Ski alpin:Heizsocken für Pyeongchang

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Nach den alpinen Abfahrten von Garmisch fühlen sich Doppelsiegerin Lindsey Vonn und ihre deutsche Konkurrentin Viktoria Rebensburg gerüstet für Olympia.

Von Matthias Schmid, Garmisch-Partenkirchen

Lindsey Vonn blickte immer wieder ungläubig zum Himmel über den Zielraum von Garmisch-Partenkirchen hinauf, als stünde da oben zwischen den grauen Wolken irgendwo das Geheimnis ihres Erfolges im Werdenfelser Land geschrieben. Die Amerikanerin hatte am Sonntag ihren nächsten Sieg auf der Kandahar folgen lassen, ihren vierten in Serie. Die 33-Jährige gewann die Abfahrt wie am Vortag vor Sofia Goggia. Diesmal war Vonn elf Hundertstelsekunden schneller als die Italienerin und feierte im letzten alpinen Skirennen vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) bereits den 81. Weltcupsieg ihrer erstaunlichen Karriere.

Vonn kann sich die Siegesserie unterhalb des Wettersteinmassivs nicht erklären, sie ist ihr selbst ein wenig unheimlich. Denn die Kandahar gehört nicht zu ihren Lieblingsstrecken. "Es ist dunkel und sehr unruhig hier", sagt Vonn. Die ruppige Piste macht vor allem ihren mehrmals reparierten Sehnen und Bändern in den Knien zu schaffen, ihrem maladen Rücken. "Aber ich weiß, wie ich die Linien treffen muss, um die volle Geschwindigkeit in den Schlüsselpassagen mitnehmen zu können", erklärte sie.

Zwei Siege mit Minimalvorsprung: Lindsey Vonn war in Garmisch-Partenkirchen einmal zwei und einmal elf Hunderstel voraus. (Foto: Gabriele Facciotti/AP)

Auch am Sonntag scheute sie das letzte Risiko, sie verzichtete in den Gleitpassagen gar auf die extremste Abfahrtshocke, nachdem am Vortag ihre Freundin Jacqueline Wiles schwer gestürzt war und ihr nicht nur das Kreuzband riss, sondern auch das Wadenbein und den Schienbeinkopf brach. "Ich habe deshalb ein bisschen Angst gehabt heute", gab Vonn zu. Aber sie wäre nicht die erfolgreichste Skirennläuferin der Geschichte, wenn sie zu viel Rücksicht auf ihre Gesundheit nehmen würde. "Gib Gas" habe sie sich am Start gesagt, "aber fahr solide und geh' vor Olympia kein volles Risiko ein."

Vonn war auch mit Handbremse im Kopf schneller als ihre Kolleginnen, zum Beispiel Viktoria Rebensburg. Die beste deutsche Rennläuferin stand am Sonntag entspannt im Zielraum und beobachtete aus sicherer Entfernung wie sich Vonn und Goggia gegenseitig feierten. Die 28-Jährige hatte mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun, sie wirkte trotzdem erleichtert, weil sie wenige Tage vor Beginn der Winterspiele unversehrt unten im Tal ankam. "Es war schon eine Steigerung zu gestern", sagte Rebensburg über ihren neunten Platz; am Samstag war sie auf Rang elf gelandet. Knapp eine Sekunde fehlten ihr auf die Siegerin Vonn, die Zeit hatte sie im Mittelteil verloren, "den ersten Rechtsschwung im Eishang bin ich nicht gut gefahren", fand Rebensburg.

In der Tat ratterten ihre Skier, sie hatte stark gebremst, um nicht zu weit von der Ideallinie weg zu driften. Die Tage von Garmisch waren nicht einfach für sie, Rebensburg hatte einige Zeit nicht mehr auf den langen Abfahrtsskiern gestanden, weil sie sich im olympischen Winter vornehmlich dem Riesentorlauf gewidmet hat, ihrer stärksten Disziplin. In der hat sie vor acht Jahren auf wundersame Weise Olympiagold in Vancouver gewonnen und in diesem Winter schon drei Rennen für sich entschieden. Rebensburg musste sich in Garmisch nach einer achtwöchigen Rennpause erst wieder an die größeren Schwünge in der Abfahrt gewöhnen, an die Geschwindigkeit, das Risiko. Das gelang ihr phasenweise ganz gut. "Ich weiß, dass ich schnell Ski fahren kann", sagte Rebensburg.

Der Zeitplan in Pyeongchang ermöglicht ihr, am 12. Februar gleich mit dem Riesenslalom zu starten. "Das Programm ist wie für sie gemacht", stellte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier zufrieden fest. Beim Deutschen Ski-Verband (DSV) hoffen alle, dass Rebensburg gleich aufs Podest rast, um anschließend befreit und mit Selbstvertrauen die schnelleren Disziplinen anzugehen. Von einer Medaille mochte Rebensburg selbst nicht sprechen, viel lieber als über ihre eigenen Ambitionen redete sie darüber, was sie alles in ihre Koffer packt vor ihrer Abreise nach Südkorea an diesem Montag. "Ich werde zwei Skiunterwäschen extra mitnehmen und Heizsocken", erzählte sie mit einem Lächeln. Die Region um Pyeongchang erlebt gerade eine Kältewelle mit Temperaturen bis zwanzig Grad unter Null.

Deshalb zögert Lindsey Vonn ihre Abreise auch noch hinaus; sie wird erst am Mittwoch losfliegen nach Südkorea. "Vorher werde ich noch Konditionstraining machen", erzählte sie. Die 33-Jährige will nichts dem Zufall überlassen, sie fährt auch deshalb noch Ski, weil sie nicht nur den Rekord von Ingemar Stenmark (86 Weltcupsiege) überbieten, sondern unbedingt auch noch mal eine Medaille bei Olympia gewinnen möchte. Die Spiele 2014 in Sotschi hatte sie wegen eines Kreuzbandrisses verpasst. "Das ist jeden Tag in meinem Kopf", gab sie in Garmisch zu, "immer wenn ich schlafe, mache ich ein bis zwei Läufe. Jetzt bin ich bereit für diese Spiele und werde dort auch volles Risiko gehen." Ihre Rivalinnen werden das nicht gerne hören.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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