Tennis:Hype um Federer - wie damals bei Björn Borg

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Alles staunt, alle rufen - dabei spielt Roger Federer in Stuttgart nur ein paar lockere Trainingsbälle. (Foto: dpa)

Menschen drängeln, rufen, kreischen: Roger Federer ist in Stuttgart zu Gast. Der Turnierdirektor kann sein Glück kaum fassen.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Es sind Szenen, die man normalerweise nur von Konzerten einiger Popgrößen kennt. Am Dienstagnachmittag singt aber niemand, auch getanzt wird nicht oder irgendwas aufgesagt. Trotzdem drängen sich die Menschen in Zehnerreihen hinter dem Zaun. Sie rufen, sie kreischen. Es sind auch ältere Menschen da, die schubsen und ihre Mobiltelefone zücken, als ob sie ein Naturphänomen aufnehmen müssten.

Dabei spielt Roger Federer beim Tennisturnier in Stuttgart im Training nur ein paar Bälle übers Netz. Ganz locker, ohne Anstrengung. Der 34-Jährige will seinen noch etwas malträtierten Rücken vor seinem ersten Match am Mittwoch um 16 Uhr gegen den 18-jährigen, aufstrebenden Amerikaner Taylor Fritz nicht übermäßig reizen.

Dass Federer einmal auf dem Stuttgarter Killesberg aufschlagen würde, war für Edwin Weindorfer vor ein paar Jahren noch so abwegig gewesen wie der Europameisterschaftstitel im Fußball für Österreich. "Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir es so schnell schaffen, absolute Topstars wie Nadal oder Federer zu bekommen", gibt der Turnierdirektor zu. Er konnte lange nur noch den großen Namen des traditionsreichen Wettbewerbs auf der Anlage des TC Weissenhof verwalten - mehr schlecht als recht.

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Fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden

Die prominenten Spieler der Branche kamen nicht mehr nach Stuttgart, das einst so prächtige Turnier ohne einheimischen Helden war fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Federer, Novak Djokovic, Rafael Nadal und Andy Murray legen nach Wimbledon für gewöhnlich ihre Schläger zur Seite, sie ruhen sich aus und schonen sich für die anstehende Hartplatzsaison in den USA, auf Sand wollen sie nicht mehr spielen. Mit irrwitzigen Summen bei ihnen einen Sinneswandel herbeiführen, das konnte und wollte sich Weindorfer nicht leisten. Der letzte Grand-Slam-Turniersieger, der in Stuttgart siegte, war im Jahre 2007 Nadal. Danach gewannen Spieler, die kein Zuschauer mehr kannte, der nicht selber Tennis spielt.

Erst mit der Umstellung auf Rasen im vergangenen Jahr ist Stuttgart wieder ins Blickfeld der internationalen Heroen gerückt. Die Hoffnung auf eine goldene Zukunft liegt im Schwäbischen im Grünen. Die ATP-Tour hat die Rasensaison 2015 auf fünf Wochen verlängert. Seitdem gibt es zwischen den French Open und Wimbledon drei statt zwei Wochen Pause. Eine Lücke, die man nun ihn Stuttgart nutzt. Der Belagwechsel war ein Risiko, aber eines, das sich bezahlt machen sollte. Etwa 1,5 Millionen Euro investierte Weindorfers Vermarktungsfirma in die neue Anlage. "Ich bin aber überzeugt davon, dass wir das Investment refinanzieren können", sagt er.

Auch Federer kostet Geld. Wie viele Euro die Antrittsprämie des Schweizers im Sechs-Millionen-Etat verschlingt, will Weindorfer nicht verraten. Dem Vernehmen nach soll der 17-malige Majorsieger knapp eine Million Euro bekommen. "Federer ist sein Geld wert", sagt der Turnierdirektor. Der langjährige Weltranglistenerste ist ein globaler Sport-Botschafter, den die Menschen auch an der Grenze zu Nepal erkennen. Er bringt wieder Besucher nach Stuttgart, die mit Tennis ansonsten wenig zu tun haben.

"Ich spiele selber nicht, aber ich wollte ihn wenigstens einmal live spielen sehen", sagt eine Frau aus Köln. Schon an Weihnachten waren die Karten für das Turnier vergriffen. Die Verantwortlichen erhöhten daraufhin die Kapazität des Center Courts, erstmals in der 100-jährigen Geschichte passen nun 6000 Zuschauer in das größte Stadion.

"Das hat es nicht einmal gegeben, als Björn Borg hier gewonnen hat", erinnert sich Bernd Nusch. Der 76-Jährige arbeitete bis 2006 als Turnierdirektor - 33 Jahre lang. Er erlebte die fetten Jahre in den Achtziger- und Neunzigerjahren, als nicht nur der charismatische Borg hier mitspielte, sondern auch Ivan Lendl, Andre Agassi, Boris Becker, Michael Stich oder Thomas Muster. Aber vor allem zu Borg pflegte Nusch ein fast freundschaftliches Verhältnis.

Federer geht mit Tommy Haas zum Trainieren auf ein Hochhaus

1981, nach seinem Finalsieg gegen Lendl, überließ der Schwede dem Deutschen seinen funktionstüchtigen Schläger. "Als ich ihn mir am nächsten Morgen zu Hause anschaute, waren plötzlich mehrere Saiten kaputt", erzählt Nusch. Er kann viele Anekdoten von damals erzählen. Es sind Geschichten aus längst versunkenen Zeiten. 1954 bekam der Turniersieger Gottfried von Cramm eine Reiseschreibmaschine überreicht, die Spieler wohnten noch bei den Vereinsmitgliedern oder stellten auf der Anlage ihre Zelte auf.

Doch einen vergleichbaren Hype und Andrang wie heute bei Federer hatte es nur mit Borg gegeben, bekennt Nusch. Lange Haare, wildes Spiel, Borg war einer, der bei Frauen ankam, der erste Popart-Künstler im Tenniszirkus. Manche Zuschauer riskierten sogar ihre Gesundheit, nur um ein paar Ballwechsel vom ihm erhaschen zu können. Sie kletterten auf die umliegenden Bäume oder schnitten mit einer mächtigen Schere den Maschendrahtzaun durch. "Ich rief die Polizei und hatte große Angst um die Zuschauer", sagt Nusch heute, "das war furchtbar."

Auch Roger Federer ging in Stuttgart in die Luft. Aber existenzielle Sorgen musste er sich keine machen, als er am Montag mit Tommy Haas ein paar Bälle schlug - auf dem Dach eines 60 Meter hohen Hochhauses im Herzen von Stuttgart. "Ich finde es immer lustig, solche Sachen zu machen. Am Abgrund muss man ein bisschen aufpassen, aber wir wissen ja, wie wir spielen und uns bewegen müssen", sagte Federer danach. Das imposante Bild ging jedenfalls um die Welt. Es war beste Werbung für das Tennisturnier, das wieder im alten Glanz erstrahlt. Auch im nächsten Jahr wird Roger Federer wieder kommen, das steht schon fest. Die Kapazität soll dann noch mal um mindestens 500 Plätze steigen.

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