Ski alpin:Alle 100 Jahre

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So langsam wird's eng im Trophäenschrank: Marcel Hirscher gewinnt in Kranjska Gora zum sechsten Mal die Gesamtwertung - Rekord bei den Männern. (Foto: Gepa/imago)

Der Österreicher Marcel Hirscher, 28, schafft mit seinem sechsten Sieg im alpinen Gesamtweltcup eine historische Tat. Auch, weil er sich immer wieder neu erfindet.

Von Johannes Knuth, Kranjska Gora/München

Im Moment seines bislang größten Erfolgs wirkte der Skirennfahrer Marcel Hirscher ein wenig ratlos. Er starrte im Ziel auf die Anzeigetafel, die ihn jetzt als Sieger des Riesenslaloms von Kranjska Gora auswies, knapp vor dem Norweger Leif Kristian Haugen. Hirscher neigte den Kopf zur Seite, na ja, schien er zu sagen, ganz nett, aber die Fahrt hätte schon noch besser sein können. Dann nahm er routiniert die Gratulationen der Kollegen entgegen. Erst später sank er in seine Freude, als eine Interviewerin ihm vorrechnete, dass er gerade übrigens den Gesamtweltcup auf seine Seite gezerrt hatte. "Echt?", fragte Hirscher.

Gut, das sei dann "doch nicht so schlecht", befand er, und auch wenn das alles doch nicht so ganz überraschend kam: Ein bislang unerreichter Moment war es ja schon, immerhin das.

Marcel Hirscher, 28, aus Annaberg in Österreich ist seit Jahren der beste Skirennfahrer der Gegenwart, und seit diesem Wochenende ist er auch der beste der Historie, ganz offiziell. Hirscher hat jetzt sechs Gesamtsiege in seinem Besitz, einen mehr als Marc Girardelli. Wenn man Skifahrer fragt, welcher Preis ihnen am meisten zusagt, wählen sie fast immer die Gesamtwertung, als Zeugnis der Langlebigkeit. Und Hirscher hat seine Gesamtsiege ohne Unterbrechung aneinandergeknüpft, was sein Werk noch heller strahlen lässt. Am Sonntag sicherte er sich noch die Disziplinwertung im Slalom, seine vierte, hinzu kommen vier weitere im Riesenslalom. So einen wie Hirscher, hatte Felix Neureuther zuletzt gesagt, Dritter am Sonntag hinter Sieger Mario Matt (Österreich) und Stefano Gross (Italien), so einen wie Hirscher also - "den gibt es einmal in 100 Jahren".

Das ist das wohl beachtlichste an Hirschers Werk: Dass er keine Mühen scheut auf der Suche nach Exzellenz, dass er immer wieder Läufe erschafft, die man mit üblichen Standards kaum messen kann. Weil es Vergleichbares halt noch nicht gab. Wenn der erste Lauf um halb zehn beginnt, testet er um halb acht oft noch zwei Paar Ski. Nach dem ersten Lauf ist das beste Paar schon wieder das falsche, weil Piste und Wetter sich wandeln. Hirscher schiebt dann die Bindungsplatte ein paar Millimeter nach vorne oder hinten, ändert den Winkel der Kanten, um Zehntelmillimeter. "Die zwei Zehntel, die ich beim Material raushole, muss ich nicht selbst rausfahren", hat er im SZ-Gespräch einmal gesagt. Wobei man sich schnell dabei verirren kann, wenn man sich ständig neu erfindet, das betont er immer wieder. Wie das sei, mit ihm zusammenzuarbeiten, fragte die Agentur APA seinen Trainer Michael Pircher in Kranjska Gora. "Es ist schon Freude", sagte Pircher. "Größtenteils."

Das ist nun mal Hirscher: Er ist mit Talent gesegnet, aber er lässt sich davon nicht tragen. Er ist in einer Hütte in den Salzburger Dolomiten aufgewachsen, kein Strom, kein warmes Wasser, Kühe, Pferde, Frösche. Mit elf Jahren beschloss er, sich mit Vater Ferdinand Richtung Weltspitze aufzumachen, seine Gabe zu veredeln, indem er sich und sein Umfeld permanent fordert. Das ist das Leitthema, bis heute. Sie haben im Verband qua seiner Erfolge längst ein Team hochgezogen, nur für ihn, mit Pircher, Physiotherapeuten, zwei Servicekräften, einem Pressebetreuer, dem Vater. Nicht, dass ihm das zu Kopf gestiegen ist. Hirscher redet oft im Plural, auch im Erfolg. "Wenn meine Servicemänner einen schlechten Tag haben, kann ich meinen besten haben, ich würde trotzdem keine Medaille gewinnen", sagte er bei der WM in St. Moritz, wo er seine WM-Titel fünf und sechs erstand. Die Marke Hirscher steht für Skifahren und Erfolg, viel mehr nicht, aber er hält zu den branchenüblichen Überhöhungen ohnehin Distanz. "Grundsätzlich wollte ich das nicht werden", hat er mal gesagt, Heilsbringer, Rockstar auf Skiern, solche Sachen. "Ich wollte nur einer der besten Skifahrer werden."

Hirscher heute beim Skifahren zuzuschauen, das ist oft so, als lausche man den Wiener Philharmonikern: Alles fließt ineinander, jeder Ton ein Genuss. Gut, ein paar Dissonanzen gab es über die Jahre schon, spitze Bemerkungen, weil Hirschers Muskeln vor sechs Jahren plötzlich wuchsen, nach einer Verletzung. Er sagt dazu: "Trainier mit mir einen Monat! Tagtäglich! Vier, fünf Stunden Kraft! Dann schauen wir, ob bei dir auch was weitergegangen ist." Er hat in den vergangenen Jahren auch oft betont, wie ermüdend es sei, sich ständig selbst zu überbieten. Am Samstag, als der sechste Triumph feststand, sagte er: "Es gibt zwei Möglichkeiten: Aufhören, oder mich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten." Aufhören? Bis 2018 wird er schon weitermachen, sagen sie im Verband, eine olympische Goldmedaille fehlt ja noch in der Vita. Woran ihn die österreichischen Reporter ausdauernd erinnern. "Wenn es nicht kommt, kommt es nicht, wenn es kommt, ist es super", sagte Hirscher in St. Moritz, zart genervt. Es muss immer weitergehen, auch für einen sechsmaligen Gesamtweltcupsieger.

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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