Tennis:Der Sturz des Roger Federer

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Fast unwirklich: Bei dieser Szene im Wimbledon-Halbfinale gegen Milos Raonic könnte sich Roger Federer das Knie verletzt haben. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Wegen einer Verletzung beendet der Schweizer die Saison, sein Traum von Olympia-Gold im Einzel wird wohl unerfüllt bleiben. Und im Tennis beginnt eine neue Ära.

Von Philipp Schneider, München

Roger Federer fällt nicht einfach so hin. Hinfallen ist etwas für Grobmotoriker. Menschen, die ihre Beine nicht unter Kontrolle haben, diese unfreiwillig verknoten beim Laufen, oder aber jene, die stolpern und über einen Gegenstand rumpeln, den sie übersehen haben, solche Leute fallen hin. Roger Federer läuft nicht. Er gleitet. Und doch ist er zweimal gestürzt in diesem Jahr.

Einmal verlor er die Kontrolle abseits des Tennisplatzes, als er nach dem verlorenen Halbfinale bei den Australian Open zur Wanne eilte, in der seine Zwillingstöchter badeten. Dabei verletzte er sich am Meniskus, im Februar unterzog er sich einer Knie-Operation, es war der erste chirurgische Eingriff, den er in seiner 18-jährigen Karriere erleben musste. Das zweite Mal wankte Federer vor wenigen Wochen auf dem Rasen von Wimbledon. Im Halbfinale gegen Milos Raonic stolperte er und fiel bäuchlings hin.

Es war eine fast unwirklich unwürdige Szene, die Zuschauer raunten, als wären sie Zeugen eines unerwarteten Vulkanausbruchs. Nach dem Missgeschick fasste sich Federer an sein im Frühjahr operiertes Knie und sagte: "Ich möchte diese Aktion schnell vergessen." Daraus wird nun nichts, ans Weitergleiten ist nicht zu denken. Der Körper des 34-Jährigen braucht eine Pause.

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Federer schreibt, er wolle noch ein paar Jahre spielen

Seit der Schweizer am Dienstagabend auf seiner Facebook-Seite verkündete, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro reisen und in dieser Saison gar nicht mehr spielen werde, beschäftigen die Szene Fragen mit Donnerhall: War's das nun? Kehrt der 17-malige Grand-Slam-Sieger, der Maestro, der wohl ästhetischste Spieler der Geschichte überhaupt noch einmal zurück auf die Tour?

Dabei wählte Federer die Worte seiner Absage mit Bedacht, er wollte eine deutliche Botschaft hinterlassen. Die Spielpause sei notwendig, gerade weil er noch einmal zurückkehren möchte auf die Courts der Welt. "Ich muss meinem Knie und meinem Körper die nötige Zeit geben", schrieb er. Es sei "hart, den Rest des Jahres zu verpassen", er habe diese "sehr schwierige Entscheidung" in Rücksprache mit seinen Ärzten getroffen, doch nur so könne sich sein Wunsch erfüllen, "noch ein paar Jahre auf der Tour zu spielen". Noch ein paar Jahre?

Gerade auf seine Teilnahme bei Olympia hatte Federer ja hingearbeitet, die Spiele in Brasilien hatten ihn angetrieben, er hatte sie schon im Sinn gehabt, als er im Mai die French Open absagte und damit erstmals seit 16 Jahren ein Grand-Slam-Turnier verpasste. Die Goldmedaille im Einzel fehlt Federer noch in seiner umfangreichen Sammlung. Vor vier Jahren verlor er bei den Spielen in London auf den Rasenplätzen von Wimbledon das Finale gegen Andy Murray. Das Gold im Doppel mit Landsmann Stan Wawrinka vor acht Jahren in Peking, das hat er immer wieder erwähnt, zählt er zu seinen größten Erfolgen.

Zu Olympia hat er auch schon allein deshalb eine emotionale Bindung, weil er 2000 in Sydney seine spätere Frau Mirka, die Tennisspielerin Miroslava Vavrinec, kennenlernte. "Ich freue mich riesig, dass Olympia wieder vor der Tür steht", hat Federer kürzlich noch gesagt. "Ich habe letztes Mal sehr viel gelernt von den anderen Athleten, das ist sehr inspirierend." Auch im Mixed wollte er antreten, gemeinsam mit der früheren Weltranglisten-Ersten Martina Hingis, und wieder im Doppel mit Wawrinka. Selbst wenn Federer noch ein paar Jahre spielen sollte: Dass er die fehlende Medaille 2020 in Tokio gewinnt, darf als unwahrscheinlich gelten.

Es gilt Abschied zu nehmen von den bekannten Kräfteverhältnissen im Tennis. Die Jahre, in denen Federer, Nadal, Djokovic und Murray, die großen Vier der Szene, die wichtigsten Titel der Tour unter sich aufteilen durften wie Tortenstückchen auf einer exklusiven Geburtstagsparty, sind vorbei. Nur 28 Matches hat Federer bestritten in diesem Jahr. Erstmals seit 2000, auch dies steht nun fest, wird er in einem Kalenderjahr kein einziges Turnier gewinnen.

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Die US Open werden ohne ihn gespielt werden, genau wie sein Heimturnier in Basel und das Saisonfinale der ATP-Tour in London. Sollte er Anfang des kommenden Jahres zurückkehren, dann wird Federer aus den Top Ten gefallen sein, denen er seit 2002 ununterbrochen angehörte. Er wird irgendwo jenseits von Weltranglistenplatz 20 stehen, weit hinter all den ehrgeizigen jüngeren Spielern also, die ihn schon länger vom Thron stürzen wollen. Tut er sich das wirklich noch mal an? Das tägliche Schuften im Training, die Flüge um die Welt, die Übernachtungen in Hotels?

Zweifelsfrei wurden die Spiele in Rio mit Federers Absage einer der schönsten Geschichten beraubt, die sie hätten erzählen können. Die Favoriten sind nun der Weltranglistenerste Djokovic, der Schotte Murray und vielleicht sogar Rafael Nadal, der vor acht Jahren Gold in Peking gewann. Der Spanier ist körperlich ebenfalls angeschlagen. Seit er wegen einer Handgelenksverletzung bei den French Open aufgeben musste, hat er kein Match bestritten. In Rio möchte er zurückkehren, unbedingt, auch weil er die Spiele vor vier Jahren in London wegen einer Knieverletzung verpasste. Für diejenigen, die schon alles gewonnen haben, setzt Olympia mehr Kräfte frei als ein Grand-Slam-Turnier.

Der "Silberstreifen", auch dies schrieb Federer noch, sei die Erkenntnis, "wie glücklich ich mit derart wenigen Verletzungen in meiner Karriere sein kann". Als Abschiedsbotschaft will er den Satz nicht verstanden wissen.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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