Ski alpin:Mit Köpfchen gefahren

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Felix Neureuther zeigt in Sölden, dass auch sechste Plätze wertvoll sein können. Die anderen DSV-Starter bleiben hinter den Möglichkeiten zurück.

Von Johannes Knuth, Sölden

Felix Neureuther sagt gerne "brutal" oder "extremst", wenn er etwas betonen will. Gerade hat Neureuther ein paar extremst kniffelige Wochen hinter sich. Er hat ordnungsgemäß trainiert, das schon, aber nicht sehr oft auf Schnee, der Rücken gestattet ihm noch nicht wieder allzu viele Einheiten im Gelände. Neureuther hat zuletzt elf Schneetage angesammelt, diese wichtige Währung unter den Skirennfahrern, er weiß, dass er vermutlich erst im Januar seine volle Schubkraft aktivieren kann. Der 31-Jährige hat allerdings auch eine bemerkenswerte Expertise darin aufgebaut, aus wenig Trainingsessenzen etwas Gehaltvolles zu destillieren. Sölden bildete insofern keine Ausnahme.

"Platz sechs unter diesen Voraussetzungen", befand Neureuther, als er am Sonntag nach dem Riesenslalom Auskünfte erteilte, "ist extremst gut. Damit hatte ich niemals gerechnet."

In Sölden, bei den ersten Wettbewerben der Saison, stellen die Skirennfahrer gerne die Weichen. Eine Weiche lenkt ein Gefährt zunächst ja nur sanft in die eine oder andere Richtung, sie entscheidet aber letztlich darüber, ob ein Zug in Hamburg oder München eintrifft. Mit den Saisonverläufen von Skirennfahren verhält es sich manchmal ähnlich: Manche treffen in nördlichen Tabellenregionen ein, andere in südlicheren. Fritz Dopfer, die zweite deutsche Technik-Fachkraft neben Neureuther, war im Vorjahr mit einem zweiten Platz aus Sölden abgereist, er reihte an seine gute Fahrt später eine Serie von weiteren guten Fahrten, die ihn zu einer Silbermedaille bei der WM in Vail trugen. Neureuther war in der Vergangenheit wiederum recht gut ohne Sölden ausgekommen. Vor diesem Wochenende hatte er auf dem Rettenbachgletscher noch nie einen Punkt in die Wertung gebracht, mal war er ausgeschieden, mal hatte er sich entschuldigt, der Rücken. Aber diesen sechsten Platz am Sonntag fand er dann doch hilfreich, "für den Kopf".

Gekonnt in Schieflage: Der amerikanische Riesenslalom-Spezialist Ted Ligety bei seiner Siegesfahrt auf dem Rettenbachgletscher. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Fritz Dopfer verpatzt den zweiten Durchgang: "Jeder Schwung war quasi ein Bremsschwung."

Es ist nicht immer fair, Skirennfahrer an den Resultaten zu messen. Dafür trifft ein Skirennfahrer während seinen Dienstfahrten auf zu viele Kräfte, die sich seiner Kontrolle entziehen. Auf Schläge und Furchen etwa, die sich erst während eines Durchgangs in die Piste fressen. Auf Sonne oder Nebel, die binnen Sekunden aufziehen, die Sicht auf Unebenheiten freigeben. Oder eben nicht. Neureuther kann mit den Ungewissheiten, auf die er in seinem Sport prallt, längst umgehen wie kaum ein Zweiter. Er spürt, wann er den Ski wie stark ins Eis drücken muss, wann er den Schwung einleiteten sollte, und diese Kompetenzen trugen ihn am Sonntag weitgehend flüssig über den zehrenden Gletscherhang. Sie überdeckten auch seine mangelnde Trainingspraxis. Oder wie Wolfgang Maier, Alpindirektor im Deutschen Skiverband, befand: "Der kann's halt einfach. Er hat ein außergewöhnliches Gefühl für das Skifahren, das kann er immer wieder bestätigen."

Für die Elite reichte das freilich noch nicht ganz. Die Elite bestand am Sonntag aus Ted Ligety (USA), Thomas Fanara (Frankreich/0,15 Sekunden zurück) und Marcel Hirscher (Österreich/0,17). Ligety, der Tagesbeste, ist gerade wieder dabei, seine Dominanz im Riesenslalom zu erneuern, der Amerikaner führte in Sölden schon wieder diese extremst runden Radien vor, die ihn einst in die Weltspitze trugen. Fanara, der Zweite, schlängelte sich elegant und frech durch diesen fiesen Eiskanal. Und Hirscher bestach wie immer durch seine Kraft, auch wenn er die am Sonntag nicht immer gewinnbringend einsetzte. Neureuther versuchte derweil bewusst, nicht in diese Liga aufzusteigen. Noch nicht. "Ich habe versucht, mit Köpfchen zu fahren. Dann kann man nicht so einen raushauen wie die anderen", sagte er. Aber man kann ein Fundament legen, auf dem Neureuther in dieser Saison vielleicht etwas hochziehen kann.

Mit ihrem ersten Lauf war Viktoria Rebensburg überhaupt nicht zufrieden. Im zweiten Durchgang fuhr die Bayerin immerhin als Sechste in die Top 10. (Foto: Hans Klaus Techt/dpa)

Mit seiner ungetrübten Zufriedenheit war Neureuther in Sölden allerdings recht allein in der deutschen Mannschaft. Stefan Luitz, 18. am Sonntag, hatte sich im ersten Durchgang auf einen respektablen neunten Rang gedrängelt, kollidierte im zweiten dann mit einem Tor und verlor einen Skistock. "Es wäre schön gewesen, wenn es gleich beim ersten Rennen ein klein wenig weiter nach vorne gegangen wäre", sagte Luitz. Er sprach damit ein Stück weit für die meisten Kollegen. Dopfer hatte es nach Rang acht im ersten Lauf gar an die 20. Stelle zurückgeweht, "jeder Schwung war quasi ein Bremsschwung", sagte der 28-Jährige, "das war einfach unsauber." Alpindirektor Maier attestierte seinen Fahrern "gute Ansätze", musste allerdings einen kleinen Bilanztrick anwenden: "Man muss ja nicht beim ersten Rennen alles gewinnen", sagte er und ergänzte: "Das hält alle auf Spannung. Wenn es zu leicht geht, neigt man dazu, in die Überheblichkeit zu kommen."

Bei den Frauen war die Stimmung ähnlich lauwarm temperiert. Viktoria Rebensburg hatte am Samstag den ersten Lauf "mit Handbremse" absolviert. Sie streifte die schlechten Erinnerungen aber ab und kam als Sechste "mit einem blauen Auge davon", wie Frauen-Cheftrainer Markus Anwander befand. Simona Hösl (36.), Lena Dürr (41.) und Susanne Weinbuchner (44.) verpassten den zweiten Lauf, was Maier "a bisserl enttäuschend" fand. "Ich bin ganz froh, dass das erste Rennen rum ist. Ich weiß jetzt, wo ich stehe", sagte Rebensburg noch. Es hatte den Anschein, als sei sie ganz froh, den Rettenbachferner in Sölden wieder verlassen zu können.

© SZ vom 26.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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