Reformpläne beim HSV:Hallo Zukunft, adieu Romantik

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Der HSV soll umgebaut werden: Rafael van der Vaart muss auf dem Platz jedoch erstmal den Nichtabstieg sichern. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Hamburger SV will zukunftsfähig werden: Auf einer turbulenten Jahreshauptversammlung beschließt der Bundesliga-Klub das Reformmodell "HSV Plus" und öffnet sich für Investoren. Die Anti-Kommerz-Fraktion im Verein warnt vergeblich.

Von Carsten Eberts, Hamburg

Der Wahlkampf war intensiv, teilweise heftig, doch als Ernst-Otto Rieckhoff am Sonntagmittag seine Bewerbungsrede beendet hatte, war das Meinungsbild klar. In Halle 6 des Congress Centers Hamburg (CCH) brandete gigantischer Beifall auf, die große Mehrheit der Delegierten erhob sich von den Sitzen. Dann verließen viele Mitglieder fluchtartig den Saal.

Viele Anhänger des Reformprojekts "HSV Plus" wollten den anderen Reden gar nicht mehr lauschen. Sie hatten ihre Revolution bereits auf den Weg gebracht. Als dann auch noch die Redezeit pro Mitglied per Antrag von fünf auf zwei Minuten reduziert wurde, war gesichert, dass eine vertiefte Debatte über die Zukunft des HSV nicht mehr geführt werden sollte. Am Stimmungsbild würde sich nichts mehr ändern.

Der Hamburger SV hat den ganzen Sonntag über eine neue Vereinsstruktur beraten, fünf Modelle wurden vorgestellt, mit einem eindeutigen Sieger: 79,4 Prozent der etwas mehr als 7000 Stimmberechtigten votierten für "HSV Plus", das Konzept von Ex-Aufsichtsratschef Rieckhoff, das die Ausgliederung der Profiabteilung in eine Fußball-AG vorsieht. Ein deutliches Ergebnis: Schon 50 Prozent hätten gereicht.

Mitglieder-Votum
:HSV öffnet sich Investoren

Das gab es noch nie im Norden: Nach hitziger Debatte stimmen die Mitglieder des Hamburger SV dafür, die Profifußball-Abteilung aus dem Verein auszugliedern. Damit könnten in Zukunft Investoren beim HSV einsteigen - mit dem Modell will der Klub in den kommenden Jahren bis zu 100 Millionen Euro einnehmen.

100 Millionen Euro Einnahmen?

Fast nebenbei öffnet sich der Verein damit für Investoren, die in absehbarer Zukunft - so hatte es Rieckhoff im Wahlkampf versprochen - etwa 100 Millionen Euro in die Kassen spülen sollen. 24,9 Prozent der Anteile könnten künftig an strategische Partner verkauft werden, ähnlich läuft es bereits bei den meisten erfolgreichen Bundesligisten. Trotzdem ist es ein großer Schritt für einen stolzen Verein, der sonst so viel Wert auf seine Eigenständigkeit legt.

Rieckhoff winkte nach der Abstimmung in großer Jubelgeste in die Menge, die so laut johlte, als hätte der HSV gerade den FC Bayern aus der eigenen Arena geschossen. Der Jubel zeigte auch, wie groß der Leidensdruck unter den Mitgliedern gewesen ist. Zu häufig hatte der HSV die erklärten Saisonziele verpasst und in schöner Regelmäßigkeit dicke Millionendefizite präsentiert. Irgendwann war die Stimmung gegen die bisherige Vereinspolitik gekippt.

"Das ist überwältigend", sagte Rieckhoff und äußerte einen Wunsch: "Lasst uns ab morgen allein darauf konzentrieren, dass unsere Mannschaft die Klasse hält. Und der Vorstand soll sich im stillen Kämmerlein mit der Umsetzung des Konzeptes befassen."

Es ist schließlich nicht so, dass der HSV ab morgen auf Investorensuche ist. Der Vorstand um den Vorsitzenden Carl-Edgar Jarchow ist ab sofort offiziell beauftragt, das gewünschte Konzept umzusetzen. Dafür hat das Gremium ein halbes Jahr Zeit, bis spätestens zum 30. Juni 2014 muss eine erneute Versammlung einberufen werden. 75 Prozent müssen dann abermals für "HSV Plus" stimmen - nach den 79,4 Prozent vom Sonntag ein machbares Unterfangen.

Zuvor hatten die Gegner noch ein letztes Mal versucht, vor den Folgen von "HSV Plus" zu warnen. Allen voran jene, die gegen die Kommerzialisierung in ihrem Verein kämpfen. Einige Mitglieder brachen in Tränen aus, als sie Gewissheit erhielten, dass in ihrem Herzensklub künftig auch Investoren mitreden dürfen. "Wir wollen kein Produkt wie Red Bull oder Hoffenheim werden", warnte der Vorsitzende des Fanklubs "Not for sale". Vergeblich.

Rieckhoff hingegen hatte erfolgreich mit großen Namen jongliert. Der Milliardär und HSV-Freund Klaus-Michael Kühne stehe als Investor bereit, Felix Magath oder andere Mitglieder der Europapokal-Sieger-Mannschaft von 1983 könnten in sportliche Funktionen gehievt werden, kündigte Rieckhoff unter großem Applaus an. Er hatte sein Konzept am besten verkauft, auch das wurde deutlich. Die vier anderen Bewerber scheiterten klar.

Vorstand unterstützt Reformer

Der HSV steht somit vor einem spannenden Halbjahr. Der große Umbau wird vorbereitet, kurzfristige Rücktritte aus der aktuellen Führung nicht ausgeschlossen. Etwa von Aufsichtsratschef Manfred Ertel oder Vorstandsmitglied Oliver Scheel, die als Gegner von "HSV Plus" auftraten. Auf der Versammlung machten immer wieder "Ertel raus"-Rufe die Runde. Einknicken wollte Ertel jedoch nicht. "Die Gerüchte, dass ich aus dem Aufsichtsrat zurücktrete, sind nur heiße Luft", erklärte er energisch.

Der übrige Vorstand hatte sich zuvor rechtzeitig auf die Seite der Revolutionäre geschlagen. Jarchow und sein Kollege Jürgen Hilke hatten sich auffallend ruhig verhalten, bekannten sich dann kurz vor der Abstimmung zu "HSV Plus". Es sei höchste Zeit für die Strukturänderung, sagte Hilke, der Klub befinde sich in einem "finanziellen Teufelskreis". In der Bundesliga sei der HSV ein "schwerfälliger Tanker unter Schnellboten", sagte Hilke. All dies soll sich nun ändern.

Noch müssen die Revolutionäre allerdings einige Probleme ausräumen. Zum Beispiel, dass die Delegierten einen Antrag zur sogenannten Fernwahl ablehnten. Diese sollte auswärtigen Mitgliedern ermöglichen, per Briefwahl an den Versammlungen teilzunehmen. Die auswärtigen Fans, so die allgemeine Meinung im Saal, hätten sich beim neuerlichen Voting im Sommer mehrheitlich für "HSV Plus" ausgesprochen. Beim Bekanntwerden des Ergebnisses gab es Tumulte im Saal. Im Sommer droht dem Klub ein weiterer, harter Wahlkampf.

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