Ski alpin:Der nächste Elch

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Zweikampf vor Gericht: Henrik Kristoffersen klagt gegen den Verband. (Foto: Oliver Morin/AFP)

Auf dem Weg vom Hochbegabten zum Champion: Der Norweger Henrik Kristoffersen bestimmt die Technikwettbewerbe der aktuellen Saison. Langfristig hat der 21-Jährige die großen Trophäen seines Sports im Visier.

Von Johannes Knuth

Es sind kleine Dinge, die einem Skirennfahrer oft den Weg zu etwas Größerem ebnen: Eine neue Kraftübung im Sommer; wann man seinen Körper schindet, wann nicht; oder die eine Klausel mehr oder weniger im ersten Vertrag mit einem Ausrüster. Christian Mitter, Techniktrainer im norwegischen Ski-alpin-Team, hat seine Weltcup-Mannschaft im vergangenen Sommer auch wegen dieser kleinen Dinge oft zusammengezogen. Aksel Lund Svindal trainierte, die Jüngeren trainierten mit, eine intensive Fortbildung beim Olympiasieger. Die Jüngeren beobachteten also, schraubten am Trainingsplan, ganz leicht, mit hoffentlich großen Auswirkungen. "Skirennen zu gewinnen ist das eine", sagt Mitter, "ein Champion zu sein, das andere."

Henrik Kristoffersen aus Lorenskog, Norwegen, hat in den vergangenen Wintern das eine oder andere Skirennen gewonnen, das schon. Seinen ersten Sieg im Weltcup sicherte er sich vor zwei Jahren in Schladming, vor 50 000 lärmenden Zuschauern. Da war er 19. In diesen Tagen ist Kristoffersen nun dabei, nicht nur zu gewinnen, sondern zum Branchenführer seines Metiers aufzusteigen, vorbei an Österreichs Abo-Sieger Marcel Hirscher und Felix Neureuther. Bei den ersten Riesenslaloms der Saison wurde Kristoffersen Sechster, Dritter, Zweiter. Die beiden Slaloms gewann er, den zweiten in Madonna 1,25 Sekunden vor Hirscher. Am Mittwoch, beim Slalom in Santa Caterina, steht er erneut auf der Pole Position. Ob er eigentlich Videos anschaue von Kristoffersen? Natürlich, sagte Hirscher neulich, Kristoffersen repräsentiere die neue Generation, technisch und beim Material: "Er hat die nötige Coolness. Henrik fährt clever, brillant."

Ganz überraschend kommt Kristoffersens Konjunkturhoch nicht; bei den Junioren gewann er einst sechs WM-Goldmedaillen - ein Jahrhunderttalent, raunten sie. Überraschend war vielmehr, wie unbekümmert er in das flirrende Treiben im Weltcup eintauchte. Im Dezember 2012 wurde er erstmals vorstellig. Er schied fast nie aus, bald tauchte er unter den besten zehn Slalomfahrern der Welt auf. "Er ist als Junger sehr viel Ski gefahren, er hat sehr oft geübt", sagt Mitter. Kristoffersens Oberschenkel sind dünn, sehr dünn für einen Sport, in dem die Konkurrenz sich Kreuze so breit wie Kühlschränke antrainiert. Er macht das mit Technik und Schnelligkeit wett. Wenn er seinen Schwung einleitet, kantet er den Ski sauber in den Hang; er bremst nicht, wenn er Kurven fährt, er beschleunigt. "Er hat sich auch eine gewisse Lässigkeit bewahrt", sagt Mitter, zum Beispiel im Umgang mit Medien, die ihn als Jahrhunderttalent klassifizieren. "Und er hat sich das Gefühl bewahrt, unbedingt gewinnen zu wollen", sagt Mitter. Er könne die Erwartungen der anderen gar nicht spüren, ergänzt Kristoffersen, denn: "Den meisten Druck mache ich mir selbst. Ich hasse es, zu verlieren."

In Norwegens Alpinsparte fördern sie diese Lust am Erfolg. Sie produzieren in ihrer kleinen Nachwuchsschmiede keine Massenware, dafür fehlen ihnen Personal und Ressourcen. Jeder Skirennfahrer ist dafür ein sorgfältig geschliffenes Sondermodell, gefertigt für den Wettstreit um vordere Plätze. Die Norweger gewinnen seit Jahren Hauptpreise bei Weltmeisterschaften und Winterspielen, früher Lasse Kjus und Kjetil André Aamodt, dann Svindal, jetzt Kristoffersen. In Sotschi erbeutete er Bronze im Slalom. Die Norweger begreifen große Rennen nicht als Gefahr, sondern Chance, jede Generation impft dieses Wissen der nächsten ein. "Das ist unsere Kultur, Dinge weiterzugeben", sagt Mitter, "dadurch wird man auch selbst besser."

Kristoffersen hat auf diese Weise vieles erlernt, was andere sich erst später aneignen. Zum Beispiel, dass man im Rennen das abruft, was man im Training einstudiert hat, nicht mehr. Wer etwas Besonderes anstellt, scheitert ja oft besonders spektakulär. Kristoffersen orientierte sich früh an Fahrern wie Ivica Kostelic, der Kroate fuhr unaufgeregt, aber er gewann Rennen, technisch sauber und konstant. Mitter und Kristoffersens Vater ließen den Jungen zunächst oft trainieren, er wurde sicher auf verschiedenen Hängen und Belägen. Mittlerweile arbeiten sie weniger, tüfteln dafür länger am Setup für eine bestimmte Piste. Mittelfristig soll er die Weltcup-Wertungen im Slalom und Riesenslalom gewinnen, langfristig planen sie für den Gesamtweltcup; sie werden dafür den Super-G ins Portfolio nehmen. Kristoffersen wird die Aufträge ehrgeizig verfolgen, aber auch mit einer Prise Gelassenheit. "Es ist Weltcup. Wir ziehen ja nicht in den Krieg", sagt Mitter, überhaupt: "Die Jahre sprechen für ihn." Kristoffersen wird im Sommer 22 Jahre alt.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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