Tennis:Fed Cup: Kerber kann nicht mehr

Lesezeit: 3 min

Teamchefin Barbara Rittner (li.) tröstet Angelique Kerber (Foto: dpa)
  • Bei ihrem Auftritt im Fed Cup erfährt Angelique Kerber, wie viel Kraft ein Grand-Slam-Titel kosten kann.
  • Ihre Niederlage leitet das 2:3 gegen die Schweiz ein. Das deutsche Team bangt nun um den Verbleib in der Weltgruppe der besten acht Teams.
  • Alle Ergebnisse aus dem Fed Cup finden Sie hier.

Von Matthias Schmid, Leipzig

Barbara Rittner durfte sich natürlich nichts anmerken lassen, als sie auf der Bank saß. Sie musste Angelique Kerber in den Pausen gut zureden, sie aufmuntern, ihr eine exzellente körperliche Verfassung bescheinigen. Doch auch die Teamchefin der deutschen Tennis-Nationalmannschaft spürte da schon längst, dass auch Kerber nur ein Mensch ist, keine Maschine. Im Tiebreak des ersten Satzes verharrte ihre Spitzenspielerin nach einer Rückhand einige Sekunden lang in der Hocke. Sie spielt häufiger kniend diesen Halbflugball von der Grundlinie, doch diesmal schaffte sie es nur noch mit Hilfe ihres Schlägers wieder in die aufrechte Position, der Schläger war in diesem Moment ihr Krückstock.

Es war ein symbolisches Bild am Abschlusstag des Erstundenspiels im Fed Cup gegen die Schweiz. Auch das Leipziger Publikum in der Messehalle 1 konnte mit seinen Schreien Kerbers Müdigkeit nicht einfach vertreiben. Sie verlor gegen die Weltranglisten-Elfte Belinda Bencic 6:7 (4:7) und 3:6. "Sie hat mir zwischendurch sogar leidgetan", sagte Rittner nachher. Ihre neue Führungsspielerin konnte also nicht verhindern, dass die deutsche Mannschaft nach der 2:3-Niederlage gegen die Schweiz nun am 16./17. April nicht um den Finaleinzug, sondern um den Abstieg aus der Weltgruppe spielen muss.

"Ich mache niemandem einen Vorwurf", betonte Rittner, "aber ich habe vorher schon gesagt, dass es aufs Doppel nicht ankommen darf." Kerber selbst nahm ihre Niederlage gegen Bencic recht pragmatisch, fast nüchtern. Acht Tage nach ihrem wundersamen Sieg bei den Australian Open gegen Serena Williams machte sich die Müdigkeit nach dem ganzen Trubel in ihrem Körper breit. "Irgendwann war mein Akku dann auch alle", gab sie zu, "ich habe schon am Samstag gemerkt, dass ich immer müder werde." Da hatte die 28-Jährige die Niederlage von Andrea Petkovic mit einem klaren Erfolg gegen Timea Bacsinszky noch ausgleichen können.

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Kerbers Sieg gegen Bencic hatte Ritter dennoch fest eingeplant. Und es hätte ja auch gutgehen können, da Annika Beck in ihrem ersten Fedcup-Einsatz die Weltranglisten-15. Bacsinszky 7:5, 6:2 besiegte. Zum Gesamtsieg reichte es nicht mehr, weil im abschließenden Doppel Petkovic und Anna-Lena Grönefeld gegen die weltbeste Doppelspielerin Martina Hingis und Bencic 3:6 und 2:6 das Nachsehen hatten.

Am Sonntagmittag hatte noch danach ausgesehen, als könnte Kerber ihre Müdigkeit überspielen. Die Linkshänderin spielte wuchtig, sie spielte raffiniert und traf die Bälle wieder extrem früh. Der Australian-Open-Sieg hat sie in eine neue Spielerin verwandelt, in eine Spielerin, die keine Fehler mehr vermeiden, sondern die Ballwechsel gewinnen will. Schnell führte sie gegen Bencic 4:1. Doch plötzlich traf sie die Bälle etwas später, auch bewegte sie sich nicht mehr so geschmeidig. Sie verlor den ersten Satz im Tiebreak 4:7. Zudem zwickte ihr rechter Oberschenkel. Doch als Ausrede wollte sie das nicht gelten lassen.

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"Belinda hat sehr gut gespielt, und von Anfang bis zum Ende nicht gewackelt", betonte Kerber. Bencics souveräner Auftritt war ziemlich erstaunlich für eine 18-Jährige. Doch sie ist keine gewöhnliche 18-Jährige, sie spielt für ihr Alter ein ziemlich reifes Tennis, sie tritt sehr selbstbewusst auf, irgendwie abgezockt, und "hat die richtigen Bälle im richtigen Moment gespielt", wie Rittner anerkennend feststellte.

Nicht nur die 42-Jährige traut Bencic eine große Karriere im Welttennis zu, sogar einen Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Was danach alles auf einen zukommt, hatte Kerber in den vergangenen Tagen erfahren. Jeder wollte plötzlich etwas von ihr. Das Fernsehen, die Sponsoren, die Fans. Sie sagte nichts ab, sie wollte alles mitnehmen, "ich wollte jeden Moment genießen". Für Kerber war der Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier eine Bestätigung ihrer harten Arbeit, keine Bürde. So betrachtete sie das.

Sie wusste, dass sie nicht fit sein könnte

Doch erst am Mittwoch vor der Partie gegen die Schweiz begann sie wieder, auf die Bälle zu schlagen. Sie wusste ganz genau, auf was sie sich eingelassen hat. Sie wusste, dass sie nach den ganzen Feierlichkeiten körperlich nicht fit sein könnte. Es war auch für sie ein Risiko, im Fedcup für Deutschland anzutreten. Jeder erwartete nach dem Triumph in Melbourne, dass sie einfach weiter siegt. "Doch ich kann jetzt nicht jedes Match gewinnen", sagte Kerber. Sie spielte trotzdem und dachte "keine Sekunde darüber nach, nicht nach Leipzig zu kommen".

Die Tennisfreunde in der Halle hatten sie dafür bewundert und gefeiert. Zu Hause am Fernseher war das Verlangen, Kerber sehen zu wollen, deutlich geringer ausgeprägt. Nur 440 000 Zuschauer verfolgten die Übertragung am Samstag auf Sat 1. Für den Privatsender war das viel zu wenig, am Sonntag versteckte er den Fedcup wieder in seinem Nischenprogramm. Kerber war das herzlich egal. Sie sehnte sich nach der Partie nur nach Ruhe, nach ihrem Sofa zu Hause. "Ich werde in den nächsten Tagen einfach nur daliegen", kündigte Angelique Kerber an, "und mir noch mal durch den Kopf gehen lassen, was in den letzten Tagen alles passiert ist."

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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