Tour de France:Schwere Stürze überschatten Königsetappe

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Der Mitfavorit Richie Porte wird auf einer Trage abtransportiert, nachdem er unkontrolliert in eine Felswand gerauscht ist. (Foto: AFP)
  • Die 9. Etappe der Tour de France wird von vielen Stürzen überschattet. Am schlimmsten erwischt es Richie Porte.
  • Die schlimmen Bilder werden nur kurz von einem bewegenden Moment verdrängt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Tour de France.

Von Johannes Knuth, Chambéry

Manchmal ist der Radsport schwer zu ertragen, der Sonntag bei der Tour de France war so ein Fall. Sieben Mal ging es steil rauf, sieben Mal teils gefährlich steil wieder runter, bei 80 Stundenkilometern auf nassen, teils schlecht befestigten Straßen - das konnte eigentlich nicht gut gehen. Es ging nicht gut.

Am schlimmsten traf es Richie Porte, die Bilder von seinem Sturz waren kaum zu fassen: Wie er in der Abfahrt vom Mont du Chat gegen die Felswand klatschte, wie sie ihn wegschafften, mit einer Halskrause. Der Australier sei bei Bewusstsein gewesen, teilte sein Team BMC mit, so wie später am Abend die Diagnose: Porte, 32, brach sich Schlüsselbein und Becken.

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Aber selbst diese drastischen Bilder wurden, wie so oft in diesem Sport, am Ende von bewegenden Momenten verdrängt. Und zwar, als sich eine kleine Gruppe um den Gesamtführenden Christopher Froome auf die Zielgerade schob, aber nicht Froome gewann, auch nicht Warren Barguil - der erst den Arm in den Himmel reckte, wenige Minuten später aber feststellte, dass der Kolumbianer Rigoberto Uran, 30, die Ziellinie um Millisekunden früher erreicht hatte. "Damit hätte ich nie gerechnet", sagte Urán. Bei Portes Sturz sei seine Schaltung beschädigt worden, sagte er, "und ich habe ja auch noch nie bei der Tour gewonnen." Er war ein ungewöhnlicher Sieger einer ungewöhnlichen, dramatischen Etappe. Auch wenn sich die Dramatik nicht aus jenem Stoff speiste, den die Veranstalter erhofft hatten.

Königsetappen sind eigentlich den Pyrenäen oder Alpen im späteren Verlauf der Tour vorbehalten, die Rundfahrt steuert dort in diesem Jahr allerdings nicht ganz so viele Berge an. So kam bereits die neunte Etappe im Jura-Gebirge zwischen Nantua und Chambéry am Sonntag zu der Ehre, als Königsetappe gehandelt zu werden. Drei lange, steile Anstiege warteten auf die Fahrer, jeweils bis zu zehn Kilometer lang, bis zu 10,5 Prozent steil im Schnitt, alles Wertungen der höchsten Kategorie. Vier weitere Bergwertungen gab es als Zugabe. Die Fallen lagen aber nicht nur in den Anstiegen, sondern auch in den tückischen Abfahrten, wie viele Experten bemerkten, und es dauerte nicht lange, ehe sich die Befürchtungen bewahrheiteten.

Am Col de la Biche stürzte Jesus Herrada und gab auf, einer der wichtigsten Helfer von Froomes Widersacher Nairo Quintana. Auch Froomes Team erlitt Verluste, Geraint Thomas, Sieger des Prologs, erlitt einen Schlüsselbeinbruch. Rafal Majka, die Hoffnung des deutschen Teams Bora-hansgrohe für die Gesamtwertung, stürzte, er fuhr mit Prellungen weiter, verlor am Ende aber mehr als eine halbe Stunde auf Froome. Majkas Helfer, der Ravensburger Emanuel Buchmann, ist im Klassement jetzt 18., mit 8:46 Minuten Rückstand.

Der Aufstieg zum zweiten Berg, dem bis zu 22 Prozent steilen Grand Colombier, verlief vergleichsweise glimpflich, Alberto Contador stürzte, rappelte sich aber wieder auf. Dann folgte das giftigste Hindernis, der Mont du Chat. Froome winkte plötzlich hektisch Richtung Begleitfahrzeug, ein Defekt - just in diesem Moment entwischte Fabio Aru aus Froomes Windschatten und sprang davon. Ein fragwürdiges Manöver, Pannen anderer Fahrer auszunutzen, gilt im Feld als unschicklich. Die Kollegen wollten Aru nicht bei der Tempoarbeit helfen, Froome kroch wieder heran, nachdem er das Rad getauscht hatte. "Ich habe gar nicht gesehen, dass Fabio attackiert hat", sagte Froome später: "Richie scheint den anderen gesagt zu haben: ,Leute, das ist nicht der Moment, um den Gesamtführenden zu attackieren.' Ich kann ihm und den anderen nur danken." Kurz darauf war das Rennen wieder eröffnet, Aru probierte es erneut, Contador fiel zurück, Porte und der Ire Dan Martin attackierten, Froome parierte. Als der Brite selbst erstmals anzog, kam Quintana nicht mit, aber auch Froome kam nicht weg.

Doch dann geriet all das zur Nebensache, als die Gruppe der Favoriten auf der teils schlecht befestigten Abfahrt den Chat hinunter fuhr; am Tag hatte es immer wieder geregnet. Porte rutschte bei Tempo 80 vor einer Linkskurve nach innen zunächst aufs Gras, doch er hatte noch so viel Schwung, dass es ihn wieder auf die Straße katapultierte, da hatte er längst die Kontrolle verloren. Er rauschte voll in die Felswand, die rechts neben der Straße steil in den Himmel ragt. Auch Martin erwischte es, der Ire fuhr aber ins Ziel.

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Der Vorfall dürfte jener Debatte neue Nahrung geben, die schon vor einem Jahr die Tour beschäftigt hatte. Damals kritisierten ein paar Pedaleure den Tour-Veranstalter ASO; die Funktionäre würden zu wenig in die Sicherheit investieren, das war der zentrale Vorwurf. Es ging um riskante Streckenführungen bei Flachetappen, Kollisionen mit Begleitmotorrädern - und waghalsige Bergprüfungen, die einen heroischen Kampf forcieren, der Gesundheit der Fahrer aber nicht zuträglich waren.

Für Froome endete der Tag vor dem ersten Ruhetag der Tour also mit einem Schuss Bitterkeit. Er hatte zum Ende der Etappe alle Ausreißer eingeholt, der Brite konnte seinen Mitstreitern den Tagessieg überlassen, er wusste, dass er das Gelbe Trikot in jedem Fall behalten würde. Und ein paar Widersacher wie Contador (5:15 Minuten zurück) und Quintana (2:13) waren mit viel Verspätung eingetroffen, wobei Aru (0:18) und Bardet (0:51) ihm noch dicht auf den Fersen sind.

Porte hatte Froome auf diese Weise freilich nicht loswerden wollen. "Das war ein richtig schlimmer Sturz", sagte er, "niemand will einen Favoriten so verlieren. Ich hoffe, er erholt sich schnell." Vier Monate wird Porte pausieren müssen, teilte sein Team später mit. Immerhin muss er nicht operiert werden.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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