Ski: Maria Riesch:Alles auf Speed

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Kann Maria Riesch endlich Katja Seizinger beerben? Die beiden Abfahrtssiege in Lake Louise gegen Lindsey Vonn zeigen, dass sie im WM-Winter auch das Zeug für den Gesamtweltcup hat.

Michael Neudecker

Lindsey Vonn ist in den vergangenen Wochen oft nach Maria Riesch gefragt worden, so geht das Spiel im alpinen Ski-Weltcup der Frauen ja seit Jahren: Vonn gegen Riesch, Riesch gegen Vonn, die beiden Freundinnen, und meistens antworten die beiden das gleiche. Und doch hat sich etwas verändert in diesem Winter, neulich antwortete Vonn: Sie habe das Gefühl, Maria Riesch komme ihr immer näher, es werde sehr schwierig, den Gesamtweltcup das vierte Mal in Serie zu gewinnen, sie verspüre, sagte Vonn, "einen Extradruck".

Zwei Siege gegen Lindsey Vonn: Maria Riesch bei der Abfahrt in Lake Louise. (Foto: AP)

Sie weiß nun, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hat: Am Wochenende unterlag Vonn Riesch bei den beiden Abfahrten von Lake Louise, den ersten Geschwindigkeitsrennen der Saison, um zwölf Hundertstel am Freitag und zehn Hundertstel am Samstag.

Dass Maria Riesch in zwei Tagen zwei Abfahrten gegen Lindsey Vonn in Lake Louise gewinnt, das ist durchaus überraschend: In Lake Louise hat Vonn 2004 ihren ersten Abfahrtssieg im Weltcup gefeiert, seitdem hat sie dort von neun Rennen sechs gewonnen, und keinen Berg, sagt Vonn, kenne sie so gut wie den im Naturschutzgebiet von Alberta. Als Vonn in der vergangenen Saison dort das fünfte Rennen in Serie gewann, sagten die Leute nicht mehr "Lake Louise", sondern: "Lake Lindsey". Und jetzt hat Maria Riesch in Lake Louise ein Ausrufezeichen hinter ihrem Namen gesetzt, ein sehr dickes Ausrufezeichen.

Im Gesamtweltcup liegt Maria Riesch nun 189 Punkte vor Lindsey Vonn, nach sechs Rennen ist das ein ordentlicher Vorsprung. Vonn gegen Riesch, manchen im Weltcupzirkus nervt das natürlich, diese Reduzierung einer ganzen Branche auf ein einziges Duell. Aber gerade in Kanada wurde wieder einmal deutlich, dass es eben das ist, worum es vor allem geht: Am Samstag lag die Drittplatzierte, die Schweizerin Dominique Gisin, über ein halbe Sekunde hinter Riesch und Vonn.

Seit elf Abfahrten hieß die Siegerin stets Vonn oder Riesch, und es besteht kein Zweifel daran, dass auch der Gesamtweltcup 2010/11 nur zwischen diesen beiden entschieden wird. Aber vermutlich war das Duell nie so spannend, wie es in dieser Saison sein wird: Maria Riesch hat zum ersten Mal eine echte Chance, am Saisonende die Gesamtbeste zu sein. Sie wäre die erste Deutsche seit Katja Seizinger im Jahr 1998, der das gelingt.

Noch in der vergangenen Saison war Vonn für Riesch unerreichbar, weil sie in der Abfahrt dominierte wie selten eine Fahrerin vor ihr. In den technischen Disziplinen ist Riesch Vonn zwar überlegen, um aber im Gesamtklassement gleichauf zu sein oder gar besser, würde sie sich in den Geschwindigkeitsdisziplinen steigern müssen, das war die Ausgangslage in diesem Sommer.

Und deshalb, sagt Wolfgang Maier, Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes, habe man die Saisonvorbereitung umgestellt: "Wir haben den Speed-Bereich um Maria herum organisiert." Im September sind sie nach Chile geflogen, Riesch und ihre Kolleginnen Gina Stechert und Isabelle Stiepel fuhren zwölf Trainingstage nur Abfahrt und Super-G. Als die Saison begann, hatte Maria Riesch etwa doppelt so viele Speed-Tage absolviert wie in der vergangenen Saison.

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Dann ist da noch der Ski: Lindsey Vonn fährt in der Abfahrt mit einem Männerski, als einzige, in der vergangenen Saison war das eines der dominierenden Themen in der Szene. Neben Vonns Ski, stellte Riesch einmal fest, "sehen meine aus wie Kinderski". Männerski sind härter, länger und breiter als Frauenski, wuchtiger also, weshalb sie mehr Laufruhe ermöglichen, aber eben auch mehr Kraft erfordern.

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Für Riesch war klar, dass ihre Kraft für einen solchen Ski nicht reicht. Noch unter Mathias Berthold, dem Vorgänger des jetzigen Frauen-Cheftrainers Tom Stauffer, wurde an einer Alternative gearbeitet, zusammen mit ihrem Ausrüster und Servicemann Stefan Böhler.

Die Zusammensetzung des Materials, das Setup, ist das Resultat einer nie endenden Tüftlerei, und Rieschs Ausrüster und der DSV bastelten monatelang an einem Ski, der auf Rieschs Bedürfnisse zugeschnitten ist. Heraus kam ein neues Modell, das Riesch "eine Art Zwischending zwischen Männerski und Frauenski" nennt. Der Kern dieses neuen Skis ist härter als bisher; ein Rennski kann in seiner Zusammensetzung wegen seiner Sandwich-Bauweise in Nuancen verändert werden, er besteht aus mehreren Schichten, die in Handarbeit zusammengelegt und dann in einer Presse verklebt werden. Zudem ist er länger, in der vergangenen Saison fuhr Riesch bei einer Körpergröße von 1,81 Meter 2,10 Meter lange Ski, das neue Modell misst 2,15 Meter.

Natürlich hat auch Vonn einiges versucht im Sommer, sie hat ihr Trainingsprogramm umgestellt, hat mit Leichtathleten in Kalifornien besonders Schnellkraft trainiert. Sie wirkt nun tatsächlich fitter als zuvor, beim ersten Abfahrtsrennen in Lake Louise etwa gelang es ihr, einen sicheren Sturz abzuwenden: In einer Linkskurve katapultierte sie ein Hügel kurz in die Luft, sie fuhr auf einem Bein, das andere hüfthoch über dem Boden, lag mit der Hüfte im Schnee - und richtete sich in der Fahrt auf und ging sofort wieder in die Abfahrtshocke. "Recovery" nennt der Amerikaner so eine Erholung während der Fahrt, und das, sagt Vonns Speed-Trainer Chip White, sei "eine der aufregendsten Recoveries der Skigeschichte" gewesen.

Nur: Es reichte nicht. "Maria war einfach besser", sagte Vonn, als die Siegerehrung vorbei war. Aber das nächste Mal, fügte sie an, "bin ich wieder vorn". Sportler sagen solche Sätze, um ihren unbedingten Willen, ihre Stärke zu demonstrieren. Manchmal brauchen sie das auch für sich selbst.

In der Vergangenheit waren solche Sätze von Lindsey Vonn sehr selten zu hören. In der Vergangenheit brauchte sie das nicht.

© SZ vom 06.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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