Schach:Eine fast unmögliche Wende

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Sergej Karjakin: Tritt nur manchmal mit einem Faible für harte Typen in Erscheinung (Foto: Sebastian Reuter/Getty)
  • Sergej Karjakin hat beim Kandidatenturnier in Berlin inzwischen die besten Chancen, sich wie im Jahr 2016 erneut als Herausforderer des Weltmeisters Magnus Carlsen zu qualifizieren.
  • Nach einem Fehlstart zu Beginn steigert er sich enorm, dabei hilft ihm auch Mut zum Risiko.
  • Runde um Runde überwand er seine Krise, auch mithilfe einer alten Weisheit aus der russischen Schachschule.

Von Martin Breutigam, Berlin

Anfangs Letzter, jetzt Erster - Sergej Karjakin ist beim Kandidatenturnier im Berliner Kühlhaus eine kaum noch für möglich gehaltene Wendung gelungen. Der russische Schachgroßmeister rückte nach seinem Sieg in der zwölften Runde gegen den Amerikaner Fabiano Caruana zu diesem an die Tabellenspitze auf. Zwar stehen in dem ehemaligen Fabrikgebäude die größten Dramen wohl erst bevor - zwei Runden vor Schluss hoffen noch fünf der acht Großmeister auf den Turniersieg -, aber Karjakin hat inzwischen die besten Chancen, sich wie im Jahr 2016 erneut als Herausforderer des Weltmeisters Magnus Carlsen zu qualifizieren.

Dass er nach dem Fehlstart mit nur einem Punkt aus vier Partien überhaupt zurückfand, ist ein neuerlicher Nachweis seiner hohen Spielkunst und Nervenstärke. Am Samstag zeigte der 28-Jährige auch Mut, als er gegen Caruana im 17. Zug eine so genannte Qualität opferte, einen Turm für eine Leichtfigur. Läufer schlägt Bauer d5! Hinterher schilderte Karjakin seine Gedanken vor diesem Schlüsselzug: "Ich dachte mir, ich muss jetzt spielen wie ein Mann. Wenn ich in dieser Turniersituation nicht opfere, wann dann."

Karjakin schmunzelte bei diesen Worten, was dem chauvinistischen Anflug eine leicht ironische Brechung gab. Eigentlich wird er wegen seiner freundlichen Art vielerorts respektiert; aber offenbar hat er auch einen Faible für harte Typen. Aus seiner Verehrung für den russischen Präsidenten Putin macht er beispielsweise keinen Hehl. Bis zum Jahr 2009 war Karjakin, großgeworden auf der Krim, ein Ukrainer. Danach wechselte er den Verband und die Staatsangehörigkeit.

"Das Schlechteste, was passieren konnte", war es für Caruana

Sein Mut gegen Caruana zeigte rasch Wirkung. Karjakins Läufer stand nun wie ein Leuchtturm mitten auf dem Brett, strahlte in alle Richtungen und hemmte das gegnerische Figurenspiel. Im Nachhinein ärgerte Caruana sich, dieses Opfer überhaupt zugelassen zu haben: "Eine sehr schlechte Entscheidung." Die Folgen dieser vielleicht turnierentscheidenden Fehleinschätzung seien ihm drei, vier Züge später bewusst geworden, als er im Ruheraum die Stellung vor einem Monitor aus einer anderen Perspektive betrachtete: "Da begann ich zu bereuen, was ich getan hatte. Es sah so wunderschön aus - von der weißen Seite aus betrachtet." Er habe lange überlegt, wie er die Stellung seines Königs verbessern könnte: "Aber ich fand keinen Weg."

Karjakin erklärte hinterher seinen erstaunlichen Weg zurück ins Turnier: "Das Wichtigste war zu vermeiden, eine Partie nach der anderen zu verlieren." Wie brutal man bei einer kleinen Formschwäche in einem solchen Weltklassefeld abrutschen kann, zeigt der Fall von Lewon Aronjan. Vor dem Turnier galt der Armenier als Topfavorit, mittlerweile ist er Tabellenletzter. Karjakin versuchte, bei einem langen Spaziergang durch Berlin "alles zu vergessen".

Er habe nicht darüber nachgedacht, wie er am schnellsten seine Bilanz verbessern könnte, "ich wollte einfach überleben". Runde um Runde überwand er seine Krise, auch mithilfe einer alten Weisheit aus der russischen Schachschule: als Schwarzer remis halten, als Weißer auf Gewinn spielen. "Irgendwann fing ich an, mit Weiß Druck zu machen". Er besiegte Wesley So, Wladimir Kramnik, und in der elften Runde rang er Lewon Aronjan nieder, ehe er in der zwölften Runde zur Spitze aufschloss.

Für Caruana war die Niederlage gegen den direkten Konkurrenten "im Grunde das Schlechteste, was passieren konnte". Zumal er nun bei Punktgleichheit am Ende des Turniers die schlechtere Feinwertung gegenüber Karjakin aufwiese. Karjakin behauptet indes, ihn kümmere die knifflige Turniersituation nicht: "Ich will einfach gut spielen." Vor der 13. Runde an diesem Montag führen Karjakin und Caruana mit je sieben Punkten, gefolgt von Ding Liren, Alexander Grischuk und Schachrijar Mamedjarow (6,5).

© SZ vom 26.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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