Ski alpin:50 cm² Freiheit

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Zweikampf vor Gericht: Henrik Kristoffersen klagt gegen den Verband. (Foto: Oliver Morin/AFP)

Der Norweger Henrik Kristoffersen verzichtet freiwillig auf den Slalom in Levi - weil er gegen den eigenen Verband klagt.

Von Johannes Knuth, München

Vor zwei Wochen, die neue Saison war gerade angebrochen, fand man den Skirennfahrer Henrik Kristoffersen in ungewohnter Pose: Der Norweger lehnte an einem Zaun, einige Meter hinter dem Zielraum von Sölden, wo sie gerade die Klassenbesten des Tages kürten. Von dort, im Schatten der Sieger, moderierte Kristoffersen seinen achten Platz im Riesenslalom. Viel zu wenig für einen, der im vergangenen Winter kaum eine Siegerehrung verpasst hatte. "Ich will nicht sagen, was es ist, aber ich vermute, was falsch läuft", sagte Kristoffersen den norwegischen Reportern. Mehr sagte er nicht. Aber man spürte, dass er eine stille und doch kräftige Unzufriedenheit mit sich herumtrug.

Vor Kurzem hat Kristoffersen den Vorhang vor seiner Wut nun zurückgeschoben. Sein Streit mit dem norwegischen Skiverband ist wieder aufgeflammt, und zwar so sehr, dass Kristoffersen den Zwist vor ein Bezirksgericht in Oslo getragen hat. Der 22-Jährige will mit einem eigenen Sponsor werben. Der Verband ist davon, freundlich formuliert, mäßig begeistert. Weshalb Kristoffersen jetzt einen weiteren drastischen Entschluss fasste: Er, der aktuelle Weltcup-Gesamtsieger im Slalom, wird auf das nächste Rennen verzichten, den Slalom am Wochenende in Levi. "Die Entscheidung ist auch im Interesse anderer Teammitglieder", sagte er dem norwegischen Sender NRK. Im Moment, fügte er an, sei "zu viel Lärm um mich".

Es lärmt seit Längerem, seitdem Kristoffersen ein Angebot eines österreichischen Getränkeherstellers vorliegt. Er will mit dem Sponsor auf seinem Helm werben, der Platz ist lukrativ, die Besten rufen für die Fläche schon mal 500 000 Euro auf, mindestens. Der norwegische Verband hat den Platz nur längst an einen seiner Unterstützer verpachtet, eine Telefonfirma. Die Athleten erkennen diesen Pakt an, sobald sie die Athletenvereinbarung des Verbandes unterzeichnen. Kristoffersen weigerte sich im Frühjahr, er unterschrieb später dann doch, ansonsten hätte er keine Freigabe für den Weltcup erhalten. Sein Unmut aber war nicht gebändigt. Es gibt in der norwegischen Alpinsparte ja eine Ausnahme, Edelfahrer Aksel Lund Svindal; er wirbt seit Jahren mit jenem Sponsor auf seinem Helm, den Kristoffersen jetzt akquirierte. Was der Verband mit dem Hinweis wegmoderierte, dass man Svindal diese Genehmigung vor Jahren erteilte, als man den aktuellen Sponsor noch nicht angeworben hatte. "Unfair", sagte Lars Kristoffersen, Vater und Trainer von Henrik, der Aftenposten. Der Startverzicht soll freilich auch den Verband unter Druck setzen: "Wir hatten das Gefühl, dass man uns nicht ganz ernst genommen hat", so Kristoffersen senior.

Der Streit erinnert an ein Problem, das der Skizirkus seit Jahren mit sich herumschleppt. Auf der einen Seite die bekannten Sportler, die ihren Marktwert in Geld überführen wollen (und dabei oft verbandsfremde Sponsoren engagieren müssen). Auf der anderen Seite der Weltverband Fis und die nationalen Verbände, die für die Selbstvermarktung enge Grenzen ziehen. Die Fis gesteht den Athleten auf Skiern, Rennanzug und Helm nur eine winzige Fläche zu, die sie frei vermarkten dürfen: 50 Quadratzentimeter, auf dem Helm.

Wobei: Ob diese Fläche wirklich dem Athleten zufällt, darüber richtet oft der nationale Verband. Die meisten Verbände gönnen ihren Sportlern den Platz, auch der deutsche. Andere Verbände, wie der norwegische, reservieren auch diese Fläche für sich. Svindal wurde damals auch ausgenommen, weil er versprach, einen Teil der Erlöse dem Verband zuzuführen, die Angaben in der Szene pendeln zwischen 20 und 40 Prozent. Kristoffersen soll dem Verband laut eigener Auskunft eine ähnliche Klausel angeboten haben; dem Verband hätte das 2,7 Millionen Euro verschafft. Der beschloss zuletzt lieber, persönliches Sponsoring auf Helmen zu verbieten. Er verstehe die Verbände ja, sagt der ehemalige Skirennläufer Christian Neureuther, mittlerweile Aufsichtsrat im Marketing-Ressort des deutschen Verbandes; viele können erst dank der Sponsoren eine Infrastruktur um ihre Sportler hochziehen. "Aber man sollte als Verband nicht alles beanspruchen", sagt Neureuther, "man muss die besten Athleten mitnehmen. Sie riskieren viel, bei den Abfahrten gar ihr Leben."

Norwegens Sportszene ist von dem Streit mächtig aufgerüttelt. "Wir müssen darüber reden, ob ein nationales Fördermodell im Skisport noch Zukunft hat", sagte der ehemalige Rennläufer Kjetil André Aamodt der Aftenposten. Aamodt weist die Schuld dem Verband zu, der mit Svindals Ausnahme das Potenzial für weitere Konflikte säte. Tom Stiansen wiederum, Slalom-Weltmeister von 1997, warf Kristoffersen vor, "kein Teamplayer" zu sein. Die Norweger legen im Alpinsport viel Wert auf das Kollektiv. "Wenn ich irgendwelche Privilegien einfordere, dann hat der Teamkollege auf Weltranglistenplatz 100 das Recht, mich zurechtzuweisen", sagte Svindal im Januar im SZ-Interview. "Deshalb harmonieren wir gut. Wir sind alle gleich."

Bis auf 50 Quadratzentimeter. Die Skiszene wird von dem Streit jedenfalls schwer getroffen. Kristoffersen hatte in Sölden noch Österreichs Marcel Hirscher zum Duell im Gesamtweltcup herausgefordert. Jetzt entscheidet ein Bezirksgericht in Oslo, in welche Richtung das Duell fürs Erste steuert.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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