Skispringer Severin Freund:"Die Sache war für mich durch"

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Es hat doch gereicht: Severin Freund in Planica (Foto: imago/GEPA pictures)
  • Severin Freund ist eher ein Arbeiter- als ein Winner-Typ. Doch Schritt für Schritt hat der Skispringer seine Fähigkeiten verfeinert.
  • Den Gesamtweltcup gewinnt der 26-Jährige so knapp wie nie einer zuvor - weil ihm plötzlich doch etwas zufliegt.
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Von Volker Kreisl, Planica/München

Grob betrachtet gibt es zwei Typen von Siegern im Sport. Dem einen, so heißt es mit einem Hauch von Bewunderung, fliegt alles zu. Der andere, sagt man mit einem Hauch von Trost, muss sich alles hart erarbeiten. Severin Freund zählte bislang zur zweiten Kategorie, wie von selbst war bei ihm ja lange nichts gelaufen, und nach einer erfolgreichen Saison schien dieses Weltcupfinale in Planica/Slowenien wieder eine Enttäuschung zu werden. Aber dann flog ihm doch noch etwas zu, und zwar ganz real, es war genauer gesagt ein Mensch, ein Skispringer mit Namen Jurij Tepes.

Der Slowene Jurij Tepes und sein Fabelflug waren wohl das Wichtigste, was Severin Freund bislang passiert ist in seinem Skispringerleben. Freund stand ja schon unten, mühsam lächelnd, im Prinzip geschlagen im Kampf um den Gesamtweltcup. Lange hatte der Rastbüchler geführt nach seiner Siegesserie im Spätwinter, aber bei den letzten Springen in Planica klappte fast nichts mehr. Wer, dachten Fans und Beobachter, soll den Rivalen Peter Prevc, der in Planica so weit und so lässig sprang, noch aufhalten? "Die Sache war für mich durch", sagte Freund über den Moment, als er von unten oben die Kante des Schanzenvorbaus fixierte, hinter der nun Tepes hervorschwebte und auf ihn zuflog.

Regungslos wie ein Blatt Papier lag er auf der Luft, legte sich fast wie ein Schlafender auf das Luftpolster und hörte einfach nicht mehr auf zu fliegen. 244 Meter weit kam er, in einen Bereich, in dem die Knie eigentlich keine Telemarklandung mehr vertragen, aber Tepes, so musste es sein, dachte in diesem Moment an gar nichts, nicht an seine Knie, auch nicht an seinen Landsmann Prevc: Der musste ja dieses letzte Springen gewinnen, um noch Gesamtsieger zu werden. Tepes, der 26-Jährige aus Ljubljana, landete sauber im Ausfallschritt, erhielt fünfmal die sogenannte Traumnote 20,0 und eine Gesamtpunktzahl, an der Prevc vier Minuten später scheiterte. So stand Severin Freund am Ende doch ganz oben.

Der 26-Jährige holte sich den nächsten wichtigen Titel in dieser Saison nach dem Einzel-Gold von der Großschanze bei der WM in Falun. Er ist jetzt nach Jens Weißflog (1984) und Martin Schmitt (1999 und 2000) der dritte deutsche Skisprunggesamtweltcupgewinner, und so lang wie dieses Wort ist, so wichtig ist ihm der Titel: "Der Gesamtweltcup ist das Größte, was man als Skispringer gewinnen kann." Er gewann so knapp wie nie einer zuvor, 1729 zu 1729 - punktgleich mit Prevc, aber mit neun Weltcupsiegen gegenüber drei. Und sehr überraschend - weil er den fast sicheren Sieg ja schon abgegeben hatte, obwohl er sich, wie es tröstend heißt, echt bemüht habe, aber eben ein Arbeiter- und kein Winner-Typ sei. Doch womöglich stimmt sie auch gar nicht, diese Sportler-Einteilung in leichte Sieger und schwere Arbeiter.

Freunds Trainer Werner Schuster jedenfalls wehrt sich gegen diese Stigmatisierung. Gewiss, Freund brauchte länger als andere, um ein überragendes Niveau zu erreichen. Dafür aber, sagt Schuster, habe er eine einzigartige Stärke, die mehr ist als die bloße Fähigkeit, viel zu trainieren und die Zähne zusammenzubeißen. Zu Saisonbeginn verglich Schuster Freund mit dem österreichischen Tennisprofi Thomas Muster. Dem wurde auch lange das große Talent abgesprochen, bis ihm dieser Ruf zu lästig wurde. Schuster erinnerte sich an einen Satz Musters: "Was wollt Ihr eigentlich immer mit euerm Talent? Wisst's was? Ich hab' auch Talent! Talent zum Arbeiten!"

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Lernfähigkeit, soll das heißen. Neugierde, schnelles Erfassen von Fehlentwicklungen und besseren Techniken, Selbstorganisation, effektives Erholen und, ja, die Fähigkeit, sich zu überwinden. Wenn man so will, dann ist die Lernfähigkeit auch etwas, was man nicht lernen kann. Nach seinem WM-Sieg in Falun vor vier Wochen hatte Schuster Severin Freund als den Weltmeister der kleinen Schritte bezeichnet. Stufe um Stufe hat er seine Fähigkeiten verfeinert und seine Titelsammlung vergrößert. Dem Olympia-Teamsieg in Sotschi folgte der Skiflug-WM-Titel. Daraufhin in Falun Silber von der Kleinschanze, Gold mit dem Mixed-Team und von der Großschanze.

Vor allem in den vier Wochen danach bestätigte Freund, dass man als arbeitender Sportler in einen scheinbar endlosen Genussmodus kommen kann. 13 Mal kam er auf das Podest, nur einmal nicht, da wurde er Vierter. Er reihte vier Siege aneinander und kam nach Planica mit dem Ruf, auf jeder Schanze zurechtzukommen.

Doch die umgebaute Letalnica von Planica war Freund fremd, er musste zurückschalten in den Arbeitsmodus, um jeden Meter kämpfen und wenigstens Siebter werden, damit das Glück nach vier Monaten und 37 Wettkämpfen eine Chance hatte. Es kam dann in Person eines Konkurrenten daher, und das ist in Anbetracht der gesamten Geschichte dieses Winters nicht ungerecht. Denn fliegt nicht jedem Champion irgendwann ein Tepes zu?

© SZ vom 23.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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