Ski alpin:Großer Hunger

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Dreimalige Juniorenweltmeisterin - in drei unterschiedlichen Disziplinen: Die Slowenin Ilka Stuhec, 26, zeigte früh, was sie alles kann. (Foto: Christophe Pallot/Getty)

Nach zahlreichen Verletzungen nutzen Ilka Stuhec, 26, aus Slowenien und Sofia Goggia, 24, aus Italien die Gunst der Gelegenheit, um aufs Podium bei Weltcup-Rennen zu fahren.

Von Johannes Knuth, München

Die Skirennfahrerinnen Ilka Stuhec und Sofia Goggia haben sich vor Kurzem einen packenden Wettstreit geliefert, es war ein enges Rennen, am Ende war Stuhec knapp vorne. "Wie viele Knieoperationen hattet ihr beide, zusammengezählt?", wollte ein Reporter am vergangenen Wochenende wissen, beim Weltcup in Val d'Isère. Goggia bot vier Eingriffe, Stuhec fünf. Das ist üppig, selbst nach den Maßstäben des alpinen Skiweltcups mit seinen Autobahnen aus Eis, auf denen die Verkehrsteilnehmer fast so regelmäßig Knieverletzungen erleiden wie andere Menschen Erkältungen im Winter. Wobei es der Skisport mit Stuhec und Goggia in diesen Tagen ja deutlich besser meint.

Es war meist eine unbekannte Festgemeinschaft, die sich in den ersten drei Monaten des Winters bei den Frauen auf den Podien im Weltcup eingefunden hat. Zum einen ist das der Zahl der Verunfallten und Ruheständler geschuldet. Lindsey Vonn und Anna Veith werden im Januar zurückkehren, frühestens; Tina Maze plant Anfang Januar beim Weltcup in Maribor ihren Ausstand. Zum anderen ist im Speed-Ressort, in der Abfahrt und Super-G, gerade viel Platz für neue Führungskräfte, und diese Leerstelle nehmen derzeit vor allem die Italienerin Goggia, 24, und die Slowenin Stuhec, 26 ein. Stuhec war vor der aktuellen Saison nie weiter als bis zu einem vierten Platz vorgestoßen, in Val d'Isère gewann sie nun ihr drittes und viertes Saisonrennen. Goggia hatte bis zu diesem Winter ebenfalls einen vierten Platz als besten Ertrag in den Büchern stehen. Seitdem wurde sie sechs Mal auf Podien vorstellig - in zehn Rennen. "Meine letzte Verletzung war wirklich schwer, ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich davon zu erholen", sagt Goggia: "Jetzt habe ich großen Hunger, wenn ich im Starthaus stehe."

Stuhec kann eine ähnliche Geschichte aufsagen. Sie wuchs in der Nähe von Maribor auf, dem slowenischen Skiresort, die Eltern besaßen einen Skiservice. Sie wurde drei Mal Juniorenweltmeisterin. Dann kamen die Operationen, alle am rechten Knie. Stuhec fiel 2009 aus der Förderung des Verbands, sie musste ein Privatteam gründen, mit geringen Mitteln. Ihre einzige Angestellte: Mutter Darja, eine ehemalige Rennfahrerin, die spontan half, als Trainerin, Physiotherapeutin, Chauffeurin, Logistikerin. Ach ja, die Skier präparierte sie auch, als einzige Servicefrau im Weltcup.

"Damals ist mein Mutter-Dasein zum Nebenjob geworden", hat Darja Crnko der New York Times einmal gesagt.

"Sie hat mich gerettet", sagt Ilka Stuhec.

Abfahrer brauchen oft Jahre, ehe sie in die Weltspitze vorstoßen, wenn überhaupt; das Wissen über die Pisten, Material und Linienwahl muss man über viele Winter sammeln, sichten, auffrischen. Und weil es kleine Privatteams schwer haben in Zeiten von schmelzenden Sponsorenbudgets und volatilen Schnee- und Trainingsbedingungen, kam Stuhec in ihrem kleinen Familienbetrieb zunächst nicht so recht voran. Im ersten Winter nach ihrer Rückkehr brach sie die Saison ab, das Knie. Sie dachte ans Aufhören, kehrte 2011 noch einmal zurück, schloss sich später dem Verband an, kam noch immer nicht voran. Das änderte sich erst im vergangenen Sommer. Stuhec nabelte sich wieder vom Verband ab, weil ihr die Förderung zu gering ausfiel, sie wechselte den Ausrüster - und trainierte mit dem slowenischen Männerteam. "Ich habe versucht, jeden Tag mit ihnen mitzuhalten, das hat mir wirklich Selbstvertrauen gegeben", sagt sie. "Ich habe gerade viel Spaß bei allem, was ich tue."

Stuhec besitzt nun eine Kuh - Lohn für ihren Erfolg beim Rennen in Val d'Isère

Stuhec hat mittlerweile offenbar alle Puzzleteile beisammen, die man in diesem komplexen, fehleranfälligen Sport benötigt. Ihre Mutter präpariert weiter ihre Skier, eigentlich hatte sie nur eine Saison aushelfen wollen. "Ich bin sehr froh, dass ich sie bei mir habe, das ist wirklich harte Arbeit", sagt Stuhec. Sie gibt sich bescheiden, wärmt sich erst einmal an den jüngsten Erfolgen, wie das eben ist nach Jahren im Mittelfeld. Ihr Team ist gewachsen, mit Athletiktrainern, einer Physiotherapeutin und einer Psychologin. Und einer Kuh, die der Siegerin in Val d'Isère jedes Jahr geschenkt wird. Tierische Prämien sind im Weltcup überhaupt sehr in Mode, in Levi schenken sie den Siegern ein Rentier, erfolgreiche Weltcupfahrer können nach ihrer Karriere durchaus einen Streichelzoo eröffnen.

Stuhec hat nun jedenfalls auch eine Kuh, und sie weinte kräftig, als sie ihren Preis am Wochenende entgegennahm. Ausnahmsweise nicht vor Freude, wie sie später erzählte. Sie habe die Kuh nach ihrem Hund benannt, sagte Stuhec. "Den mussten wir vor einer Woche einschläfern".

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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