Tennis:Boris Becker, der Tenniskanzler

Podiumsdiskussion mit Boris Becker

Lässig in Ismaning: Boris Becker steht Rede und Antwort in seiner Funktion als "Head of Men's Tennis".

(Foto: dpa)
  • Kopf des deutschen Männer-Tennis zu sein, sei eine "Herzensangelegenheit", versichert Boris Becker in Ismaning.
  • Doch auch der frühere Wimbledonsieger wird nicht zaubern können.

Von Gerald Kleffmann, Ismaning

Um kurz vor elf Uhr trat Achim Fessler ans Mikrofon, der Pressechef des Bayerischen Tennis-Verbandes bat um Entschuldigung. Es gebe eine Verzögerung. Boris Becker sitze aber schon im Auto und sei gleich da. Der Talkgast, von seinem Wohnort London eingeflogen, trudelte 20 Minuten später ein, offiziell diesmal in seiner Funktion als Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), aber anhand des Medienaufkommens war wieder mal klar: Das größte Amt, das Boris Becker bekleidet, ist es, Boris Becker zu sein. Gerade in diesen Zeiten, in denen er sich wegen Schulden in zigfacher Millionenhöhe in England und auch in der Schweiz verantworten muss, lockt er bei jedem Auftritt viele an, die auf irgendetwas hoffen, einen Kommentar etwa, um seine persönliche Drama-Geschichte weiterzudrehen.

"Sein Name zieht"

40 Akkreditierungen waren verteilt worden, an Zeitungen, TV- und Radiosender, Nachrichtenagenturen, Fotografen, Online-Dienste; auch Förderer der in dieser Woche hier stattfinden Veranstaltung namens Wolffkran Open, einem Challenger-Turnier um 43 000 Dollar Preisgeld, drängten sich ins Klubhaus. "Sein Name zieht", sagte Peter Aurnhammer, der Turnierdirektor, im Beruf Apotheker und als BTV-Vize für Leistungssport zuständig.

Seine Augen verrieten: Auch er war gespannt, wie das jetzt werden würde, bei der Podiumsdiskussion zum Thema "aktuelle Situation im deutschen Männertennis". In der Grünfleckstraße 1 nördlich von München hätten sie nie gedacht, dass ein Andrang dieser Art herrschen würde. Ein Werbecoup, der zustande kam, weil Becker seine neue Aufgabe ernst nimmt. "Für das Turnier ist diese Resonanz gut", ahnte Aurnhammer, ehe er sich zu Becker, DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard, Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann und Profi Yannick Hanfmann für die Debatte in Position begab.

Um die wenig überraschende Pointe vorwegzunehmen: Natürlich hat Becker nichts zu seiner privaten Lage und dem laufenden Insolvenzverfahren gesagt, Fragen waren auch nicht gestattet, was möglicherweise einer jungen Dame eines Fernsehsenders, in dem gerne über Klatsch berichtet wird, das Konzept vermasselte. Nach einer offenbar spontanen (und gar nicht so schlechten) Ersatz-Frage, wie sehr sich Becker früher einen Berater gewünscht hätte, wie er es heute für Talente, Jungprofis und Verbandstrainer mit seinem neuen Amt sein will ("ich hatte hervorragende Berater"), musste sie sich einen aus schlagzeilentechnischer Sicht für sie eher langweiligen Teil bis zum Schluss anhören.

"Ich beginne jetzt quasi meinen Job"

Es ging um Strukturen, um endlich bewilligte Fördergelder des Deutschen Olympischen Sport-Bundes, um erfolgversprechende Nachwuchsspieler, die Rudi Molleker und Marvin Möller und Daniel Altmaier heißen, darum, dass acht Deutsche in den Top 100 stehen - Themen, mit denen man nicht gerade Sensationsgelüste befriedigen kann. Beckers Ausführungen indes waren ziemlich interessant - zumindest wenn man sich dafür interessiert, wie das namhafteste Projekt auf Verbandsebene genau ablaufen wird. Becker soll als offiziell ehrenamtlich agierender Superfunktionär im Männerbereich ja nicht nur postenmäßig integriert werden. Er soll auch im deutschen Männertennis etwas bewirken, sprich helfen, dass der nächste deutsche männliche Grand-Slam-Sieger ihn als letzten deutschen Champion ablöst. 1996 errang Becker den Titel bei den Australian Open, danach folgte nur noch die Finalteilnahme von Rainer Schüttler in Melbourne 2003.

Kohlschreiber und die Zverevs wollen im Januar im Davis Cup spielen

57 Tage, so hatte es BTV-Mann Fessler vorgetragen, sei Becker nun im Amt, noch ist offensichtlich nicht allzu viel passiert. Bei seinem Einarbeitungsprozess lässt sich Beckers Situation gut mit der politischen in diesem Lande vergleichen. Der 23. August war seine Wahl zum Männer-Tenniskanzler, dann verstrich Zeit, Becker kommentierte für Eurosport die US Open, nahm beim Davis-Cup-Abstiegsmatch in Portugal erstmals Kontakt zur dort ersatzgeschwächten Mannschaft auf - nun sollten die Koalitionsverhandlungen bald abgeschlossen sein. "Ich beginne jetzt quasi meinen Job", gab Becker zu. Nach der Podiumsdiskussion sah er sich ein Match des Talentes Nicola Kuhn an, der auch einen deutschen Pass besitzt, aber für Spanien spielt, dann zog er sich mit Eberhard und Kohlmann zu Sondierungsgesprächen ins BTV-Leistungszentrum in Oberhaching zurück. Es ging um den Fahrplan der Tätigkeiten, um harte Aufgabenteilungen.

Becker kündigte etwa an, er wolle DTB-Stützpunkte besuchen, in Hannover, in Kamen. Eberhard ergänzte, auch die deutschen Jugendmeisterschaften in Essen könnte Becker besuchen. Beide bestätigten, die drei besten deutschen Profis - Alexander und Mischa Zverev sowie Philipp Kohlschreiber - hätten ihre Bereitschaft erklärt, Ende Januar im Davis Cup in Australien anzutreten. Nachdem dieses Trio in Portugal gepasst hatte, wäre dies wirklich eine "News", wie Becker es nannte. In jedem Fall war es ein geschickter Zug. Bis zur Nominierung Mitte Januar herrscht erst mal Ruhe. Absagen können sie immer noch.

Es gibt einen schriftlichen Vertrag des DTB mit Becker, zu den Inhalten will Eberhard nichts verraten; er selbst wird aber, sagte er, erster Ansprechpartner für Becker sein, der "viel Freiheit" erhalte. "Wir versuchen, Termine für ihn zu finden", sagte Eberhard - womit die Rollenverteilung klarer wird: Der DTB versucht, Becker die Arbeitsbühnen so komfortabel es geht zu bereiten, er muss dann nur noch seinen Tennis-Sachverstand ausspielen. Für die DTB-PR muss Becker wiederum nichts anderes tun, als einfach als Boris Becker zu erscheinen. So in etwa läuft der Deal.

Für ihn sei die Aufgabe eine "Herzensangelegenheit", versicherte Becker. Doch auch er wird nicht zaubern können. Eberhard betont: "Man muss dem Projekt Zeit geben." Nach einem Jahr könne man eine erste Zwischenbilanz ziehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: