Ski alpin:Wärmendes vom Ganslernhang

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Felix Neureuther kehrt beim Slalom in Kitzbühel wieder an jenen Ort zurück, an dem er vor sieben Jahren in die Weltspitze aufstieg. Und jetzt? Sucht er das Glück von früher.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Felix Neureuther hat in diesen Tagen mal wieder diese Geschichte erzählt: Wie er vor sieben Jahren in Kitzbühel seinen ersten Weltcup gewann, auf dem Ganslernhang, wie der Vater 31 Jahre zuvor. Wie er nicht wusste, dass die Eltern angereist waren, wie er erst Vater Christian im Ziel empfing, wie er dann Mutter Rosi beim Spaziergang zum VIP-Zelt zufällig antraf. Und wie Rosi Mittermaier bei der Familienzusammenführung erst einmal entsetzt auf die Turnschuhe starrte, mit denen der Sohn durch den kalten Schnee stapfte: "Ja sag amol", schrie sie, "zieh dir mal was G'scheites an!"

Der erste Sieg in Kitzbühel war ein "Meilenstein meiner Skikarriere", sagt Neureuther

Der Skirennfahrer Felix Neureuther, 32, wärmt sich gerade wieder öfters an Erinnerungen wie diesen, jetzt, da der Slalom auf dem Ganslernhang am Sonntag näher rückt. Erinnerungen können eine Kraftzelle sein, weil sie etwas zurückbringen, Geräusche, Gerüche, Gefühle. Man trägt ja immer nur Dinge im Gedächtnis, die für einen selbst wichtig sind. Und wenn Neureuther in diesen Tagen an Kitzbühel denkt, dann denkt er an Turnschuhe, er denkt an "einen Meilenstein in meiner Skikarriere". Und er begibt sich wieder auf die Suche nach diesem Gefühl des Erfolgs, "nach dem Glück", sagt Neureuther, "das ich bis vor zwei, drei Jahren hatte".

Neureuther war vor sieben Jahren in Kitzbühel noch der Ruf des Hochbegabten vorausgeilt, seit Jahren, begünstigt durch die Gene seines Elternpaares, das olympische Wettbewerbe (Mittermaier) und Weltcuprennen (Neureuther) auf sich vereint hatte. Der Sohn hatte seit seinem Einstand 2003 sechs Podestplätze im Weltcup beschafft. Der Aufstieg in die Spitze, die Gipfeletappe, wollte ihm aber auch im siebten Jahr im alpinen Betrieb nicht gelingen. Bis zum 24. Januar 2010. Der war die amtliche Bestätigung, dass Neureuther wirklich zu den Besten seines Fachs zählt, mit einem Drehbuch, das in der Filmindustrie durch jede Qualitätskontrolle gerasselt wäre. Zu kitschig. Und jetzt?

Neureuther hat mittlerweile auch so einige Meriten auf sich vereint. Er ist qua Status längst auch eine Art Klassensprecher der Szene, in Kitzbühel kritisierte er das deutsche Fernsehen, das sich offenbar zögerlich dazu entschlossen hatte, eine Ersatzabfahrt am kommenden Freitag in Garmisch zu übertragen ("Muss mich ehrlich drüber ärgern"). Er besitzt die meisten Weltcupsiege aller deutschen Skifahrer (zwölf), dazu eine Silbermedaille im WM-Slalom von 2013, als er endgültig aus dem Schatten der Eltern rückte und nicht mehr der Sohn von Rosi und Christian war; Christian und Rosi waren jetzt die Eltern von Felix Neureuther.

Neureuther reicherte seine Bilanz dann noch mit Bronze bei der WM 2015 an, nur der Gesamtsieg im Slalom-Weltcup entglitt ihm damals beim Saisonfinale, mal wieder. Aber da ging es dem Rücken schon ziemlich schlecht. Weshalb Neureuther in Kitzbühel in diesen Tagen nicht nur über Schuhwerk und Meilensteine redet, sondern auch über die Suche nach dem süßen Geschmack des Sieges.

Der Slalom ist ein fragiles Gewerbe, nur wer Selbstvertrauen, technisches Vermögen und Aggressivität richtig verrührt, abschmeckt und serviert, kommt der Perfektion nahe. Neureuther hatte dieses Rezept bis vor zwei, drei Jahren am stimmigsten angerührt. Er war aber schon damals ein Fahrer, der "eigentlich ohne Training Skirennen fuhr", wegen des chronisch maladen Rückens. "Das geht nur über eine kurze Zeit gut", sagt Neureuther heute. Beim Saisonfinale vor zwei Jahren schleppte er sich mit tauben Beinen durch den Zielraum, er grübelte, ob es so weitergehen könne. Es ging, aber ohne Schmerzdämmer, mit einem Neustart, bei dem er die Belastung herunterfuhr und den Körper langsam wieder an die Belastungen heranführte. Neureuther gewann im Vorjahr einen Slalom in Japan, er kletterte wieder in die Spitze. Allerdings hat sich an seinem Arbeitsplatz nach drei trainingsarmen Jahren viel angestapelt, wie bei einem Aktenberg, den man monatelang nicht abarbeitet. "Das Material entwickelt sich weiter", sagt Neureuther. "Wenn du so wenig trainierst, verpasst du etwas den Anschluss."

Neureuther arbeitet in diesen Tagen schon wieder in der Weltspitze, aber oft noch in Teilzeit. Er hält etwas Sicherheitsabstand zum hochbegabten Norweger Henrik Kristoffersen und Österreichs Edelfahrer Marcel Hirscher. "Zwei Brocken", sagt Bundestrainer Mathias Berthold, die seit Jahren gewissenhaft tüfteln und trainieren. "Bei denen läuft das höchst professionell ab, seit sie Kinder sind", sagt Neureuther, derartige Erfahrungswerte kann er nicht einbringen. Er arbeitet gerade daran, die ersten Läufe besser zu gestalten, wo ihm noch viel Zeit entgleitet. Er versucht, Rennsituationen im Training nachzustellen, von der ersten Sekunde an mit voller Schubkraft zu fahren. Klappt's? Neureuther lächelt, dann sagt er: "Ab und zu schon." In Wengen preschte er immerhin vom 13. auf den dritten Rang vor.

Neureuther trägt eine stählerne Zuversicht in sich, dass er noch ein paar Mal am süßen Geschmack des Erfolgs kosten kann, auch bei der WM in zwei Wochen in St. Moritz. Er steckt so tief im Training wie seit Jahren nicht mehr. Er mag die schweren Prüfungen des Januars, Adelboden, Wengen, Kitzbühel, Hänge, "die seit 50, 60 Jahren die gleichen Merkmale haben". Neureuther kann sein Gespür für Schnee und Gelände hier am besten einbringen, wenn kein Quadratmeter dem anderen gleicht. Und das Schuhwerk hat er auch längst angepasst, er trägt jetzt Winterstiefel mit hellbraunem, dicken Fell.

"Damit Rosi sich keine Sorgen mehr macht", sagt Neureuther.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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