Ski alpin:Wechselnde Winde

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Haarscharf an der gemeinen blauen Stange vorbei: Fritz Dopfer in Santa Catarina. (Foto: Oliver Morin/AFP)

Fritz Dopfer und Felix Neureuther werden im Slalom von Santa Caterina zeitgleich Vierte - und gehen mit unterschiedlichen Gemütslagen ins neue Jahr.

Von Johannes Knuth, Santa Caterina/München

Der Begriff "halbscharig", das sei allen Lesern in den nördlichen Breitenkreisen dieser Nation noch zugerufen (dem Münchner Verständnis nach also ungefähr allen Einwohnern nördlich von Schwabing), der Begriff halbscharig also bezeichnet eine Ware von minderwertiger Qualität. Die Bauern prägten den Begriff einst, wenn die Wolle ihrer halbjährlich geschorenen Schafe nicht den Qualitätsstandards entsprach. Mittlerweile hat sich der Begriff auch über den Agrarsektor hinaus als abwertendes Adjektiv etabliert ("So a halbscharigs Glump!"), zumindest in Bayern. Auch ein Slalomlauf kann von halbscharigem Wert sein, zumindest, wenn man dem Skirennfahrer Fritz Dopfer trauen darf. "So halbscharige Läufe", sagte er am Mittwoch nach dem Slalom in Santa Caterina, "habe ich in dieser Saison ja schon genug gezeigt." Dann lächelte Dopfer warm in die Kamera, in der Gewissheit, gerade einen ganz und gar nicht halbscharigen Lauf vorgeführt zu haben. Er sagte: "Das ist ein genialer Start ins neue Jahr."

Die zuletzt krisenfesten Techniker im Deutschen Skiverband haben eine knifflige erste Saisonhälfte hinter sich. Felix Neureuther, am Mittwoch zeitgleich mit Dopfer Vierter hinter Sieger Marcel Hirscher aus Österreich, hatte seine Vorbereitung nur bedingt während des dafür zugedachten Sommers eingeleitet, sondern mit den ersten Rennen; er hatte erst seine hartnäckigen Rückenschmerzen aus dem Körper treiben wollen. Die Adjutanten, die es in Neureuthers und Dopfers Sog zuletzt bis in die vorderen Ränge gespült hatte, kämpften mit den Tücken ihres Metiers: Stefan Luitz zum Beispiel verschenkte in Beaver Creek einen Podiumsplatz durch einen schweren Pilotenfehler. Und dann war da Dopfer, den es zum Saisonbeginn in zweifacher Ausfertigung gab: den Dopfer, der bei der WM im Februar im Slalom eine Silbermedaille mitgenommen hatte und mit "Rückenwind" in die Vorbereitung gerauscht war. Und den Dopfer, der sich dank mauer Schneebedingungen im Sommer leicht verunsichert in die Saison getastet hatte. Plötzlich fuhr er so verhalten, als blase ihm strammer Gegenwind ins Gesicht.

Nach Weihnachten, sagt Neureuther, "hatte ich eine nicht so einfache Zeit"

Dopfer, das muss man wissen, hat sich nicht über Nacht in die Weltspitze gedrängelt, wie andere Hochbegabte. Er ging seinen Weg, mit vielen kleinen Schritten, aber ungeheuer fleißig, eine Einstellung, die ihm die Eltern vermachten. Wenn Mathias Berthold, Cheftrainer der DSV-Männer, über Dopfer spricht, klingt Anerkennung aus seinen Worten: "Er ist ein Perfektionist. Als Profi ist Fritz einfach Wahnsinn, der trainiert . . .", Berthold überlegt kurz, ". . . immer". Dopfer braucht aber auch eine gewisse Sicherheit, um diesen Trainingsfleiß in Wettkampfresultate zu überführen, und wenn diese Sicherheit minimal zusammenschmilzt, fällt er schnell aus dem Kreis der Besten. So wie zum eher halbscharigen Saisonbeginn. "Ein 'War ganz okay' gibt es bei ihm eigentlich nicht", sagt Berthold. Sie dürften im DSV also mäßig überrascht sein, dass der 28-Jährige jetzt, mit aufgefrischter Sicherheit, wieder der Elite auf die Pelle rückt. "Du musst extrem viel kämpfen auf diesem Hang, du musst extrem viel von dir aus machen", sagte Dopfer am Mittwoch noch. Das war ihm extrem gut gelungen.

Neureuthers Freude war derweil nicht ganz so wohltemperiert. Der vierte Platz sei "top", sagte er, keine Frage. Aber Neureuther hatte in jeden seiner Läufe einen Fehler eingebaut; im zweiten war er nach einer Kuppe durch die Luft gerauscht, beim Ski-Freestyle hätten sie Bestnoten gezückt, beim Slalom allerdings, stellte Neureuther fest, "war das nicht so sexy". Er wusste, dass er Alexander Choroschilow, den Dritten hinter Hirscher und dem erneut starken Norweger Henrik Kristoffersen, noch hätte erwischen können.

Man muss Neureuthers Erträge freilich immer im Angesicht seines Aufwands deuten, "ich hatte nach Weihnachten eine nicht so einfache Zeit", sagte er. Wieder der Rücken, wieder hatte er Trainingseinheiten verpasst. "Ich bin froh, wenn es jetzt auf die traditionellen Hänge geht", sagte er noch, nach Adelboden und Wengen; Neureuther kann dort mit seiner Erfahrung und dem Gefühl fürs Terrain sein Können noch besser zur Geltung bringen. Wobei das in Wengen, wo er im Vorjahr gewann, nur bedingt möglich sein wird: Die Organisatoren haben den Slalom wegen Schneemangels in den Zielbereich der Abfahrtspiste verlegt.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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