Serbien gegen Albanien:Abbruch per Joystick

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Holt das Banner vom Himmel: Serbiens Fußballer Stefan Mitrovic (Foto: REUTERS)

Ein bizarres Schauspiel führt zum Abbruch des Qualifikationsspiels zwischen Serbien und Albanien. Der Bruder des albanischen Regierungschefs Rama soll eine Drohne mit provozierender Flagge bedient haben - und wird vorübergehend festgenommen.

Von Matthias Schmid

Der Serbe Stefan Mitrovic ist ein sprunggewaltiger Abwehrspieler. Dass er seine Athletik einmal dafür aufbringen würde, um eine Flagge aus luftiger Höhe zu greifen, hätte der Innenverteidiger des SC Freiburg bis zum Dienstagabend wohl nicht für möglich gehalten. Doch sein Sprung in Belgrads Nachthimmel beendete nicht nur nach hässlichen Szenen und Prügeleien das Länderspiel zwischen Serbien und Albanien vorzeitig, sondern führte auf politischer Bühne zu erheblichen Spannungen zwischen den beiden Ländern, weil der Bruder des Ministerpräsidenten ein unbemanntes Flugobjekt ins Stadion gelotst haben soll.

Doch der Reihe nach: Die Partie zwischen Serbien und Albanien war 40 Minuten lang ein ganz gewöhnliches Fußballspiel, es gab in diesem Qualifikationspiel zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich die üblichen Fouls, die üblichen vergebenen Torchancen - bis die Drohne kam. An zwei Schnüren befestigt, zog das Flugobjekt hoch über dem Rasen des Partizan-Stadions eine große Flagge hinter sich her, auf dem ein doppelköpfiger Adler auf rotem Länderumriss zu sehen ist, das Symbol für Großalbanien. Dazu die Botschaft: autochthonous, einheimisch, alteingesessen - und die Konterfeis der albanischen Nationalhelden Ismail Qemali und Isa Boletini.

Qualifikation zur Fußball-EM
:Prügelei bei Serbien gegen Albanien

Hässliche Szenen im Qualifikationsspiel zwischen Serbien und Albanien: Als mitten in der Partie ein Banner aufs Spielfeld geflogen wird, gerät die Situation außer Kontrolle. Serbische Zuschauer attackieren albanische Spieler. Die Partie wird abgebrochen.

Für die serbischen Zuschauer und Kicker war das natürlich eine Provokation. Albanische Nationalisten träumen schon länger von einem vereinigten Albanien, das nicht nur den seit 2008 unabhängigen Kosovo umfasst, sondern auch noch Teile Serbiens beansprucht, in denen ethnische Albaner leben. Mit gemeinsamen Militärmanövern haben Albanien und Kosovo im Sommer des vergangenen Jahres Serbien nicht zum ersten Mal politisch herausgefordert.

Mitrovic war schließlich der Erste, der diese Fahne dann vom Himmel holte, kurze Zeit später war er umzingelt von albanischen Spielern. Sie schlugen auf ihn ein, sie wollten die Flagge haben, die Szene wurde immer unübersichtlicher und dramatischer, als plötzlich die ersten serbischen Anhänger den Platz stürmten, einer von ihnen prügelte mit einem weißen Gartenstuhl auf einen albanischen Spieler ein. Die Gästespieler flehten den englischen Schiedsrichter Martin Atkinson an, das Spiel zu unterbrechen, damit sie in die Kabine fliehen konnten.

Angesichts des erhöhten Sicherheitsrisikos dieses Spiels hatte der europäische Fußballverband im Vorfeld empfohlen, albanische Fans nicht ins Stadion zu lassen. Im Gegenzug würden auch keine serbischen Anhänger zum Rückspiel im kommenden Jahr nach Tirana reisen. Darauf hatten sich die nationalen Verbände schließlich geeinigt. Allerdings waren einige wenige albanische Fans privat nach Belgrad gekommen.

"Wir wollten weiterspielen", sagte Serbiens Kapitän Branislav Ivanovic nach dem Abbruch, "aber die albanischen Spieler sahen sich körperlich und psychisch nicht in der Lage dazu. Es ist bedauernswert, dass der Fußball heute nicht im Vordergrund stand." Die Uefa leitete nun Ermittlungen gegen beide Verbände ein.

Sowohl Fifa-Präsident Joseph Blatter als auch Uefa-Chef Michel Platini zeigten sich gleichermaßen über die Geschehnisse bestürzt, der Fußball dürfe nicht für politische Botschaften benutzt werden, teilten sie mit. "Ich missbillige zutiefst, was letzten Abend in Belgrad geschehen ist", schrieb Blatter via Twitter.

Serbische Medien berichteten unter Berufung auf die Polizei, dass der Bruder des albanischen Regierungschefs Edi Rama, den Abbruch provoziert haben soll. Aus der VIP-Loge heraus habe er die Drohne bedient. Noch im Stadion nahm die Polizei Olsi Rama vorübergehend fest, nachdem bei ihm die Fernsteuerung gefunden worden war. Rama, der einen US-Pass besitze, kam aber schnell wieder frei und flog noch in der Nacht gemeinsam mit der Fußballnationalmannschaft zurück nach Albanien.

Bei seiner Ankunft in Tirana bestritt er alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit Vehemenz. Er sei weder festgenommen noch befragt worden, sagte Rama: "Ich verstehe nicht, wo das herkommt." Serbiens Außenminister Ivica Dacic sprach von einer sorgsam geplanten Provokation albanischer Extremisten. "Serbien trägt keinerlei Verantwortung für den Spielabbruch", sagte der Spitzenpolitiker der größten Zeitung Blic am Mittwoch in Belgrad: "Besonders problematisch ist die Tatsache, dass das der Bruder des albanischen Premiers getan hat, der hier Gast sein sollte".

Ob Edi Rama von all dem etwas wusste, ist nicht bekannt. In jedem Fall ist Olsi Ramas vermeintliche Verwicklung politisch brisant. Der Ministerpräsident plant, am 22. Oktober nach Belgrad zu reisen, als erster albanischer Regierungschef seit fast 70 Jahren. Sein Bruder wird ihn nicht begleiten.

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