Ski alpin:"Eine Menge Leute hatten Glück"

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Zweimal meisterlich gekurvt: Marcel Hirscher auf dem Weg zu seinem ersten WM-Titel im Riesenslalom. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Eine gefährliche Panne überschattet Marcel Hirschers ersten Sieg in einem WM-Riesenslalom.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Der Mann der Stunde trat vor die Kameras, er blickte in Dutzende Objektive und noch mehr Gesichter, die Reporter wollten jetzt natürlich wissen: Wie knapp waren sie in St. Moritz gerade an einem Unglück vorbeigeschrammt?

Roman Rüegg, Sprecher der Graubündener Kantonspolizei, sagte ein paar Takte, ohne allzu viel zu sagen. Eine Flugstaffel des Schweizer Militärs war vor dem zweiten Durchgang des Riesenslaloms über den Zielraum gerauscht, eine Maschine kappte ein Seil, an dem eine TV-Kamera hing, sie fiel herunter, niemand wurde verletzt. Das Flugzeug landete sicher im benachbarten Samedan. Weil das gekappte Seil auch auf den Sessellift fiel, mit dem die Fahrer gerade zum Start getragen wurden, verzögerte sich das Rennen um eine halbe Stunde. So weit die offizielle Version. Ein TV-Video zeigte, dass die Kamera freilich nicht irgendwohin gefallen war, sie war in den Zielraum geklatscht, in Rufdistanz zu den Zuschauerrängen. War das Kameraseil falsch gespannt? Ein Pilotenfehler? Dazu könne man noch nichts sagen, sagte Rüegg, die Polizei ermittle. Eine Gewissheit gewann aber auch so an Festigkeit: Viel hätte nicht gefehlt, und der WM-Riesenslalom wäre vom Sog eines schweren Unfalls verschluckt worden.

Viel hat nicht gefehlt und die WM wäre von einem schweren Unglück überschattet worden

Der Mann, dem der Rest des Tages gehörte, trat dann knapp drei Stunden später vor die Kameras, Marcel Hirscher, 27, aus Annaberg in Österreich. Er hatte nach dem ersten Lauf die Führung an sich gerissen, steckte dann eine halbe Stunde im betroffenen Sessellift fest. "Heute", sagte er, "haben eine Menge Leute Glück gehabt." Er hatte das freilich alles an sich abperlen lassen, die Verzögerung, den neuen Schnee, der sich im zweiten Lauf auf die Piste legte. Hirscher fuhr so, wie er halt fährt: ruckelfrei, auf Schienen. Dann war er "Wööödmeister", vor seinem Teamkollegen Roland Leitinger und dem Norweger Leif Kristian Haugen. Wööödmeister im Riesenslalom, dieser Vermerk hatte Hirscher noch gefehlt in der Vita. Es war nicht der einzige Grund, warum er am Freitag bei der Ski-WM in Genugtuung badete, er hatte dieses Gefühl ja seit einer Weile vermisst: mal wieder Erster zu sein.

Hirscher, der Herrscher über Slaloms und Riesenslaloms aus vielen Wintern, hatte in diesem Winter mehr zweite und dritte Plätze gesammelt, als ihm lieb war. Weil Alexis Pinturault, Siebter am Freitag, und Henrik Kristoffersen (Vierter) oft mehr riskierten, anstatt Punkte für die Gesamtwertung zu sammeln, die Hirscher in diesem Winter wohl zum sechsten Mal gewinnen wird. "Man könnte ja langsam denken, dass er nach so vielen Jahren irgendwie satt ist", hatte Felix Neureuther zuletzt im SZ-Interview gesagt - nach 43 Weltcup-Siegen und diversen Medaillen, wegen seiner Konsequenz, mit der Hirscher seit Jahren alles für den Erfolg tut, alles, mit einem Konditionstrainer, Physiotherapeuten, zwei Serviceleuten, einem Pressebetreuer, Vater Ferdinand, der früh die Schienen legte, auf denen der Sohn zu den Erfolgen rollte. Irgendwann satt sein?

Hirscher tat in den vergangenen Wochen das, was er immer tut: Er erfand sich von Rennen zu Rennen neu. Er tüftelte zwischen den Läufen an der Abstimmung von Ski, Schuh und Bindung. Er schenkte dem Zufall kaum eine Chance, von der Ernährung bis zur richtigen Matratze im Hotel. Hirscher hatte zuletzt gestanden, dass er in den vergangenen Jahren die eine oder andere schlaflose Nacht hatte, weil er sich ständig selbst überbieten musste, auf der Suche nach dem perfekten Schwung. Als er am Dienstag im Teamwettbewerb gegen einen unbekannten Belgier verlor, schütteten Online-Nachrichtenportale in der Heimat viel Häme aus. Hirscher schimpfte über die Journalisten, dessen größtes Problem es sei, "Kaffee aus der Maschine zu lassen". Wer einmal mit dem Gewinnen anfängt, hat halt gefälligst immer zu gewinnen, vor allem in der Skination Österreich, aber daran hat sich Hirscher längst gewöhnt. Er wird noch die eine oder andere schlaflose Nacht erleben auf der Jagd nach der Perfektion, die sich in seinem Sport nie so recht einfangen lässt.

Die Deutschen? Stefan Luitz und Felix Neureuther wehte es auf die Plätze 14 und 16 zurück. Neureuther spürte noch die Nachwehen seiner Rückenprobleme, vom Teamwettbewerb. So war Linus Straßer bester Deutscher, als Zwölfter. Der Riesenslalom sei halt nur ein "Belastungstest" gewesen, sagte Neureuther, es half ja nichts, bleibt nur noch der Slalom am Sonntag, um die erste medaillenlose WM seit zehn Jahren abzuwenden. Und sonst? Er hoffe, dass es keine weiteren Flugshows geben werde, sagte Neureuther, "die sollen sich mehr Gedanken machen, dass der Skisport so spektakulär rüberkommt, dass solche Sachen gar nicht nötig sind". Immerhin dieser Bitte kamen die Organisatoren am Freitag nach.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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