Richard Freitag bei Vierschanzentournee:Aus dem Kreißsaal der Flieger

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Richard Freitag landet in Innsbruck auf Platz eins. (Foto: Getty Images)

Seinen Sieg in Innsbruck beschreibt Richard Freitag mit: "Yeaaah!" Mit den Vierschanzentournee-Siegern Sven Hannawald oder Jens Weißflog will er sich nicht vergleichen, dabei begann sein Leben im selben Krankenhaus.

Von Lisa Sonnabend, Innsbruck

Soweit war es nun also schon gekommen. Severin Freund zog es im Stehen die Skier weg, auf dem Hosenboden rutschte er den Auslaufbereich hinunter. Die Zuschauer im Innsbrucker Stadion lachten, nein, sie johlten. Der 26-Jährige stapfte mühsam in Richtung Schanzenausgang. Die Szene bestätigte den Eindruck: Bei der Vierschanzentournee läuft es einfach nicht für die deutschen Springer. Doch dann schob sich Richard Freitag auf den Balken, glitt die Schanze hinunter, hob ab - und plötzlich war alles ganz anders.

Freitag erzielte am Sonntagnachmittag in Innsbruck beeindruckende Weiten von 133,5 und 132 Metern. Der 23-Jährige flog beide Male so ruhig und landete so sauber, dass ein Jurymitglied ihm sogar die Bestnote von 20 Punkten gab. Freitag gewann das dritte Tourneespringen vor Stefan Kraft, der nach drei Springen die Führung bei der Vierschanzentournee innehat (zum Ergebnis in Innsbruck und zur Gesamtwertung geht es hier). Im Kampf um den Gesamtsieg spielt Freitag zwar auch nach seinem Triumph keine Rolle mehr, doch ihm ist Entscheidendes gelungen: Er hat das deutsche Sprungteam rehabilitiert.

Nach dem Debakel in Oberstdorf hatte Bundestrainer Werner Schuster von einer "Katastrophe" gesprochen, in Garmisch blickte er zunächst arg ernst vor sich hin. Nach dem zweiten weiten Satz von Freitag riss der 45-Jährige beide Arme hoch, ballte die Fäuste. "Wir können stolz sein", sagte der Bundestrainer nach dem Wettkampf. "Wir haben es noch gedreht. Ich bin gerührt."

Freitag rannte, als das Ergebnis feststand, zurück in den Auslaufbereich der Schanze. Er hüpfte im Schnee auf und ab. Er fuchtelte mit den breiten Sprungskiern in der Luft, als wären sie leicht wie Langlaufbretter. Er schrie. Ein paar Minuten später, während er auf die Siegerehrung wartete, sagte er: "Das hat Laune gemacht, das war geil." Der Innsbruck-Sieger lehnte am Absperrgitter, die Skibrille baumelte um seinen Hals. Die Augen glänzten. Dann schob er hinterher: "Wenn es nur immer so leicht wäre." In Garmisch-Partenkirchen war Freitag bereits ein weiter Satz gelungen, in der Qualifikation von Innsbruck ebenso, und nun hatte er endlich zwei formidable Sprünge absolviert.

Vor Tourneebeginn hatten viele Severin Freund den Gesamtsieg zugetraut, er zählte sich sogar selbst zu den Favoriten auf den Titel. Doch in diesen Tagen ist Freitag der erfolgreichste deutsche Springer. In der Gesamtwertung liegt er auf Platz fünf, sein Zimmerkollege Freund ist nur Zehnter. Während Freitag oben auf dem Podest den Pokal in die Höhe reckte und die Nationalhymne für ihn gespielt wurde, gab Freund Interviews. Er war immerhin Achter geworden, zufrieden war er allerdings auch diesmal nicht.

Im Jahr 2002 hatte zuletzt ein deutscher Springer am Bergisel gewonnen. Sven Hannawald flog damals am weitesten, anschließend sicherte er sich in Bischofshofen überlegen die Vierschanzentournee. Als Freitag auf der Pressekonferenz darauf angesprochen wurde, trank er erst einmal ein Glas Orangensaft aus und goss sich sofort wieder nach. An die historische Dimension habe er nach dem Sieg nicht gedacht, versicherte er. "Die Fußspuren von Hannawald sind ein bisschen größer", sagte Freitag und lächelte. "Da muss ich mir ein paar Socken in die Schuhe stecken." Gewisse historische Parallelen zwischen den beiden Springern gibt es trotzdem, das kann auch der bescheidene Freitag nicht leugnen. Beide Sportler kamen nämlich im Krankenhaus im sächsischen Erlabrunn auf die Welt, wie auch schon Jens Weißflog.

Seit 2009 springt Freitag im Weltcup, zum fünften Mal stand er nun ganz oben auf dem Podest. Es ist für ihn eine Genugtuung. Denn als das deutsche Team im vergangenen Jahr in Sotschi Olympia-Gold gewann, war Freitag wegen eines Formtiefs nur Zuschauer. Auch zu Beginn dieser Saison lief es nicht optimal, Freitag sprang sehr instabil. Anfang Dezember legte er eine Pause ein, um in Ruhe trainieren zu können. Erst in Engelberg - kurz vor der Vierschanzentournee - startete er wieder. Die Entscheidung hat sich ausgezahlt. Die Sicherheit, die Selbstverständlichkeit und das Selbstvertrauen kehrten zurück. Freitag wirkte schon zu Beginn der Tournee entspannter als Freund, gelöster, weniger verbissen.

"Skispringen ist vor allem eine Riesenkopfsache", erklärte Freitag. "In dieser einen Zehntelsekunde musst du so vieles richtig machen." In Innsbruck machte er alles richtig. Doch schon in Bischofshofen könnte er in dem kurzen, alles entscheidenden Moment wieder mehr Probleme bekommen. Freitags Stärke sind Absprung und Landung, doch die Schanze in Bischofshofen ist höher als die in Innsbruck. "Es ist eine Fliegerschanze", sagte Bundestrainer Schuster. "Da müsste dafür der Severin ganz gut springen können." An diesem Montagabend ( Liveticker bei SZ.de) wird die Qualifikation ausgetragen, am Dienstag der Wettkampf.

An das nächste Springen wollte Freitag jedoch in Innsbruck noch nicht denken. Er genoss lieber den Erfolg. Ein einziges Wort reiche völlig aus, um zu beschreiben, wie er sich im Moment fühle, meinte er. Dieses eine Wort war jedoch eher ein Schrei. "Yeaaah!"

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