinen Leuten. Es kommt eben alles zusammen, die Anstrengung, die Emotionen, sein Weg. Aber es geht dann bald wieder, obwohl ihm das Durcheinander auf der Avenue Jean Mermoz in Chartres nicht behagt. "Ich bin noch Bradley Wiggins", wird er später sagen: "Abends fahre ich heim und muss den Hunde- und Pferdemist wegmachen."

"Ich habe kein Celebrity-Leben": Tour-Sieger Bradley Wiggins. (Foto: AP)

Allerdings ist dieser Bradley Wiggins, 32, jetzt ein Toursieger, der erste britische zumal, und in seiner Heimat, die ja im Fußball nie etwas gewinnt, ist das eine große Sache. Man sieht das auch nach dem Zeitfahren von Chartres, das Wiggins deutlich gewonnen hat. Im Chaos am Camper seines Sky-Teams stehen britische TV-Reporter im Nadelstreifenanzug und wundern sich, dass französische Rentner und Dreikäsehochs ihr Terrain verteidigen.

Er habe die größte sportliche Leistung eines Briten erreicht, ruft ihm nach der Siegerehrung ein Reporter zu: Wie er das sehe? Wiggins sieht das nicht so. Er sagt, er werde sich nicht ändern. "Ich habe kein Celebrity-Leben, so viel britische Kultur ist auf Leuten aufgebaut, die nichts tun."

Es ist eine ungewöhnliche Geschichte, die Wiggins zu erzählen hat; die Geschichte eines blassen Typen, der auf Paul Wellers Musik und Stil steht und der seinen größten Erfolg wohl auch deshalb feiert, weil er dem Vater etwas beweisen wollte. Nur staunt Gary Wiggins jetzt nicht. 2008 fand man ihn übel zusammengeschlagen in seiner Heimat Aberdeen, Australien. Ein paar Stunden später war er tot.

In den Siebzigern drehte Gary Wiggins im Sechstage-Zirkus seine Runden, sie nannten ihn den "Doc". Weil er immer Medikamente dabei hatte, die ihn und Kollegen bei den Rennen in den verrauchten Hallen wachhielten. Gary war ein Dealer, manchmal schmuggelte er Aufputschmittel in Bradleys Windeln. Der Junior war in Gent zur Welt gekommen. Zwei Jahre später verließ Gary den Sohn und Linda, seine englische Frau, die er in einem Nachtklub in Manchester kennengelernt hatte. Die Zwei zogen zurück von Belgien nach London, und in Chartres hat Bradley Wiggins jetzt wieder diesen Weg vor Augen, die Bilder, "wie ich mit Mum in der kleinen Wohnung" lebte, in Kilburn im Nordwesten Londons: Arbeitergegend. "Kinder aus Kilburn werden gewöhnlich kein Tour-Favorit", hat er im Frühjahr erzählt: "Du wirst eher Milchmann, Postbote oder arbeitest im Spielsalon." Dort begann sein Weg.

Denn Bradley eiferte dem Vater nach, er kopierte den Mann, zu dem der Kontakt abriss. Er schaut im Fernsehen die Tour, im Zimmer hingen Poster von Miguel Induraín, der fünfmal gewann. Bradley selbst fährt Rennen im Hyde Park, Sechstagerennen bei den Junioren, er startet für denselben Verein, für den auch Gary Wiggins fuhr, den Archer Road Club. Mit 18 zieht er nach Manchester, zur nationalen Bahnfahrer-Elite, mit 20 nach Nantes, das Straßenteam FdJ nimmt ihn unter Vertrag. Aber der Bahn ordnet er alles unter, mit Erfolg: Olympiasieger in der Verfolgung 2004 und 2008. Dazwischen verwandelte er sich in den Sohn des Säufers Gary Wiggins. Mit 24 Olympiasieger, das verkraftete er nicht.

In seiner Autobiografie ("In Pursuit of Glory", 2008) schreibt er: "Nach den Spielen 2004 fühlte ich mich wie die Champagnerflasche, die geschüttelt wird. Und auf einmal knallt der Korken." Und alles ist raus. Er soff im Pub, zwölf, 13 Pints. Bis 2007 Ben zur Welt kam, sein Sohn. Es kam noch eine Tochter hinzu. "Kinder verändern dich", sagt er. "Ich veränderte mich."

Finale der Tour de France
:Bunte Schafe für Bradley Wiggins

Schon im Zeitfahren am Samstag hatte sich der Brite Bradley Wiggins den Tour-Sieg gesichert, die finale Etappe am Sonntag wird so zum Schaufahren. Viele Fotos werden geschossen, dazu gibt es Champagner - nur ein paar Schafe stören den Betriebsablauf.

Die Schlussetappe in Bildern

Wie viel von seinem Vater jetzt in ihm steckt? Viel und doch nichts, das hat Wiggins während der Tour mehrmals betont. Er trinke ja kaum noch Alkohol, höchstens etwas Wein; die Kohlenhydrate des Biers passen nicht in den peniblen Ernährungsplan. Und von Doping distanziert er sich seit Jahren, in dem Buch beschimpft er Betrüger als "Idioten! Bastarde!". 2007, bei seiner zweiten Tour, stieg sein Team Cofidis aus wegen eines Dopingfalls. "Auf dem Flughafen von Pau warf ich mein Cofidis-Trikot in den Müll und schwor mir, nie wieder darin zu fahren, weil ich einfach krank war von dem, was passiert war."

Es sind nicht die Cofidis-Episode oder die DNA des Vaters, die nun Fragen aufwerfen. Der Radsport ist der Grund. Wiggins erwähnt dessen Probleme in Chartres selbst. Ob das nicht eine langweilige Tour war, wird er gefragt. Wiggins und Sky kontrollierten ja unspektakulär und doch dominant das Rennen und zudem auch die einzige Gefahr für den Kapitän: Teamkollege Chris Froome, in Chartres wie in Paris Zweiter. Wiggins entgegnet, er habe früher auch gern die Pantanis geliebt, Ausreißer, die 220 Kilometer durch die Berge rasten. "Aber das ist nicht mehr realistisch, es sei denn mit ein paar Litern Blut extra. Wahrscheinlich ist die Tour jetzt menschlicher."

Der Wandel zum seriösen Radsport-Enthusiasten, vom Bahnfahrer zum Toursieger, der 2012 auch Paris-Nizza, bei Romandie und Dauphiné gewann, das wäre demnach Wiggins' Weg. Der Weg eines Perfektionisten, dessen Teamerfolg durch wissenschaftliches Training zustande kam; der zehn Kilo abnahm, damit aus dem 4000- Meter-Verfolger ein Mann für fast 4000 Kilometer werden konnte. Vielleicht bleibt der Mod mit den Koteletten ja auch ein One-Hit-Wonder, dem die Strecke lag und Konkurrenz wie Alberto Contador (gesperrt) und Andy Schleck (verletzt) fehlte.

Dennoch würde man gern wissen, was es mit mutmaßlich bei Institutionen des Sports vorhandenen Informationen auf sich hat, Wiggins habe angeblich Kontakte zum lebenslang gesperrten Lance-Armstrong-Arzt Luis Del Moral (Valencia) gehabt. Wiggins' einstige Bezugsperson Matthew White, ein australischer Sportchef, musste 2009 das Team Garmin verlassen, weil er einen Profi ohne Rücksprache zu Del Moral geschickt hatte. Bradley Wiggins fuhr 2009 für Garmin. Er verblüffte damals erstmals, als Tour-Vierter.

Das in der Öffentlichkeitsarbeit sehr offensive Team Sky hat während der Tour über PR-Mann Dario Cioni, einen früheren Profi, mehrmals eine Antwort zur Del-Moral-Frage zugesichert. Sie kam nicht.

Doch Wiggins wankt nicht. Er ist auf dem Weg. Er führt ihn nun zurück nach London. Am 1. August will er Olympiagold im Zeitfahren holen.

© SZ vom 23.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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