Ski alpin:Direkter Vergleich

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Waghalsige Abfahrten oder artistische Tänze zwischen Slalomstangen - das reicht nicht mehr. Mit neuen Wettbewerben will die Ski-Branche neue Fans erobern.

Von Johannes Knuth, Gröden/Alta Badia

Die Fahrt von Alta Badia nach Madonna di Campiglio währt rund drei Stunden, es ist eine schöne Fahrt, zumindest unter touristischen Gesichtspunkten. Man tastet sich durch die Dolomitentäler, die Berge thronen über den Dörfern wie schlanke, kühle Monolithen, und irgendwann wird man von Madonna in Empfang genommen, einem Ort mit 750 Einwohnern, bekannt für seinen Weltcup-Slalom. Die Skirennfahrer können diese Dolomitentournee diesmal freilich kaum genießen, der Weltverband hat zwischen den Riesenslalom in Alta Badia (Sonntag) und den Nachtslalom in Madonna (Dienstag) einen Parallel-Riesenslalom gequetscht, am Montag in Alta Badia, ebenfalls zu später Stunde. "So ein Nachtrennen ist brutaler Stress für uns", sagt Felix Neureuther, Deutschlands bester Skifahrer, er meint den Parallel-Wettbewerb: "Die, die das nicht fahren, sondern nur den Slalom am Dienstag, sind schon im Vorteil."

Der alpine Ski-Weltcup ist gerade aus Nordamerika nach Europa gewechselt, es herrscht vorweihnachtliche Betriebsamkeit. Die Frauen gastieren in Frankreich, die Männer absolvieren eine Italienrundfahrt, am Wochenende in Gröden, dann in Madonna und Alta Badia, wo sie Montagabend den Parallel-Riesenslalom abhalten, zum ersten Mal im Weltcup. Ob dieses Format nun eine gute oder schlechte Idee ist, darüber sind sie sich noch nicht einig.

Parallelrennen haben sie in den vergangenen Jahren oft in den Weltcup eingebaut, in Form von Parallelslaloms, auch in München. Die Zuschauer mochten es, wenn die Skifahrer in die Stadt kamen, es war eine Werbeaktion, die aufgrund der kurzen Pisten aber kaum Aussagekraft entfaltete. Das ist mit dem Parallel-Riesenslalom etwas anders. Es ist ein recht simples Format (siehe Kasten), nach 70 Minuten steht ein Sieger fest. Aber richtig glücklich sind die Fahrer nicht. "Es gibt im Weltcup vielleicht zwei Fahrer, die dieses Parallelrennen haben wollen", sagte der hochbegabte Riesenslalom-Pilot Henrik Kristoffersen norwegischen Medien zuletzt. Wegen des Reiseverkehrs, klar. Teamkollege Aksel Lund Svindal, der den Super-G von Gröden am Freitag vor seinen Landsmännern Kjetil Jansrud und Aamodt Kilde gewann, glaubt gar: "Man sollte klassische Disziplinen, die funktionieren, nicht mit Experimenten mischen.

Ein Hang, zwei Riesenslalom-Fahrer: Bei der WM gab es das im Teamwettbewerb schon einmal. (Foto: imago)

Das kann am Ende das Vertrauen ins System zerstören." Markus Waldner, Renndirektor der Fis, will prüfen, ob man die Parallel-Wettkämpfe künftig wieder aus dem Weltcupbetrieb ausgliedert; derzeit verteilen sie für die Rennen ja auch Weltcuppunkte. Waldner wirbt aber auch um Verständnis, dass sie auf dem Wintersportmarkt auch leichtere, telegene Häppchen anbieten müssen, neben den Hauptgerichten wie der Abfahrt oder den Technikrennen, die sich über mehrere Stunden strecken. "Weltweit gesehen ist der alpine Skirennfahrer noch immer das Synonym für Wintersport", sagte der ehemalige Skirennläufer Christian Neureuther zuletzt Sportradio360. Aber die Sponsoren sind geiziger geworden, und die Zuschauer auf dem für den Sport wichtigen deutschen Markt schalten lieber beim Biathlon ein. "Der Weltverband hat es in den vergangenen Jahren versäumt, den alpinen Sport telegen zu präsentieren", findet Neureuther, er meint die Art, mit der Fahrer ständig mit Geschwindigkeit und Schwerkraft ringen. Und deshalb sind Neureuther und auch Mathias Berthold ganz froh, dass sich ihr Sport gerade etwas entstaubt.

"Ich würde schon sagen", sagt Berthold, Cheftrainer der deutschen Skirennfahrer, "dass der Skisport die Parallel-Formate braucht." Auch weil sie einem komplexen Sport, in dem selbst die Trainer nicht immer verstehen, warum ein Fahrer schnell war oder nicht, etwas Klarheit verschaffen. "Wer als Erster im Ziel ist, hat gewonnen. Du musst den Sport nicht bis ins letzte Detail verstehen", sagt Berthold. Zudem pflege das Format ein seltenes Gut im Skisport, in dem kaum ein Läufer die gleichen Pistenbedingungen vorfindet wie der Läufer zuvor: Chancengleichheit. "Die Lichtverhältnisse sind gleich", sagt Berthold, "die Spurrillen auch, die Startnummer ist nicht allzu maßgeblich."

Berthold ist freilich ein leicht befangener Kronzeuge. Er zog sechs Jahre durch die amerikanische Pro Tour, jene Rennserie, die ab den 70er Jahren großzügig Prämien unter die Fahrer brachte, als das Internationale Olympische Komitee noch das Ideal vom reinen Amateursportler predigte. Sie fuhren auf der Pro Tour schon damals Parallelrennen, der Modus war verblüffend verwandt mit dem, den die Fis jetzt entworfen hat. "1991 hatten unsere Weltmeisterschaften in den USA höhere Einschaltquoten als die Baseball-Spiele der New York Yankees", erinnert sich Berthold.

Die Fis belächelte das Format damals, sie ärgerte sich aber auch, weil die US-Tour schon mal 30 000 Zuschauer anzog, wenn sie in Europa gastierte, in Schladming etwa. 1995 kam die Pro Tour zum letzten Mal, ab 1997 war der Weltcup der Fis in Schladming wieder die einzige Attraktion. Als Reaktion auf die Amerikaner hatten sie sich den Nachtslalom ausgedacht. Heute zählen diese Slaloms zu den attraktivsten Rennen im Kalender.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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