Sportpolitik:So will Deutschland zu mehr Medaillen kommen

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Bedroht von der Leistungssport-Reform: Sportarten wie die Rhythmische Sportgymnastik sind weit von Medaillenchancen bei Olympia (hier Jana Berezko-Marggrander) entfernt. (Foto: Kerim Okten/dpa)

Fixierung auf Podestplätze, keine Förderung mehr für schwache Disziplinen und weniger Olympia-Stützpunkte: Die Leistungssport-Reform von Innenministerium und DOSB birgt viel Konfliktstoff.

Von Johannes Aumüller, Berlin

Gut gelaunt marschierten die beiden wichtigsten Protagonisten der deutschen Sportpolitik an diesem Mittwoch in einen Sitzungssaal des Bundestages. Fast eineinhalb Jahre lang arbeiteten das Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) an der großen Reform des Leistungssports. Im Wesentlichen war das Konzept schon länger fertig, aber erst jetzt tragen es die Beteiligten um Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und DOSB-Boss Alfons Hörmann richtig vor. Zu Wochenbeginn erhielten die Mitgliedsorganisationen ein 38-seitiges Eckpunktepapier, am Mittwoch wurde es dem Sportausschuss des Bundestages präsentiert. Mitte Oktober beratschlagen die Spitzensportverbände, es folgt eine öffentliche Anhörung im Parlament.

De Maizière und Hörmann glauben, dass sie mit ihrem Konzept den deutschen Sport wieder erfolgreicher machen können. "Mein Ziel ist es, dass Deutschland als Sportnation wieder ganz vorne mitspielt", sagt der Minister. Noch filigraner und professioneller solle die Förderung künftig ablaufen, mit dem Athleten im Fokus, ergänzt Hörmann. BMI und DOSB erwecken nicht den Eindruck, als könnte sich an ihrem Konzept noch viel ändern. Aber sowohl aus dem deutschen Sport wie aus der Politik ist viel Ärger und Unverständnis zu hören. "Ich bin über das Papier richtig erschrocken", sagt etwa Sportausschuss-Mitglied André Hahn (Die Linke), "und es sind noch viele Fragen offen."

Gleich mehrere Kerngedanken des Konzeptes bergen viel Konfliktstoff. Erstens sind fortan Medaillen die eindeutige Richtgröße, an der sich die Unterstützung für Fachverbände orientiert. Zweitens sollen Disziplinen ohne Erfolgspotenzial grundsätzlich keine Förderung mehr bekommen. Und drittens ist unter Verwendung konzeptüblicher Stichwörter wie "Effizienz" oder "bessere Steuerung" angedacht, die Zahl der Olympia-Stützpunkte von 19 auf 13 sowie die Zahl der Bundesstützpunkte von 204 auf knapp 170 zu reduzieren.

Konzentration auf das Potential eines Athleten

Die finanzielle Unterstützung des Spitzensports durch die Politik ist enorm. Die Bundesministerien und die Länder geben pro Jahr mehrere Hundert Millionen Euro dafür aus. Bei der vorgestellten Reform geht es vor allem darum, wie der Topf des BMI (nach aktuellem Stand zirka 163 Millionen Euro) als größtem Zuwendungsgeber zu verteilen ist. Dafür haben sich die Verantwortlichen ein kompliziertes und mehrstufiges Modell namens "Potas" (Potenzialanalysesystem) ausgedacht. Im Kern soll es nicht mehr Erfolge der Vergangenheit, sondern künftige Erfolgsaussichten honorieren - und stärker auf das Potenzial eines einzelnen Athleten als auf einen Verband zielen. Und zumindest auf den ersten Blick sieht es objektiv aus und reduziert es den Einfluss des DOSB.

Stufe eins ist eine neu geschaffene und aus fünf Personen bestehende Kommission. Zwei Vertreter kommen vom DOSB und seiner Führungsakademie, die anderen sind Wissenschaftler, die Leitung ist extern. Zirka 500 000 Euro soll diese Kommission kosten. Sie bewertet anhand von 20 Haupt- und 59 Unterkriterien nicht nur Verband für Verband, sondern Disziplin für Disziplin, und verteilt Punkte. Zu den Kriterien gehören verschiedene Aspekte des Sports, etwa das Abschneiden bei den zurückliegenden Spielen, die Repräsentanz in internationalen Gremien bis zur rechtlich diskutablen Vorgabe, dass der Sportdirektor eines Verbandes in sportfachlichen Fragen autonom und unabhängig vom Verbandspräsidenten Entscheidungen treffen können muss.

Je nach Bedeutung zählt ein Attribut unterschiedlich stark, dann kommt alles in einen Rechner, und am Ende landet jede Disziplin (nicht jede Sportart) in einem sogenannten Cluster. Das oberste heißt "Exzellenzcluster" und darf mit optimaler Förderung rechnen. Dann kommt das "Potenzialcluster" mit teilweiser Förderung. Und schließlich bleibt das Cluster für die Disziplinen mit wenig oder keinem Potenzial - und die kriegen dann "grundsätzlich keine Förderung", wie es im Papier heißt. Das ist offenkundig ein Widerspruch zu der Darstellung des DOSB, der während des Reformprozesses stets postulierte, er wolle keine Sportart im Regen stehen lassen.

Allerdings ist mit dieser Clusterung der Förderprozess nicht abgeschlossen. Auf die Arbeit von Potas folgen die Strukturgespräche unter Leitung des DOSB, und schließlich steht der Entscheid der Förderkommission an, in der BMI, DOSB sowie je nach Fall auch die Länder sitzen. Nur wenn alle Beteiligten die Förderung goutieren, fließt das Geld. Der Minister hat ein Veto-Recht. In diesen Schritten wird die Frage sein, wie verbindlich die Beteiligten und insbesondere der DOSB die objektiv ermittelte Grundlage tatsächlich nehmen - und wie viel Handlungsspielraum sie sich herausnehmen.

Wie viel Geld das BMI dem Spitzensport am Ende zur Verfügung stellt, ist noch unklar. Der DOSB reklamiert seit Jahren einen ordentlichen Mehrbedarf, den wollte das Ministerium nicht zusichern. Allerdings sagte de Maizière am Mittwoch nach der Präsentation im Sportausschuss: "Es spricht aber einiges dafür, dass wir mehr Geld brauchen werden." DOSB-Präsident Hörmann drängt unabhängig davon auf eine "Anschubfinanzierung" fürs kommende Jahr und eine entsprechende Erhöhung des derzeit auf 163 Millionen Euro festgesetzten Etats.

Mehr als eineinhalb Jahre lang lief die Diskussion vor allem hinter verschlossenen Türen ab. Viele Verbände beklagten eine mangelhafte Informationspolitik. Nun ist die Frage, ob sich noch einmal eine Debatte entspannt. "Es sticht ins Auge, dass die Förderung komplizierter und bürokratisch deutlich aufwendiger wird", sagt Clemens Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Inhaltlich bestünde die Gefahr, "dass wir für kurz- und mittelfristigen Erfolg langfristig Sportarten opfern". Es ist in der Tat fraglich, wie eine Disziplin, die keine Förderung mehr erhält, sich jemals wieder förderungswürdig aufstellen kann.

Mit dem Linken-Politiker Hahn, Matthias Schmid (SPD) oder Özcan Mutlu (Grüne) zweifeln mehrere Abgeordnete, ob eine Konzentration auf Medaillen richtig sei. Und bei der Frage nach Olympia- und Bundesstützpunkten erklingen überall in der Republik Stimmen, wonach es bitte nicht die Institution im eigenen Bundesland, eigenen Wahlkreis oder in der eigenen Kommune betreffen soll.

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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