Skispringerin Daniela Iraschko:Nach Sotschi als Athletin, nicht als Vorzeige-Lesbe

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Skisprung-Weltmeisterin 2011: Daniela Iraschko (Foto: Getty Images)

Verdruckst ist die österreichische Skispringerin Daniela Iraschko nicht, doch statt zu reden trainiert sie lieber fokussiert: Über die schwierige Vorbereitung einer lesbischen Sportlerin auf die Winterspiele in einem Land, in dem es ein Anti-Homosexuellen-Gesetz gibt.

Von Thomas Hahn, Innsbruck

Die Flitterwochen kommen später, das hat Isabel natürlich verstanden nach der Hochzeit am letzten Samstag im August. Denn Daniela hat große Ziele. Daniela ist Daniela Iraschko, 29, eine Pionierin des Frauen-Skispringens, Weltmeisterin von 2011. Im nächsten Februar will sie eine Medaille bei der olympischen Premiere ihres Sports in den russischen Kaukasus-Bergen hinter Sotschi gewinnen. Die Herausforderung ist beträchtlich, weil die jugendliche Konkurrenz keineswegs ehrfurchtsvoll erstarrt vor den Verdiensten der Österreicherin. Und die Aufgabe ist auch nicht leichter geworden durch den Umstand, dass Daniela Iraschko nach einem blöden Sturz beim Weltcup in Hinterzarten bis vor Kurzem einen Kreuzbandriss auszukurieren hatte.

Isabel muss geduldig sein. Daniela muss jetzt viel an sich arbeiten, damit sie im bevorstehenden Winter ihrem Ehrgeiz gerecht wird. Und vielleicht auch, um das eine oder andere Zeichen zu setzen, das über den Sport hinausweist?

Seit vier Wochen springt Daniela Iraschko wieder. Die ersten Versuche von der 105-Meter-Mattenschanze in Stams nahe ihrer Wahlheimat Innsbruck haben sich gleich ganz gut angefühlt. Am Samstag kann sie bei den österreichischen Meisterschaften in Stams prüfen, was das wert ist. Und auch wenn das verheilte Knie Beweglichkeit eingebüßt hat und Daniela Iraschko mit leisem Bedauern sagt: "Es ist doch ein bisserl ein anderer Fuß jetzt" - sie ist gerade auf einem guten Weg zur Endstation ihrer sportlichen Sehnsucht: zu den Olympischen Spielen, die für sie bis April 2011 unerreichbar waren, weil Frauen-Skispringen erst da ins Spiele-Programm rückte.

Dieser Weg hat gerade einen sehr hohen Stellenwert in ihrem Leben. Und deshalb kann sie jetzt schon sagen, dass sie sich vor Sotschi nur für Medaillen-Erwartungen zuständig fühlen wird. Nicht für die Themen jener gesellschaftlichen Minderheit, der sie selbst angehört. Bei Olympia, sagt sie, "zählt für mich nur das Sportliche".

Daniela Iraschko weiß, dass viele Betrachter in ihrem Olympia-Start ein Politikum sehen. Das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz, welches "die Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen vor Kindern" verbietet, hat schon bei der Leichtathletik-WM im August in Moskau Diskussionen entfacht. Bei Olympia in Sotschi wird es wieder welche geben. Daniela Iraschko hat schon jetzt viele Anfragen dazu, "gerade von russischen Medien". Und dass sie als Olympia-Kandidatin kurz nach den Moskauer Debatten ihre langjährige Freundin Isabel heiratete, passte zur Situation wie die Faust aufs Auge.

"Das ist wirklich blöd gefallen", sagt Daniela Iraschko, "jetzt klingt es, als wäre es eine Fleißaktion." Es sollte keine sein. "Wenn ich gewusst hätte, dass das mit Russland so eine große Geschichte wird, dann hätten wir die Hochzeit früher gemacht."

Daniela Iraschko ist eine drahtige Frau mit wachem Geist und einer sehr eigenen Aura, die Jugend und Reife gleichermaßen ausstrahlt. Einerseits ist sie ein klarer Fall für Schubladendenker, zumal sie nicht nur skispringt, sondern nebenbei auch noch beim Tiroler Erstligisten Wacker Innsbruck Fußball spielt; nach Jahren im Tor mittlerweile im Sturm. Daniela Iraschko sagt über sich selbst: "Da gibt es ein Mädel, das tut Fußball spielen, skispringen, und es steht auf Frauen - voll das Klischee."

Andererseits ist sie derart gelassen, dass sie in ihrer persönlichen Freigeistkultur genug Platz fürs Bürgerliche lässt. Zum Interview kommt sie mit dem Skateboard, aber normalerweise fährt sie mit dem Rad. Gesellschaftliche Konventionen interessieren sie wenig. Andererseits schwärmt sie von ihrem Staatsdienst als Sportpolizistin und glaubt an die Ehe. Und was ihre politische Einstellung angeht, so hat sie durchaus eine Meinung. Aber bei Olympia möchte sie als Athletin funktionieren dürfen.

Sie ist im Steiermark-Städtchen Eisenerz groß geworden. Sie hat dort früh gelernt, dass man am besten da spielt, wo das Herz einen hinführt. Die großen Leute haben einst durchaus versucht, ihr klarzumachen, dass Mädchen nicht Fußball spielen und nicht skispringen. Aber Kinder sind manchmal klüger. "Wir waren so eine Clique und haben Fußball gespielt, da waren genauso viel Mädels wie Buben."

Und als sie zum Skispringen wollte, bettelte sie so lange, bis die Eltern sie hinließen. "Mit elf denkst du an solche Unterschiede gar nicht. Du denkst: Ja, ja, sollen's reden, die Erwachsenen." Und diese arglose Vernunft leitete sie auch später, als es um ihr Lieben ging: "Ich hab' es gleich jedem gesagt und fertig war's." Verdruckst ist sie jedenfalls nicht. Trotzdem will sie sich nicht rumreichen lassen als die Vorzeige-Lesbe für Sotschi.

Sie hat Respekt vor der heterosexuellen schwedischen Hochspringerin Emma Green-Tregaro, die bei der WM in Moskau aus Solidarität ihre Fingernägel in Regenbogenfarben lackiert hatte. "Es ist mutig, ein Zeichen zu setzen", sagt Daniela Iraschko, "aber in meiner Situation geht es einfach nicht." Sie will ihre Medaillen-Aussicht nicht für Aktionen drangeben, die sie selbst nicht für wirksam hält. "Natürlich, ich finde das russische Gesetz auch nicht so toll, aber ich finde vieles auf dieser Welt nicht so toll."

Sie will sich nicht überschätzen, und wer in Deutschland oder Österreich einen Spiele-Boykott empfiehlt, den erinnert sie daran, dass Mitteleuropa nicht gerade Vorreiter ist beim Thema gleichgeschlechtliche Partnerschaft. "Schweden hat uns ja auch nicht boykottiert vor 20 Jahren. Das ist eigentlich das gleiche. Was Homosexuellen-Rechte betrifft, sind die Skandinavier schon seit Jahren voraus."

"Das Thema ist so heikel", sagt Daniela Iraschkos Manager Hans Gschwendtner. Die meisten Interview-Anfragen an Daniela Iraschko zu Homosexualität und Olympia lehnt er deshalb ab. Und man merkt ihm an, dass er ein bisschen Angst davor hat, Daniela Iraschko könnte sich mit einer unbedachten Aussage schon jetzt ihre Olympia-Ambitionen zerstören.

Daniela Iraschko selbst sagt: "Ich denke jetzt absolut nicht drüber nach, was da auf mich zukommt." Sie will eigentlich auch gar nicht so unangespannte Absagen ans Thema Homosexualität und Gesellschaft richten. "Es ist ja auch nicht so schlecht, wenn ein bisschen drüber geredet wird, das verändert sicher auch was."

Daniela Iraschko schaut jetzt erst mal und arbeitet. Es gibt noch viel zu tun, um bei Olympia gut zu sein. Sonst hätten Daniela und Isabel ja auch gleich in die Flitterwochen fahren können.

© SZ vom 02.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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