Tom Brady beim Super Bowl:"Warum wollt Ihr, dass ich aufhöre?"

Lesezeit: 4 min

Schicksalsgemeinschaft: Tom Brady (links) und Bill Belichick nach dem Titelgewinn der New England Patriots im Jahr 2015. (Foto: Matt Slocum/AP)
  • Trainer Bill Belichick und Quarterback Tom Brady können am Sonntag zum sechsten Mal den Super Bowl gewinnen.
  • Kaum ein anderes Trainer-Sportler-Gespann hat einander je so bedingt - und doch könnte es sein, dass dieses Spiel am Sonntag ihr letzter gemeinsamer Auftritt wird.
  • Ihre Methoden sind umstritten.

Von Jürgen Schmieder

George R. R. Martin ist kein Fan der New England Patriots. "Die Lannisters des American Football", so nennt der Autor den Verein, in Anspielung auf eine skrupellose Familie in seiner Erfolgsreihe "Game of Thrones". Der Patriots-Trainer Bill Belichick ist für ihn "der kleine böse Bill". In der Game-of-Thrones-Fortsetzung "A Dance with Dragons" gibt es eine Figur mit dem Namen Belicho; die wird nach erstaunlichen Erfolgen ganz plötzlich von Giganten verspeist - ein Verweis darauf, dass die Patriots im Jahr 2008 von Martins Lieblingsklub, den New York Giants, überraschend im Super Bowl besiegt worden sind.

Wer nicht in Boston geboren oder auf komischen Umwegen im Leben irgendwann zum Patriots-Anhänger geworden ist, der denkt ähnlich über diesen Trainer, der nun zum achten Mal das Endspiel der amerikanischen Profiliga NFL erreicht hat und es in der Nacht auf Montag (00.30 Uhr MEZ / Pro Sieben und Dazn) mit einem Sieg über die Philadelphia Eagles zum sechsten Mal gewinnen könnte. Belichick gilt den meisten als finsterer Lord, der diese Liga gemeinsam mit seinem Schüler Tom Brady beherrscht und seine Macht mit allerhand Tricks sichert, bisweilen auch mit handfesten Betrügereien.

Football
:Tom Brady auf dem Weg zum sechsten Titel

Der 40-Jährige führt die New England Patriots nach einer irren Aufholjagd in den Super Bowl. Er kann nun zum alleinigen Rekordsieger aufsteigen.

Belichick und Brady (der am Sonntag erneut zum wertvollsten Profi der NFL gewählt wurde) kommen bisweilen daher wie Bud Spencer und Terence Hill. Zwei wie Pech und Schwefel, die das Schicksal vor knapp 18 Jahren zusammengeführt hat. Die Geschichte ist bekannt, deshalb nur die Kurzfassung: Belichick schaffte in seiner ersten Saison als Patriots-Cheftrainer eine Bilanz von 5:11, zu Beginn der zweiten, 2001, verletzte sich Stamm-Quarterback Drew Bledsoe, Belichick vertraute Jungspund Brady, den viele selbst als Ersatzmann für unterdurchschnittlich hielten, die Patriots gewannen den Titel und schafften vier weitere Super-Bowl-Siege. Natürlich sind Belichick und Brady für sich betrachtet einzigartig, man kann sie jedoch nicht für sich betrachten, weil sie all die Erfolge gemeinsam erreicht haben. Kaum ein anderes Trainer-Sportler-Gespann hat einander je so bedingt - und doch könnte es sein, dass dieses Spiel am Sonntag ihr letzter gemeinsamer Auftritt wird.

Wenn die Leute darüber sprechen, warum die Patriots seit beinahe zwei Jahrzehnten eine Liga dominieren, deren Regeln auf mittelfristige Ausgeglichenheit ausgelegt sind, dann ist häufig von " The Patriot Way" die Rede. Das ist irreführend, denn in Wirklichkeit ist es " The Belichick Way". Man sollte dabei wissen, dass sich der Trainer meist tatsächlich so benimmt wie Bud Spencer, der zu lange aufs Essen warten muss. Er knurrt kurze Sätze, wimmelt ab, statt zu antworten. Als ihn kürzlich jemand mit einem Witz zum Lachen bringen wollte, zog er kurz die Mundwinkel nach oben und sagte: "Habe ich kapiert."

Belichick, 65, ist bei den Patriots für den kompletten sportlichen Bereich verantwortlich, also auch für die Verpflichtung neuer Spieler. "Es ist ganz einfach", sagt er über Vertragsverhandlungen: "Ich frage den Manager: Will dein Typ den Super Bowl gewinnen oder nicht?" Die meisten Akteure wollen, also nehmen sie Gehaltskürzungen in Kauf.

Typische Belichick-Spieler sind Unverstandene

Typische Belichick-Spieler sind Unverstandene, Unerfüllte, Unbewiesene, die es allen zeigen wollen, sei es zu Beginn ihrer Laufbahn, nach Enttäuschungen anderswo oder gegen Ende der Karriere. Wer nicht spurt, fliegt raus. Wer aufgrund seiner Leistungen mehr Geld will, wird fortgeschickt. Wer von vornherein zu viel verlangt, wird gar nicht verpflichtet. Das klingt banal, doch ist diese machiavellistische Strategie in einer Liga voller egomanischer Akteure und gieriger Berater nur dann möglich, wenn sie mit voller Rückendeckung des Vereins durchgehalten wird. In den vergangenen 18 Jahren kamen und gingen zahlreiche Spieler. Was blieb, war der Erfolg.

Die einzige Konstante in diesem System ist Brady, nach außen hin ein gut aussehender und gut gelaunter Terence-Hill-Typ mit Supermodel-Ehefrau Gisele Bündchen. Er ist jedoch im Alter von 40 Jahren nicht deshalb derart fit, weil er in einen Jungbrunnen geplumpst ist, sondern weil er sich einem mörderischen Fitnessprogramm unterzieht und als einziges Laster angibt, sich hin und wieder ein Löffelchen Avocado-Eis zu gönnen. Brady hat seine Welt derart simplifiziert, dass er nur an Football denken muss - und dabei auch nur an das, was Belichick ihm vorgibt.

Seit dieser Saison allerdings soll es Risse geben in der Beziehung. Brady ist kein Unverstandener, Unerfüllter, Unbewiesener mehr - und er hat das dem Verein offensichtlich auch mitgeteilt.

Brady hält sich für einen Unersetzlichen und hat in dieser Woche verkündet, keineswegs über ein Ende der Karriere nachzudenken: "Warum wollt ihr alle, dass ich aufhöre? Ich habe noch immer Spaß!" Patriots-Besitzer Robert Kraft sagte, allein Brady bestimme über den Zeitpunkt seines Rücktritts. So was sorgt bei Belichick für Bud-Spencer-Grummeln. Er hatte Jimmy Garoppolo als Nachfolger herangezüchtet, doch dann schickten ihn die Patriots auf expliziten Wunsch von Kraft während der Saison zu den San Francisco 49ers. Brady sei daran nicht unbeteiligt gewesen, heißt es, der Gott duldet neben sich keine anderen Götter. Belichick wiederum soll diese Entscheidung erbost haben, weil sich da plötzlich einer für wichtiger hält als das Kollektiv. Eine Abkehr von "The Patriot Way". Es heißt, dass Belichick mit dem Gedanken spiele, den Verein zu verlassen. Darüber wollen Belichick, Brady und Kraft allerdings erst nach dem Finale sprechen.

Viele wünschen Brady und Belichick eine Niederlage

Am Sonntag treten sie noch einmal gemeinsam an, und viele wünschen ihnen eine Niederlage. Ihnen wird vorgeworfen, in der Vergangenheit Gegner ausspioniert und die Luft aus Spielgeräten entfernt zu haben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Es wird auch behauptet, dass der Verein von den Schiedsrichtern bevorzugt würde. Das muss nicht ausgeschlossen sein, allerdings: Belichick gilt als wandelndes Regelwerk-Lexikon, vor jeder Saison befragt er die Referees nach der Auslegung neuer Vorschriften und beauftragt Assistenten, sämtliche Entscheidungen zu analysieren. Wird da einer bevorzugt - oder sorgt er einfach durch penible Vorbereitung dafür, dass er die Pfiffe bekommt, die er bekommen möchte?

Das ist nur ein Beispiel für Belichicks Ehrgeiz, für seine Besessenheit von Details, die sogar seine ärgsten Kritiker respektieren. Selbst George R. R. Martin hat zugegeben, dass er den Patriots-Trainer Belichick nicht ausstehen könne, aber, nur mal so angenommen, ein glühender Verehrer eines Giants-Trainers Belichick würde. Die höchste Form der Anerkennung ist und bleibt nun mal der Neid.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

American Football beim Super Bowl
:Der Fatalismus befeuert Philly

In Philadelphia sind sie zwar Niederlagen ihrer Sportklubs gewohnt - doch vor dem Super Bowl zelebriert die Stadt mit den Eagles ihre Underdog-Mentalität. Dass der beste Spieler ausfällt, könnte sich als unerwarteter Segen erweisen.

Von Jürgen Schmieder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: