Tennis:Boris Becker will feiern, Pause machen - und bei null anfangen

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Am Ziel: Novak Djokovic gewinnt erstmals die French Open in Paris und ist damit erst der achte Spieler der Geschichte, der alle vier Grand-Slam-Turniere gewinnen konnte. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Novak Djokovic hat den vierten Grand Slam in Serie gewonnen, diesmal sogar mit Unterstützung der Fans. Ist sein Trainer Boris Becker damit nun auch am Ziel?

Von Philipp Schneider, Paris

Fast niemand mehr da. Alle schon abgereist. Im Spielerrestaurant in Roland Garros sieht es am Sonntagabend aus, als hätte die Polizei gerade eine Party beendet und den Strom abgestellt. Sehr ruhig alles, ein paar Stühle stehen schon auf den Tischen. Nicht einmal Yannick Noah läuft noch rum. Und Noah ist hier eigentlich immer rumgelaufen, all die Tage, als wäre er der Restaurant-Manager. Nur an einem Tisch am Fenster ist noch was los. Freunde von Novak Djokovic sitzen dort. Familie. Und Boris Becker.

Schon aus der Ferne lässt sich Becker erkennen, er ist der Einzige, der nicht unruhig hin und her wackelt oder kichert. Es gibt wohl eine Kleinigkeit zu trinken. Becker tippt ruhig in sein Handy. Womöglich schickt er gerade in seiner Funktion als @TheBorisBecker schnell ein paar Tweets in die Welt, die dem Anlass angemessen sind. Auch dies natürlich: mit viel Würde.

Große Ereignisse müssen eingeordnet werden. Aber manche Ereignisse sind so mächtig, dass sie nicht jeder einordnen darf. Novak Djokovic hat vor ein paar Stunden die French Open gewonnen, erstmals in seiner Karriere, im zwölften Anlauf. Es war das letzte Turnier, das ihm noch fehlte in seiner Sammlung. Als erst achter Spieler in der Geschichte hat er nun alle wichtigen Pokale überreicht bekommen. Vor allem, und insbesondere darüber wird mit seinem Trainer Becker zu sprechen sein, hat Djokovic doch die Trophäen aller vier Majors gleichzeitig im Besitz.

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Als achter Spieler der Tennis-Historie gewinnt der Serbe alle vier Grand Slams. Beim Finalsieg dominiert er Andy Murray wie seit Monaten das gesamte Männertennis.

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Das war vorher nur dem Amerikaner Don Budge und dem Australier Rod Laver gelungen. 47 Jahre ist das her. Boris Becker sagt, und schlägt dabei nach jeder Silbe mit der Hand auf den Tisch: "Das. Ist. Das. Un-glaub-li-che." Dass nämlich ein Spieler vier Grand-Slams in Serie gewinnt, sagt Becker, "bei der Dichte, bei der Klasse der Spitze im Männertennis: Das geht eigentlich gar nicht."

Logisch, dass Novak zum ersten Mal in seiner Karriere in Paris gewonnen habe, das sei natürlich auch ein großer Erfolg. Aber was über dem steht, sagt Becker, sei die Gewinnreihenfolge: "Wimbledon. US Open. Melbourne. Paris." Wieder haut er auf den Tisch, aber diesmal trennt er nicht nach Silben, sondern nach Worten. Es gibt Turnierorte, die sind so groß, dass ihre Namen nicht auseinandergerissen werden dürfen. Und nur wenige Menschen wissen das so gut wie Becker.

Becker blieb French-Open-Titel verwehrt

Seit zweieinhalb Jahren trainiert er den weltbesten Spieler, selber hatte Becker als Profi fast alles gewonnen. Nur die French Open, die gewann er nie. Neunmal hat es Becker versucht, dreimal schaffte er es auf der gnadenlosen Terre Battue zumindest ins Halbfinale. 1995 musste Becker an einem Regentag in der dritten Runde gegen den Qualifikanten Adrian Voinea spielen, er verlor nach vier Sätzen und kehrte als Spieler nie wieder nach Paris zurück. Keine Lust mehr. Doch über Voinea will Becker an Djokovic' großem Tag nicht reden, "das ist voriges Jahrhundert", sagt er. Lieber gibt er eine schöne Antwort auf die Frage, warum der Serbe so lange auf seinen Triumph in Roland Garros warten musste. Bis zum 5. Juni 2016, dem Tag seines vierten Finals im Stadion Philippe Chatrier. 3:6, 6:1, 6:2, 6:4 gegen Andy Murray.

"Das Problem an Paris ist", sagt Becker: "Hier geht es nicht nur um Tennis. Es ist die Spielansetzung, es ist das Wetter, der Belag verändert sich jeden Tag. Wenn es trocken und heiß ist, dann ist es sehr schnell hier. Wenn es regnerisch und schwül ist, dann ist es extrem langsam. Und die Bälle sind so groß wie Fußbälle." Becker legt eine kleine Pause ein. Er ahnt: Was jetzt folgt, das trifft den Kern der French Open: "Aggressive Spieler, die von der Schnelligkeit des Balles leben, haben hier Probleme. Wenn es so nass ist, kann ein Aufschlag-Volley-Spieler gar nicht erst ans Netz. Fragen Sie sich mal, warum Sampras, McEnroe, Edberg und Becker hier nie gewonnen haben: Das ist der Grund."

Novak Djokovic spielt ganz anders als Sampras, Edberg und Becker, er eilt selten ans Netz. Doch auch er lebt von der Schnelligkeit des Balles, weil er aggressiv von der Grundlinie schießt, als womöglich bester Return-Spieler in der Geschichte. Nasse, schwere Bälle bremsen auch sein Spiel aus, im Finale gegen Murray streute er daher immer wieder Stopps ein. Denn, um Beckers Fußballgleichnis aufzugreifen: Bei den 115. French Open waren die nassen Bälle so groß, dass Frankreich und Rumänien mit ihnen am Freitag im Stade de France die Europameisterschaft eröffnen könnten. Bis zum Finalsamstag der Frauen hat es eigentlich immer geregnet. Und erstmals seit 16 Jahren musste ein ganzer Spieltag vertagt werden. Das hatte gravierende Auswirkungen auf den Spielplan, Djokovic musste - anders als sein Finalgegner Andy Murray, der sich am Donnerstag erholen durfte - an drei Tagen nacheinander auf den Platz: für sein Achtelfinale, Viertelfinale und Halbfinale.

"Das ist nicht ganz fair. Aber manchmal kann man so etwas nicht ändern. Wichtig war, dass er die Spiele relativ schnell gewonnen hat. Das war der Schlüssel zum Turniersieg. Dass Novak einfach verstanden hat: Ich kann hier nicht lange rumfummeln, sondern muss jedes Match von Anfang bis Ende spielen, ohne eine einzige Schwächeperiode." Das sei aber gar nicht so einfach gewesen, sagt Becker, mit Gegnern wie Roberto Bautista-Agut, Tomas Berdych und dem aufstrebenden Österreicher Dominic Thiem. "Alle nicht von schlechten Eltern", sagt Becker. Vor allem Thiem nicht, der in diesem Jahr nach Djokovic die meisten Matches und Turniere gewonnen hat.

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Lediglich ein Satzverlust bis zum Finale

Vor dem Finale verlor Djokovic nur einen Satz, als er gegen den wetterfesten Bautista-Agut, einen der fittesten Profis auf der Tour, im Nieselregen spielen musste. Gegen diesen "tough cookie", also harten Keks, sei die Gefahr am größten gewesen für Djokovic, sagt Becker. Nach dem verlorenen ersten Satz wurde die Partie unterbrochen. "Zum Glück", findet Becker: "Du hast in jedem Turnier ein Match, in dem bekommst du einen Warnschuss."

Im Endspiel sei dann die Unterstützung des Publikums entscheidend gewesen. Von Anbeginn hatten die Pariser und ungewöhnlich viele Zuschauer mit serbischen Nationalflaggen Djokovic ein Heimspiel bereitet. "Nole, Nole, Nole!" riefen sie von den Tribünen, selbst gegen Ende des vierten Satzes, wenn sich schaulustige Zuschauer für gewöhnlich einen fünften wünschen. "Sehr ungewöhnlich", sei diese Unterstützung gewesen, "und fast ein bisschen unfair Murray gegenüber", findet Becker. Andererseits hätten die Zuschauer in den Jahren vorher immer die Gegner unterstützt, mal Federer, mal Nadal, mal Wawrinka. "Es war mal an der Zeit, dass Nole vom Publikum in die Höhe gehoben wurde. Dass sie ihn getragen haben ins Ziel."

Ob Becker nun als Trainer nicht auch am Ziel ist? "Jetzt wird gefeiert, eine Woche Pause gemacht. Aber dann geht's wieder los: bei null." Becker lächelt. Er weiß: Null stimmt ja nicht. Aber im Tennis geht es wirklich immer weiter, selbst wenn man schon alle Pokale in der Vitrine stehen hat, gibt es immer noch den Rekord eines anderen. Und alle vier Grand-Slam-Turniere und Olympisches Gold in einem Jahr gewann nur ein Mensch. Steffi Graf.

1988.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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