Skispringen: deutsches Team:Wachstumsstörung

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Die deutschen Skispringer sind mit mäßigen Ergebnissen in die Weltcup-Saison gestartet. Das liegt auch daran, weil sie mit einer guten Idee zu kämpfen haben.

Thomas Hahn

In der kleinen Skisprungwelt hat es die Kräfte wieder ziemlich durcheinandergewirbelt. Aber man weiß gar nicht, ob man davon überrascht sein soll oder nicht. Bewährte Leute sind zurückgefallen, junges Personal blüht auf, ewige Favoriten stehen wieder vorne. Es führt der Olympiasieger Thomas Morgenstern aus Österreich nach seinen zwei Siegen von Lillehammer am Wochenende, ein Mann, der schon häufig ausgedehnte Weltcup-Hochs verzeichnete.

Bester deutscher Springer derzeit: Michael Neumayer beim Weltcup-Springen in Kuopio. (Foto: dpa)

Andererseits ist Gregor Schlierenzauer, Austrias gefeiertes Sprungwunderkind, ins Mittelfeld gerutscht - so etwas kannte man von dem Olympia-Dritten bisher nicht. Verdrängt haben ihn unter anderen der junge, bisher eher unauffällige Finne Ville Larinto, 20, derzeit Gesamtweltcup-Zweiter, der alte Finne Matti Hautamäki, 29, nach Jahren der Krise aktuell Fünfter, sowie der viermalige Olympiasieger Simon Ammann (Vierter). Die gewohnten Hierarchien bestehen noch, aber sie weisen ein paar Verschiebungen auf. Und die Deutschen? Tiefer Seufzer.

Werner Schuster, der Sprung-Bundestrainer des Deutschen Skiverbandes (DSV), tut erst gar nicht so, als wäre er bester Stimmung. Das geht auch gar nicht, weil er erstens noch die Nachwirkung einer heftigen Erkältung spürt. Zweitens, weil die Ergebnisse für sich sprechen. Am Freitagabend gewann Severin Freund von der DJK Rastbüchl, 22, vor Pascal Bodmer aus Meßstetten, 19, die Qualifikation von Lillehammer, da merkten die Fachleute daheim kurz auf - aber im Wettkampf ging dann kaum etwas.

Der Zwischenstand nach fünf Springen und einer anstrengenden Finnland/ Norwegen-Tour von Kuusamo über Kuopio nach Lillehammer weist Michael Neumayer als besten Deutschen im Klassement aus - auf Rang 13. Es folgt Freund (18), der Rest des Teams steht unter "ferner sprangen". Der WM-Zweite Martin Schmitt hat erst am Sonntag als 23. seine ersten Weltcup-Punkte eingebracht. Es waren acht. Werner Schuster sieht das alles selbst und nennt die Lage "nicht sehr befriedigend, nicht sehr aufbauend".

Leichter ist die Aufgabe durch diesen Einstieg jedenfalls nicht geworden. Seine Aufbauarbeit, die Schuster 2008 nach Jahren des Schlendrians in der Sprungabteilung des DSV aufnahm, wird ohnehin erschwert durch die Tatsache, dass es in seinem Team keine Jahrhunderttalente vom Schlage eines Morgenstern gibt, sondern nur die guten Alten Neumayer, Schmitt, Michael Uhrmann und die begabten Jungen Freund und Bodmer. An guten Tagen sind sie alle für beachtliche Platzierungen gut, das haben sie zuletzt mit guten Trainings- und Qualifikationssprüngen angedeutet. Aber im Wettkampf hapert es. Schuster sagt: "Wir haben Umsetzungsprobleme. Wir sind besser, als es auf der Resultatliste steht."

Aber Schuster wäre nicht Schuster, wenn er nicht noch eine etwas tiefere Ursache für den durchwachsenen Start liefern könnte. Die Konkurrenz hat im Sommer auf ein neues Bindungssystem umgestellt, welches bewirkt, dass die Ski nach dem Absprung nicht so stark aufkanten und damit mehr Tragfläche gewähren. Auch die Deutschen vertrauen auf ein neues Bindungssystem, allerdings auf eines, welches noch neuer ist als das neue. Schuster will noch nicht zu ausführlich darüber sprechen, was der besondere Kniff an dem Material ist, er sagt nur, dass es sich um "eine mutige, visionäre Idee" handle.

Klare Pläne

Aber offensichtlich funktioniert die Idee so gut, dass die neue Aerodynamik seine Leute sprungtechnisch überfordert. Eine bessere Aerodynamik der Ski muss ein Springer in der Luft eben auch erstmal kontrollieren können. "Die Anpassung ist noch nicht in dem Maße gelungen", sagt Werner Schuster, auch bei Severin Freund noch nicht, der in der Vorbereitung zu den Trainingsbesten in seinem Kader gehörte, der auch auf der kleinen Skandinavien-Tour schon mit mäßigen Sprüngen gute Weiten erzielte und der nun erstmals in seiner Springer-Karriere die Möglichkeit in sich spürt, im Weltcup etwas zu reißen. "Da muss man mental mitwachsen", sagt Schuster. Für ihn passt ins Bild, dass Michael Neumayer gerade die besten Ergebnisse einbringt. Neumayer setzt auf eine konservativere Bindungsvariante.

Der Bundestrainer ist überzeugt von seiner Materiallösung: "Die Idee ist definitiv richtig", an dieser Meinung ändern auch die jüngsten Ergebnisse nichts. "Das Wichtigste ist jetzt die Konzepttreue. Das Schlimmste wäre es, alles umzuschmeißen."

Skispringen erfordert klare Pläne, es verbietet Zickzack-Kurse von einer Übersprungshandlung zur nächsten. Deshalb stellt Werner Schuster jetzt nichts in Frage. Geduldig weiterarbeiten - das ist sein Gebot der Krise. In Wettkämpfen und Zwischentraining sollen sich seine Leute die Sicherheit mit ihrem neuen Material erarbeiten, die sie spätestens bei der Vierschanzentournee ab 28. Dezember auf stattlichere Weiten fliegen lässt.

Nächstes Wochenende ist der Weltcup in Harrachov/Tschechien, die nächste Chance, unter Wettkampfbedingungen zu proben, und Schuster ist sicher, dass die Kräfte zurückkehren werden. Seine Erkältung jedenfalls ist eindeutig am Abklingen.

© SZ vom 07.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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