Ski alpin:Mehr als bloß ein Kitzbühel-Sieger

Lesezeit: 3 min

Dem 24 Jahre alten Thomas Dreßen gelingt in Kvitfjell Historisches: Als erster Deutscher gewinnt er zwei Abfahrtsrennen innerhalb einer Saison.

Von Gerald Kleffmann, Kvitfjell/München

Im Zielraum hat er natürlich die Fäuste hochgerissen, kurz küsste er einen Ski, wie die Fernsehbilder einfingen. "Das grüne Licht unten zu sehen, ist das beste Gefühl", sagte er später beim Interview mit einer Reporterin des Ski-Weltverbandes Fis, die stets von den wichtigsten Darstellern Zitate aufzeichnet und ins Internet stellt. Thomas Dreßen gehört neuerdings zu den Wichtigen, er ist unwiderlegbar ein Kandidat für das grüne Licht geworden und nicht mehr nur einer für das rote, das aufleuchtet, wenn einer nicht mit neuer Bestzeit über die finale Linie rauscht. Wobei Dreßen, 24 Jahre alt, 1,88 Meter groß, Zolloberwachtmeister aus Mittenwald, definitiv keiner ist, der sich wichtig macht. Auch nicht nach seinem Erfolg in Norwegen jetzt. Eh klar.

Es hat etwas Putziges an sich, wie bescheiden Dreßen sich gibt. Als sei er einer, der mit großen Jungs spiele. So viel Respekt, Anstand besitzt der Mann. "Vor einigen Jahren habe ich noch diese Typen im Fernsehen gesehen", führte er aus, "vor allem Aksel war mein Vorbild, er hat schon damals Rennen gewonnen, als ich jung war." Er meinte den Norweger Aksel Lund Svindal, ein Schrank von Sportler, Leitfigur, Olympiasieger in Peyongchang geworden. In Kvitfjell? Wurde der Schrank Dritter. Zweiter wurde Beat Feuz, der Schweizer, Weltmeister, auch er längst etabliert und - wenn gesund - fähig, seinen muskelbepackten Körper (1,72 Meter) auf Spitzenränge hinunter zu wuchten.

Thomas Dreßen. (Foto: Cornelius Poppe/dpa)

Und Dreßen? Der hängte an diesem Samstag beim vorletzten Abfahrtsrennen der Saison die Koryphäen ab, Svindal um 0,17 Sekunden, Feuz um 0,08 Sekunden. Die Erkenntnis, die diese Leistung ausstrahlt, ist beachtlich: Ein Deutscher hat im Januar beim krachenden Spektakel in Kitzbühel nicht nur für eine der schon jetzt größten Überraschungen dieses Sportjahres gesorgt. Und dieser Deutsche bleibt einfach dort oben, wo er angelangt ist. Sich zu etablieren, klingt eher langweilig. In seinem Fall ist die Etablierung aber eher das Gegenteil davon: sehr aufregend.

Zunächst mal wird Dreßen in der Retrospektive der Fahrer bleiben, der 39 Jahre nach Sepp Ferstl als nächster Deutscher das Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel gewann. Doch sein Triumph in Kvitfjell ist ebenso speziell, auf andere Weise. Noch nie war es einem Deutschen gelungen, innerhalb einer Saison in zwei Abfahrten zu reüssieren. Nicht mal dem Wasi, alias Markus Wasmeier. Andererseits, und dies verdeutlicht Dreßens Quantensprung noch mehr: Es gab nur sechs deutsche Abfahrtssieger im Weltcup seit 1967. Er schaffte die Nummern sieben und acht. "Es ist noch nicht ganz wirklich für mich, dass es so gut für mich läuft", sagte Dreßen. Und das tut es. Im Dezember fuhr er in Beaver Creek erstmals aufs Podest, als Dritter - seitdem zählte er in jedem Rennen der Speedkünstler zu den besten 15. "Der Thomas fährt die ganze Saison stark", sagte Feuz anerkennend. "Beat und ich sind beide gut gefahren", sagte Svindal im ZDF, "aber wir hatten beide ein paar Fehler, und wir wussten, dass einer besser sein kann. Und Thomas ist besser gefahren." Die Konkurrenten sehen ihn bereits als fixes Mitglied ihrer Liga. So ist die Lage. Und sie reduzieren ihn nicht auf Siege. Sondern auf sein Können. Das ist ein Unterschied.

Siege sind schließlich keine Gewähr dafür, dass es erfreulich weitergeht; gerade Kitzbühel erlebte One-Hit-Wonder, weil es Favoriten beim Rodeo über Mausefalle und Hausbergkante abgeworfen hatte. Die Kunst ist, sein Niveau konstant hochzuhalten, die Reproduzierbarkeit. Daher ist in diesem Nuancensport auch mal ein fünfter Rang respektabel, wie bei Olympia. "Du kannst in der Abfahrt nicht jede Woche zuschlagen", sagte Christian Schwaiger, der DSV-Speedtrainer der Männer, mal der SZ, "aber wenn es an einem Tag passt, dann musst du da sein." Dreßen ist nun häufig da in diesen Momenten. Beziehungsweise auch: Er macht sie sich passend.

Denn das ist eine Qualität, die die Guten auszeichnet: sich anzupassen an Begebenheiten. Dank dieser Fähigkeit hat sich Dreßen etwas abgesetzt von seinen Teamkollegen: Josef Ferstl (Hammer) und Andreas Sander (Ennepetal) landeten diesmal auf den Rängen 25 und 31. Kitzbühel und Kvitjfell haben keine vergleichbaren Streckenprofile, das erste ist ein Hasardeursritt mit Aushebelfallen, das zweite gleicht einem rhythmischen Wellenkurs. Aber beide meisterte Dreßen. Leicht war die Piste in Kvitfjell jedenfalls nicht, auch wenn sie weniger tückisch ist. Da es viel Neuschnee gab, musste sie erst mit Wasser hart gemacht werden. "So ein schweres Rennen auf Eis fährt man selten", sagte Feuz. Schwere Bedingungen, Dreßen kann sie.

Wenngleich der Skisport natürlich komplex ist. Am Sonntag im Super-G gewann der Norweger Kjetil Jansrud, Dreßen wurde Achter, er fährt solche Ränge nun fast solide ein. Sander wurde Zehnter, Ferstl 25. Am Mittwoch, beim Saisonfinale in Åre (Schweden), kann Dreßen seine Saison mit einer weiteren Bestmarke abschließen. Dritter (das ist er gerade) war noch kein Deutscher in der Abfahrtswertung des Weltcups.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: