Tischtennis:Eine ganze Abteilung im Umzugskarton

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Bundesliga in der Baustelle: Sabine Winter und der TSV Schwabhausen müssen zurzeit viel improvisieren - wichtige Punkte haben sie am Sonntag trotzdem geholt. (Foto: Andreas Liebmann)

Zurzeit spielt der Erstligist TSV Schwabhausen auf einer Großbaustelle. Im Sommer soll damit Schluss sein: Die gesamte Tischtennissparte wird zum TSV Dachau 1865 überlaufen. In ihrer Heimat stieß sie zuletzt immer öfter an Grenzen - und vermisste die Wertschätzung.

Von Andreas Liebmann

Jemand zu Hause? Es ist irritierend dunkel hinter der Glastür. Drinnen, wo sonst die Tickets verkauft werden, steht ein altes Fahrrad vor einer Plane, Kabel hängen von der Decke, ein Streifen Abdeckvlies führt durch den düsteren Vorraum. Wäre nicht am Rande der Hauptstraße ein Transparent aufgestellt gewesen, man würde in diesem Augenblick wohl kehrt machen - falscher Termin offenbar, oder falscher Ort; draußen Container und Bauzäune, drinnen am Eingang stapelt sich Baumaterial. Doch die Glastür lässt sich öffnen. Und hinter der nächsten Tür wird dann tatsächlich um Punkte gekämpft. Sobald man sie aufstößt, hört man die ersten Schreie: TSV Schwabhausen gegen ESV Weil, Kellerduell in der ersten Tischtennis-Bundesliga der Frauen. Genau wie es das Transparent im Ort versprochen hat.

Natürlich hätte man an der Glastür draußen ein Schild anbringen können, "Willkommen in der Bundesliga" zum Beispiel, aber das hätte vor dieser Kulisse wohl unfreiwillig komisch gewirkt.

Es ist das erste Spiel vom Rest ihrer Existenz, so überspitzt kann man wohl formulieren, was da am Sonntag in der kleinen Gemeinde Schwabhausen nordwestlich von Dachau stattfinden sollte. Die erste Bundesligapartie, seit die Tischtennisabteilung vor einigen Tagen bekannt gegeben hat, dass sie im Sommer mit all ihren Mannschaften zum TSV Dachau 1865 übertreten wird, mit Profi-, Amateur- und Nachwuchsteams, Trainern, Fans und Wurstsemmelverkauf. Eine komplette Abteilung kommt dann in einen Umzugskarton. Die benachbarte Kreisstadt, deren Volleyballer vom ASV einst deutsche Meister waren, muss ihn nur noch auspacken, dann wird sie neben dem Poolbillard-Team einen weiteren Erstligisten haben - und Schwabhausen kein Aushängeschild mehr.

Und warum? Zumindest nicht wegen dieser Baustelle, mit der die Abteilung seit Monaten schon klarkommen muss. Die macht nur den Abschied leichter.

Hinter dieser Tür wird nach wie vor um Punkte in der ersten Liga gekämpft. (Foto: Andreas Liebmann)

Der eine Teil der Wahrheit steht in jener Presseerklärung, die die beiden Vereine, der TSV Dachau von 1865 und der TSV Schwabhausen von 1929, am 13. Dezember gemeinsam verschickt haben. Es geht darin um eine "zukunftsweisende Weichenstellung", um "Synergieeffekte" und um eine "ausreichende infrastrukturelle Ausstattung". In Dachau, soll das heißen, kann man sich weiterentwickeln. In Schwabhausen sei man immer mehr "an Grenzen gestoßen", wie Schwabhausens Abteilungsleiter Helmut Pfeil erläutert.

Den anderen Teil der Wahrheit, zumindest wie die Sportler ihn sehen, wollen sie lieber nicht groß thematisieren, denn natürlich bedarf es einer Menge an Frustrationen und Widrigkeiten, bis sich eine komplette Abteilung zu solch einem Schritt durchringt. Doch die Verantwortlichen wollen abschließen mit dem, was war, und nach vorne blicken: Die Unterschrift des Hauptvereins liegt bereits beim Verband, erzählt Pfeil, das ist sportrechtlich nötig, um alle Mannschaften und Ligen mit nach Dachau transportieren zu können. Die Dachauer Sparte sei ähnlich groß wie die eigene, neun Männer-, zwei Jugendteams, keine Frauen. "Einen kleineren Verein aus der Nachbarschaft hätten wir mit unseren Leuten ja überrollt", erklärt Pfeil, so aber soll sich alles zu etwas Großem fügen, mit einem Schwerpunkt in der Nachwuchsförderung. Gespräche darüber gab es seit Ostern.

1975 ist die Tischtennisabteilung des TSV Schwabhausen gegründet worden. Der heutige Teammanager Erich Dengler war damals schon dabei. Ein Jahr später kam Pfeil dazu, mit Unterbrechungen war er fast 35 Jahre lang Abteilungsleiter, 26 Jahre Klubchef, fast so lange wie Heinrich Loder, nach dem die Sporthalle benannt ist. Auch im Gemeinderat saß Pfeil lange. 2015 trat er zurück, als TSV-Vorsitzender und aus dem Gemeinderat, aus gesundheitlichen Gründen, wie er sagt. Es sei wohl auch nicht gesundheitsfördernd gewesen, ständig "gegen Windmühlen zu kämpfen". Schon damals ging es um Sportförderung.

Man kann davon ausgehen, dass Pfeil und Dengler nicht leichten Herzens nach Dachau umsiedeln mit all dem, was sie in fast 50 Jahren hier aus dem Nichts geschaffen haben: einem Bundesligaverein, dessen Nachwuchs nationale und internationale Erfolge feierte. Gut möglich, dass sie sich dafür etwas mehr Wertschätzung erhofft hätten, aber das sagt Pfeil nicht. Er belässt es bei der Aussage, dass es mit der Unterstützung durch die Gemeinde schwieriger geworden sei über die Jahre. Und dass die Alternative gewesen wäre, hier alles "totlaufen" zu lassen.

"Wenn so ein kleiner Ort einen Erstligisten hat, sollte das für ihn doch etwas Besonderes sein."

Eva-Maria Covaciu ist in diesem Verein großgeworden. Mit sechs Jahren hat sie hier begonnen, schaffte es (damals hieß sie noch Maier) bis in die erste Liga. Aktuell würde sie im Drittligateam spielen, wenn sie nicht hochschwanger wäre. Zum Zuschauen ist die 26-Jährige trotzdem da. "Es ist schon traurig, dass wir diesen Schritt gehen müssen", sagt sie. "Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie es ist, für einen anderen Verein zu spielen. Aber ich stehe total hinter dieser Entscheidung." Jeder, mit dem man an diesem Tag spricht, sieht das so. Lange genug habe man zugeschaut, wie alles immer schlechter geworden sei, findet Covaciu, und mit der Baustelle habe sich die Lage zugespitzt. Sie erzählt, wie sie die Platten durch den Matsch zu den Containern nach draußen schieben müssten, wie es die Gegnerinnen für einen Scherz hielten, wenn man ihnen gestehen müsse, dass man hier leider nicht duschen könne. Zurzeit können die Toiletten und Duschen des Vereinsheims gegenüber benutzt werden - die Sanitäranlagen und Umkleiden in der Halle sind entkernt. Im Sommer war die Halle komplett gesperrt, schon da wichen die Aktiven nach Dachau aus. Im nächsten Sommer wird sie wieder geschlossen.

Pfeil äußert sich zurückhaltend, wenn es um den Um- und Anbau der Halle geht, denn auch wenn die Reihenfolge geändert wurde (erst Sanierung bei laufendem Betrieb, dann Anbau), und der Zeitplan nicht ganz gehalten werde, sei das Projekt doch notwendig. Es soll hier auch weitergehen mit Tischtennis, eine Breitensportgruppe ist geplant, und er habe sich sogar bereiterklärt, für diese Abteilungsleiter zu bleiben, erzählt Pfeil.

Mit 6:4 gewinnt Schwabhausen gegen Weil. Es sind wichtige Punkte, um nicht zu tief in den Tabellenkeller zu rutschen. Und sie liefern einen echten Krimi: die Nationalspielerin Sabine Winter, die hier ausgebildet wurde, Alina Nikitchanka, die belarussische Abwehrspielerin mit großem Kämpferherz, dazu die Ungarinnen Mercedesz Nagyvaradi und Orsolya Feher. Man brauche das Profiteam nicht zuletzt, um die aufwendige Nachwuchsförderung zu finanzieren, erklärt Trainer Alexander Yahmed, "das gehört bei uns zusammen". Eine Argumentation, die wohl nie richtig verfangen hat. Nun sieht er im Umzug eine große Chance, künftig mit drei Schulen in unmittelbarer Umgebung noch mehr bewegen zu können in der Jugendarbeit.

Auch Sabine Winter ist voller Zuversicht. Von einem neuen Abenteuer spricht die Nummer eins, vor dem ihr schon deshalb nicht bange sei, weil ja all die netten Leute mitkämen, die sie über die Jahre hier begleitet haben. Im Sommer bei den European Championships in München hat sie die ausverkaufte Rudi-Sedlmayer-Halle noch zum Kochen gebracht im Halbfinale, nun steht sie in dieser Baustelle, vor offiziell 46 Zuschauern, und sagt: "Wenn so ein kleiner Ort einen Erstligisten hat, sollte das für ihn doch etwas Besonderes sein."

Auch das ist so ein Punkt, der hier viele frustriert hat, ohne dass es einen Schuldigen gibt. Als Winter 2019 aus Kolbermoor heimkehrte, haben sie hier einiges versucht, um aus dem familiären Trott auszubrechen und Zuschauer anzulocken. Corona machte alle Ansätze zunichte. Nun spielen sie in ihrer 6000-Einwohner-Gemeinde fast wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Einer der Zuschauer am Sonntag ist Winfried Höser, der Tischtennis-Abteilungsleiter des TSV Dachau. "Sensationell" nennt er den knappen Sieg, und ja: Ein erklärtes Ziel für die Zukunft sei es, dass in Dachau mehr als ein paar Handvoll Zuschauer kämen. "Man wird etwas dafür tun müssen, es reicht sicher nicht, einen Zettel an die Tür zu hängen", weiß er, aber bei 50 000 Einwohnern sollte da etwas möglich sein. Sie haben das ebenso fest vor wie eine Weiterentwicklung der Jugendarbeit, für die sie gerade versuchen, Hallenzeiten an sieben Tagen pro Woche zu organisieren: "Die politischen Absichtserklärungen, uns zu unterstützen, sind da." Und so kommt man, selbst wenn der Hallenumbau nötig war, doch nicht an diesem Bild vorbei: dass die Kreisstadt für Schwabhausens Tischtennisprojekt den roten Teppich ausrollt - wo daheim nur Abdeckvlies liegt.

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