Ski alpin:Nebel und Quarkwickel

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Perfekte Steilhanglage: Der im Slalom wieder mal dominierende Norweger Henrik Kristoffersen fuhr selbst das legendäre Zielstück in Adelboden mit einer Leichtigkeit, als handele es sich um eine Piste für Kinder. (Foto: Alain Grosclaude/Getty Images)

Felix Neureuther verpasst auch beim Slalom in Adelboden einen Podestplatz. Gut fünf Wochen vor der WM suchen noch alle Deutschen nach ihrer Form. Fritz Dopfer ist verletzt und Stefan Luitz hat Probleme mit der Hocke.

Von Johannes Knuth, Adelboden

Der Skirennfahrer Felix Neureuther hat früher einige Winterurlaube in der Schweiz verbracht, er hat sich dort einen reichhaltigen Wortschatz angeeignet, den er am Wochenende in Adelboden wieder routiniert einbrachte: "Chhure geil" sei die Stimmung gewesen (für Nicht-Schweizer: extrem geil). "Felix, Felix, Felix", schwappte es prompt von der Tribüne herunter. Der Stadionsprecher beschloss, Neureuther gleich einzugemeinden, "du bist einer von uns", krächzte er. Das hatte den schönen Effekt, dass der Tag aus Schweizer Sicht gleich viel besser aussah, Neureuther war im Riesenslalom just Achter geworden, die Schweizer dagegen hatten es beim traditionsreichen Weltcuphalt im Berner Oberland nicht unter die besten Zehn geschafft. Mal wieder, stöhnte die Skination.

Neureuther reichte im Slalom am Sonntag dann noch einen vierten Platz ein, und er wusste nicht so recht, ob er damit jetzt zufrieden sein sollte oder nicht. Chhhuregeil fand er es jedenfalls nicht.

Felix Neureuther gesteht: "Diese freche Selbstverständlichkeit fehlt einfach noch"

Neureuthers Wochenende hatte zäh begonnen, mit gewagten Schräglagen im Riesenslalom, einem Bluterguss im Oberschenkel und Quarkwickeln am Samstagabend. Auch der erste Lauf beim Slalom begann lauwarm, "kein Punch", befand Neureuther; er profitierte aber davon, dass nach ihm dichter Nebel in die Strecke kroch. "Ich hab halt gedacht, ich mach langsamer, dass es fair ist", scherzte er. Der zweite Lauf gelang besser, Neureuther verschlug es allerdings fünf Hundertstel hinter Marcel Hirscher, den Dritten; Sieger Henrik Kristoffersen hatte sich sogar um 2,24 Sekunden abgesetzt. Und jetzt? Neureuther sagte: "Arbeit, Arbeit, Arbeit."

Ein neuer Neureuther, das war sein Vorsatz fürs neue Jahr gewesen. Er wollte plagiieren bei den Hirschers und Kristoffersens, "die fahren mit so einer Dynamik, Kraft und Konsequenz". Adelboden brachte allerdings nur zarte Fortschritte. Wenn Slalomfahrer mit voller Schubkraft operieren, überlassen sie ihren Instinkten die Kontrolle; die Tore fliegen viel zu schnell auf sie zu, als dass die Fahrer sich im Rennen eine Lösung zurechtlegen können. Neureuther ist derzeit ein Fahrer, der seinen Instinkten etwas misstraut, der oft mit sich im Selbstgespräch ist. "Ich muss noch zu viel drüber nachdenken, was ich zu tun habe", sagte er, "diese freche Selbstverständlichkeit fehlt einfach noch." Er habe zuletzt immerhin fleißig trainiert, das war in den schmerzerfüllten Wintern davor nicht immer der Fall gewesen. Doch, dem Rücken gehe es gut, beteuerte er. Der zweite Platz in Zagreb habe zuletzt ja gezeigt, "dass ich doch funktioniere, wenn es um die Wurscht geht", sagte er, auch in vier Wochen bei der WM in St.

Moritz. Und die Kollegen? Nun ja. Es gibt kaum noch Selbstverständlichkeiten im Skirennsport, wer früher fehlerlos fuhr und gewann, den weht es jetzt oft ins Mittelfeld zurück. "Bei allem Respekt vor Skispringern und Biathleten", sagte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier, "aber Ski alpin ist noch mal zwei oder drei Klassen härter in der absoluten Spitze. Jedes Rennen bei den Jungs ist ein Krimi, noch brutaler." Wobei die Deutschen in diesem Winter nur vereinzelt tragende Rollen abbekommen. Linus Straßer schaffte am Sonntag sein zweitbestes Karriere-Resultat (10.), Dominik Stehle schied mit starker Zeit aus, wie Stefan Luitz am Samstag. Was Maier in Adelboden für eine kleine Inventur nutzte. Die Weltspitze zeichne sich durch eine "ganz eigene Charakterstruktur der Typen" aus, in der Härte und Konsequenz. Da stelle man derzeit nur zwei Fahrer, Neureuther und Viktoria Rebensburg; Fritz Dopfer fällt bis zum Ende der Saison aus. Zu wenig, befand Maier, er hatte sich vor einem Jahr ja vorgenommen, bei den Männern bald die "weltbeste Technikmannschaft" zu stellen. "Mein großes Anliegen ist, dass die Ära Neureuther nicht zu Ende gehen darf, ohne dass wir Junge nachschieben. Das ist eine große Herausforderung", sagte er jetzt. Und in keiner Personalie spiegelt sich diese Herausforderung derzeit so wider wie bei Luitz, "mein Unvollendeter", sagte Maier, "schon seit Jahren."

Skifahren, sagt Henrik Kristoffersen, sei für ihn derzeit eher eine Ablenkung

Luitz, hat Cheftrainer Mathias Berthold einmal gesagt, sei "superschnell", aber er streut auch immer wieder Fehler ein - vor allem einen, den er sich in seinen Lehrjahren eingefangen habe. "Das sitzt so tief drin, das ist wahnsinnig schwer rauszubekommen", sagt Berthold, er müsse da nicht nur einen Fehler austreiben, sondern ein Bewegungsmuster. Und das flamme immer halt wieder auf, wenn der Fahrer verunsichert sei oder vom Lärm umspült wird, wie am Zielhang in Adelboden, wo Luitz die Kontrolle verlor. "Das sind Fehler, die uns zu oft passiert sind in letzter Zeit, das müssen wir ganz schnell abstellen", sagte Neureuther. Luitz assistierte: "Das darf einfach nicht passieren."

Absolute Spitze, das sind derzeit die anderen. Im Riesenslalom bricht das Feld gerade auseinander, zwischen Adelboden-Sieger Alexis Pinturault, Marcel Hirscher und dem Rest. Beide würzen ihre Läufe mit der richtigen Dosis Attacke, je nach Gelände, bei den Wellen etwa, die die Fahrer auf dem naturbelassenen Hang in Adelboden aus dem Fluss werfen. Und im Slalom frischte der Norweger Kristoffersen seine Dominanz auf, mit 1,83 Sekunden Vorsprung vor dem Italiener Manfred Mölgg. Dabei ringt Kristoffersen noch immer mit seinem Verband, er will mit seinem eigenen Kopfsponsor werben, eine erste Klage vor Gericht verpuffte. Skifahren, bekräftigte Kristoffersen in Adelboden, sei für ihn derzeit eher eine Ablenkung.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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