Tennis in Wimbledon:Mehr als nur Zauberbälle und Rastas

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Dustin Brown spielt Tennis so wie er aussieht: Mit ungewöhnlichen Mitteln. (Foto: REUTERS)
  • In Wimbledon steht der Deutsche Dustin Brown heute gegen Andy Murray vor einer großen Aufgabe.
  • Mit seinem unorthodoxen Stil hat der Rastaträger schon einige überrascht.
  • Seine Geschichte ist ohnehin erstaunlich: Vor Jahren wohnte er in einem VW-Bus.

Von Matthias Schmid, Wimbledon

Blood. Sweat. Respect. Diese drei Wörter stehen in dicken Lettern auf dem T-Shirt, das Dustin Brown überstreift, als er nach seinem Erstrundensieg in Wimbledon zur Pressekonferenz erscheint. Es ist eine Botschaft an sich und die Welt da draußen. Blut und Schweiß will er an diesem Mittwoch (ab 15.30h im SZ-Liveticker) auf dem Platz lassen, wenn er gegen den Weltranglistenersten und Titelverteidiger Andy Murray auf dem größten Court des All England Tennis Lawn & Croquet Clubs antreten darf. Den Respekt des britischen Publikums, das natürlich den Schotten Murray anfeuern wird, muss sich der deutsche Tennisspieler erst noch verdienen.

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Es ist nicht sein erstes Match auf dem Centre Court, den viele ob der langen Tradition ehrfürchtig "Heiligen Rasen" nennen. Vor zwei Jahren verließ Brown die Kathedrale des Tennissports als Sieger, als Sieger gegen Rafael Nadal. "Das war wohl mein bestes Spiel, das ich je gespielt habe", erinnert sich Brown an die Zweitrunden-Partie. "Es war ein sehr guter Tag im Büro", schiebt der 32-Jährige noch lächelnd nach: "Alles lief perfekt."

Einen perfekten Tag wird der Weltranglisten-97. aus Winsen an der Aller auch gegen Murray benötigen. Sein Trainer Patrice Hopfe traut seinem Spieler einen neuerlichen Coup zu. "Er ist nicht chancenlos, wenn es ihm gelingt, Murrays Spiel zu zerstören." Anschauungsunterricht für den Matchplan hat er dabei bei einem anderen deutschen Profi gefunden, der Murray zu Beginn des Jahres bei den Australian Open auf wundersame Weise im Achtelfinale besiegen konnte. Mischa Zverev habe vorgemacht, wie man gegen ihn spielen muss, hebt Hopfe hervor: "Attackieren ist der richtige Weg."

Ähnlich wie Zverev bevorzugt auch Brown einen vermeintlich aus der Zeit gefallenen Stil, der sich abhebt von den anderen Kontrahenten im modernen Tennis, die vor allem an der Grundlinie kleben: das Serve-and-Volley, die Attacke direkt nach dem Aufschlag. "So spiele ich Tennis", sagt Brown über seinen unorthodoxen Stil. Er rennt nach dem eigenen Service gerne ans Netz - und zwar nicht aus Showgründen, sondern um seine Stärken auszuspielen. "Wenn das den Leuten gefällt, ist das nett, aber nichts worüber ich nachdenke, wenn ich auf den Court gehe", sagt Brown.

Der Sohn eines Jamaikaners und einer Deutschen ist ein Spieler, der im gleichförmigen Tennissport nicht nur wegen seinen langen Dread-Locks seine Unangepasstheit pflegt. In der Pressekonferenz in Wimbledon nach seinem Viersatzsieg gegen den Portugiesen João Sousa trug er am Mittelfinger seiner rechten Schlaghand einen schwarzen Totenkopfring, den man sonst eher von Rockbandtypen kennt, seine Rastas bändigte er mit einer schwarzen Wollmütze. Brown kleidet sich nicht nur anders, er spielt auch anders, er spielt für sein Leben gerne Stoppbälle und schiebt die Vorhand bisweilen nur mit geringer Geschwindigkeit als Slice übers Netz.

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Man darf Brown aber nicht auf seine Kunstschläge reduzieren, auf die Zauberbälle und Hechteinlagen, die andere nur im Training zeigen, wenn es um nichts geht. Seine Schläge finden sich in keinem Lehrbuch, technisch sieht das nicht besonders konform aus, aber dafür ist er mit Ballgefühl auf Kunstniveau gesegnet. "Er hat sich aber auch in seinen Grundschlägen enorm verbessert und in Gstaad auf Sand im vergangenen Jahr das Halbfinale erreicht", hebt sein Trainer Hopfe hervor.

Browns Entwicklung hin zu einem Spieler, der es im vergangenen Jahr bis auf Rang 64 der Weltrangliste schaffte, hat länger gedauert als bei anderen. Er hat als Kind nie eine spezielle Verbandsförderung genossen, weil er mit elf Jahren seinem Vater nach Montego Bay auf Jamaica folgte, ehe die beiden sieben Jahre später nach Winsen zurückkehrten.

In keiner Erzählung über Brown darf fehlen, dass er seine Karriere auf der untersten Ebene im Profitennis begann. Er reiste mit einem von den Eltern bezahlten VW-Bus zu Turnieren, weil er sich Pensionen oder gar Hotels nicht leisten konnte. Er tingelte vor allem durch die deutsche Provinz - im schwäbischen Friedberg zum Beispiel stellte er das Gefährt hinter der Halle ab. Der Parkplatz wurde schnell zu einer Art Pilgerstätte für die Brown-Bewunderer.

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Ins Blickfeld eines größeren Publikums spielte er sich erstmals vor vier Jahren in Wimbledon, als er in der zweiten Runde die frühere Nummer eins Lleyton Hewitt übertölpelte. So soll es auch an diesem Mittwoch laufen. "Ich muss gegen Murray aggressiv spielen und ihn aus der Komfortzone holen", hat sich Brown vorgenommen. Er sagt das voller Respekt, weil er weiß, dass er es mit dem wohl besten Returnspieler des Planeten zu tun bekommt.

Nach bleiernen Monaten wegen eines Bandscheibenvorfalls ist er inzwischen wieder so weit genesen, dass er schmerzfrei spielen kann. Zwei Bänderrisse im vergangenen Jahr hielten ihn davon ab, in die Top 50 vorzustoßen. Das glaubt zumindest sein Coach: "Die besten 50 der Welt sind das Ziel", sagt Hopfe.

Dass sein Tennis zwar unverschämt lässig aussieht und er gerne wie ein Reggaeboy auftritt, hält ihn nicht davon ab, hart an sich zu arbeiten und sein Repertoire zu erweitern. Sein Ehrgeiz steht Brown aber manchmal im Weg. Zuletzt beim Vorbereitungsturnier in Halle ärgerte er sich nach einer deprimierenden Dreisatzniederlage über einen Journalisten, dessen Frage ihm nicht gefiel. "Geh zum Fußball, du Depp", schimpfte Dustin Brown.

Dabei hat er die verbalen Aussetzer gar nicht nötig. Einer seiner größten Bewunderer ist John McEnroe. Der dreimalige Wimbledonsieger ist inzwischen Kommentator bei der BBC und liebt Spieler, die wie er den schnellsten Weg ans Netz suchen. McEnroe sagte: "Es wäre schön, wenn es mehr Spieler wie Dustin gäbe, damit wir im Tennis wieder mehr Vielfalt sehen."

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