Team-Olympiasieger Andreas Wellinger:Von der Welle gefallen

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Da war er noch fit: Andreas Wellinger springt beim Weltcupauftakt von der Großschanze in der Vogtland-Arena in Klingenthal. (Foto: dpa)

Mit 19 Jahren schon ein begehrter Werbeträger: Dem Skispringer Andreas Wellinger ist bislang vieles in seiner Karriere zugeflogen. Nun muss er den ersten kapitalen Sturz verarbeiten. Sein Comeback ist nicht vorhersehbar.

Von Volker Kreisl, Kuusamo/München

Zweifel während des Wettkampfs sind abträglich, in der Anlaufspur oben auf der Schanze sind sie eigentlich tabu. Allein das Selbstbewusstsein zählt in diesem Moment, das Körpergefühl, die innere Balance, die den richtigen Zeitpunkt zum Absprung findet und jenen Automatismus in Gang setzt, der in Sekundenschnelle einen Rumpf mit vier Gliedmaßen zu einen Flugobjekt auseinanderfaltet. Andreas Wellinger hat diese Intuition und die Lockerheit in der Anlaufspur, und deshalb sind sie jetzt beim Skiverband insgesamt zuversichtlich.

Und Wellinger selbst profitiert womöglich schon jetzt, in der Zeit unmittelbar nach seinem schweren Sturz beim Weltcup von Kuusamo, von seinem positiven Naturell. Die Diagnose dessen, was er sich beim Aufprall auf den Hang am Samstag zugezogen hatte, stand auch am Montag noch nicht definitiv fest. Wellinger muss sich gedulden.

Skiverbands-Sprecher Ralph Eder erklärte, dass eine erste Magnetresonanz-Tomografie in München die schwere Stauchung der Wirbelsäule bestätigt habe. Weitere Schäden am Rücken wurden durch diese Nachuntersuchung allerdings nicht festgestellt. Doch ist dadurch nur ein Teil der Verletzungen geklärt. Die Frage, ob der Bänderapparat an der rechten Schulter mehr als gedehnt, womöglich angerissen ist, soll eine zweite MRT am Dienstag beantworten.

An seinem Rückgrat gibt es keine weiteren Schäden

Für den weiteren Saisonverlauf blieb also vorerst ein Spektrum von Möglichkeiten. Im besten Fall könnte Wellinger noch vor der Vierschanzentournee zurückkehren, im ungünstigsten Fall verpasst er die Weltmeisterschaft ab 17. Februar in Falun in Schweden. Das zu verwinden, wäre auch für den unbekümmerten Wellinger, dessen Karriere gerade Fahrt aufzunehmen scheint, ein Nackenschlag. Es wäre aber auch eine Herausforderung für die Mannschaft und Bundestrainer Werner Schuster, der Wellinger als wichtige Stütze und mittlerweile festen Bestandteil im Top-Trio mit Severin Freund und Richard Freitag sieht.

Nun steht der 19-Jährige aus Ruhpolding vor einer neuen Situation. Schuster sagte vor der Saison: "Bisher sind viele Dinge bei ihm sehr leicht gegangen." Andreas Wellinger nimmt Aufgaben ohne große Sorgen an, er erntet Erfolge, die wiederum seine Zuversicht nähren. Es war eine Eigendynamik der Leichtigkeit. So wurde er mit der Mannschaft als 16-Jähriger in Innsbruck Jugend-Olympiasieger, 2013 mit den Erwachsenen im Team WM-Bronze- gewinner und trug auch in Sotschi zum Olympia-Titel bei.

Doch die positive Welle kann im Wettkampf mit den Erwachsenen nicht ununterbrochen weiterrauschen. Schuster weiß ja von den Fallen, die der Erfolg mit sich bringt. Wellinger ist nun einer der Werbeträger jenes Wintersport-Sponsors, der schon Martin Schmitt begleitete, und damit hat Wellinger nun eine Art Nachfolgerrolle.

Das kann einem zur Bürde werden, aber wenn es so ist, dann trägt Wellinger diese ähnlich bereitwillig und sorglos wie die Bürde des bevorstehenden Schul- abschlusses. Im kommenden Frühjahr, wenn die Weltcupsaison zu Ende geht, will Wellinger das Abitur ablegen. Hefte, Bücher und Laptop hat er jetzt eben immer dabei, wie Helm, Anzug und Ski. Sponsor, Abi, und Goldmedaille - daraus entwickelt Wellinger eher Kraft als Versagensängste.

Nach einem kapitalen Sturz wie in Kuusamo stellt sich aber die Frage, ob er sich nicht auch bei Wellinger in Regionen auswirkt, die der MRT nicht erreicht. Messen lassen sich psychische Dellen kaum, aber man kann über die Sturz-Analyse wohl Vieles klären. Eine erste Erkenntnis besagt, dass Wellinger wohl ein bisschen zu forsch in die Flugphase gegangen ist: "Er steht steil in der Luft und bekommt dadurch zu viel Luft unter die Ski", erklärte Schuster. Dann riss es seinen linken Ski zur Seite weg, Wellinger drehte sich in der Luft und fiel aus fast maximaler Höhe auf den Rücken. Gleichzeitig hatte er aber auch Glück, denn dort, wo er aufkam, hatte der Aufsprunghang bereits die maximale Neigung von mehr als 40 Prozent.

Warum den Rückenprotektor nicht auch einsetzen - wenn er schon erlaubt ist?

Schuster sagt: "Wellinger kannte bislang keine Angst, er ist immer unbeschwert gesprungen. So einen Sturz muss er erst mal aus dem Kopf bekommen." Und alle stehen nun vor offenen Fragen. Womöglich wird eine Diskussion um den Rückenprotektor aufkommen. Warum setzt man ihn nicht ein, jetzt, da er erlaubt ist? Vielleicht ist die Technik nicht ausgereift, aber sollte man sich nicht mehr damit auseinandersetzen? Vielleicht gäbe der Protektor einem Gestürzten wieder Sicherheit?

Womöglich scheucht der die Zweifel auch aus dem Kopf, wenn er nach exakter Analyse weiß, dass er einen bestimmten Fehler nicht mehr begeht. Und vielleicht ist es auch viel einfacher, und der Sturz bleibt erst gar nicht hängen, weil man einer von denen ist, die von Natur aus unbeschwert in die Spur gehen.

© SZ vom 02.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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