Ski alpin:Im Fortissimo

Lesezeit: 3 min

Lara Gut war 16, als sie in den Kreis der Besten ihres Sports vorstieß. Acht Jahre später gewinnt sie erstmals den Gesamtweltcup.

Von Johannes Knuth, Lenzerheide/München

Der Moment war dann fast da, und Lara Gut wollte bei der Gelegenheit noch etwas loswerden. Sie stellte ein Bild in ein soziales Netzwerk, es zeigte eine Umarmung, Gut und Vater Pauli im Zielraum. "Mein Vater hat mir das größte Geschenk gegeben, dass man einer Person bescheren kann", schrieb Gut unter das Bild, "er hat an mich geglaubt!" Das war Gut zum Anbruch des vergangenen Wochenendes also noch wichtig, jetzt, da sie sich dem Sieg im Gesamtweltcup entscheidend genähert hatte.

Am Sonntag ist der erste Platz in der Gesamtwertung amtlich in den Besitz der Skirennfahrerin Lara Gut, 24, gewandert. Sie beendete die alpine Kombination in Lenzerheide auf Rang drei; sie liegt jetzt 355 Punkte vor Viktoria Rebensburg, das kann die Deutsche beim Finale in St. Moritz in der kommenden Woche nicht aufholen. Es ist Guts erster Erfolg im Gesamtweltcup, der erste für eine Schweizerin seit Vreni Schneider (1995); für ein Land, das sich als Skination begreift, ist das eine lange Dürre. Der Gesamtweltcup, das zeigen die Umfragewerte unter Fahrern immer wieder, ist die höchste Weihe. Wer bei Olympischen Spielen oder einer WM reüssieren will, muss sein Können in ein Rennen packen. Wer den Gesamtweltcup gewinnen will, muss seine Kunst einen Winter lang zur Schau stellen. "Mathematisch habe ich gewonnen, wenn Vicky (Rebensburg, Anm.) den Slalom wirklich nicht fährt", sagte Gut am Sonntag, im Wissen, dass Rebensburg den Slalom in St. Moritz sicher nicht fahren wird. Sie fügte nüchtern an: "Das gibt mir jetzt die Freiheit, endlich Ski fahren zu können und nicht immer rechnen zu müssen."

Stabile Schräglage: Lara Gut ist die beste Fahrerin der Saison, mit Rang drei in der Kombination von Lenzerheide sichert sie sich den Gesamtweltcup. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Gut ist nun also die beste Pilotin der Saison, das darf man schon einmal festhalten. Wobei zuletzt immer wieder der Umstand an sie herangetragen wurde, dass die Besten ihren Betrieb ja früh stillgelegt hatten; dass Österreichs Anna Fenninger vor der Saison einen Totalschaden im rechten Knie erlitten hatte, dass Mikaela Shiffrin sich verletzt hatte, und dass zuletzt auch Lindsey Vonn, die Klassenbeste in der Gesamtwertung, aus der Saison aussteigen musste. Guts Sieg, ein Sieg zweiter Klasse?

Es ist nicht so, dass Gut der Gesamtsieg einfach zugefallen ist. Sie ließ Vonn, die Favoritin, die lange das Niveau definierte, nie davonlaufen, im Gegenteil, Gut drängelte sich immer wieder frech an die Spitze. Als sich alle auf einen Zielsprint zwischen den beiden eingerichtet hatten, steuerte Vonn in Soldeu in den Tiefschnee, Saisonaus. Was man Gut kaum anlasten kann. Tatsächlich erschafft sie gerade den bislang besten Winter ihrer Karriere, angefangen bei der Ouvertüre in Sölden, als sie Vierte im Riesenslalom wurde. Gut baute immer wieder ein schlechtes Resultat ein, doch anders als früher, als sie drei, vier schlechte Fahrten aneinanderreihte, schob sie sich prompt wieder in die Spitze. In Guts Winter war wenig piano zu hören, es war eine Saison wie der packende letzte Satz einer Sinfonie, im fortissimo. Sie hat in der Saison sechs Weltcups gewonnen, in Lenzerheide kletterte sie zum elften Mal aufs Podest; öfters als in ihrem bis dato erfolgreichsten Winter 2013/14 (zehn Podien).

Gut hat gelernt, woran sie festhalten sollte (Vater Pauli zum Beispiel) und woran nicht, das hat sie zuletzt immer wieder bekräftigt. Sie war 16, als sie zum ersten Mal auf einem Podium im Weltcup hospitierte, es war ein früher Ruhm, der sie lange verunsicherte. Weil sie nicht wusste, wer profitieren und wer wirklich helfen wollte. Weil ihr Leben aus allen Winkeln ausgeleuchtet wurde. Und weil sie 17 war und "nie Zeit hatte, zu lernen, wie man mit den Erwartungen umgeht". Gut zog im Gespräch in der Öffentlichkeit oft eine Mauer um sich hoch, stritt sich mit dem Verband, flüchtete in ihr Team. Bald hingen unschöne Etiketten an ihrem Namen, arrogant, Zicke, solche Sachen. Sie brachte diverse Turbulenzen, darunter eine Hüftverletzung, hinter sich, erweiterte im vergangenen Sommer ihr Team, mit neuen Beratern und neuem Servicemann. "Ich bin jetzt in der Lage, mit einem solchen Team zu arbeiten. Früher wäre ich wohl nicht reif genug gewesen, um links und rechts zuzuhören", sagte sie im Schweizer Fernsehen. Die diplomatischen Beziehungen zum Verband sind so wohltemperiert wie seit Langem nicht, Guts Vater ist beim Verband angestellt; sie hatte ihn stets gestärkt. Vor allem, wenn sie im Verband früher Gut sagten, dass der Vater als Trainer nicht gut genug sei.

"Ich bin in der Mitte angelangt", hat Gut vor der Saison gesagt, "die erste Phase, in der ich viel lernen musste und auch Fehler machte, liegt hinter mir. Jetzt wird es richtig spannend."

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: