Real Madrid:Verausgabt euch bitte nicht!

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Eckballschütze und Vollstrecker: Toni Kroos (links) gratuliert Real-Kapitän Sergio Ramos, der zwei Kopfbälle ins Tor wuchtete. (Foto: Alessandro Bianchi/Reuters)
  • Real Madrid darf weiter von der Titelverteidigung in der Champions League träumen.
  • Gegen Neapel gelingt trotz mäßiger Leistung ein 3:1-Sieg.
  • Zwei Treffer gehen auf das Konto der deutsch-spanischen Spaßbremse: Toni Kroos und Sergio Ramos.

Von Birgit Schönau, Neapel

Schlecht gespielt und klar gewonnen: das schaffen nur die großen Mannschaften. Alles gegeben, außer im entscheidenden Moment aufzupassen, das ist allzu oft der Fehler der Kleinen. Insofern war das 3:1, mit dem Real Madrid sich gegen den SSC Neapel ins Viertelfinale der Champions League durchwurschtelte, ein Stück aus dem Fußball-Lehrbuch. Eine Halbzeit lang machten die Gastgeber das Spiel, nahmen das Tor von Keylor Navas unter Beschuss, wie es unter der Ägide von Zinédine Zidane selten geschehen war.

Elf Torschüsse, aber nur einen davon verwertet, verschwenderischer Offensivfußball, der das Publikum im Stadio San Paolo verzückte, ja verzauberte. Der Belgier Dries Mertens, 29, brachte Napoli in Führung (24.), die Königlichen hatten außer einem Pfostenschuss des kläglich hüftsteifen Cristiano Ronaldo keine nennenswerte Aktion gezeigt. Die erste Halbzeit gehörte dem SSC Neapel, der die Partie offensichtlich minutiös vorbereitet hatte.

Mit Topfdeckeln lärmten die Neapolitaner vor dem Teamhotel

Spätestens nach dem 1:0 schwelgte eine ganze Stadt in der Illusion, man könne tatsächlich den spanischen Routiniers nicht nur "auf den Sack gehen", wie es Neapels Trainer Maurizio Sarri so weltmännisch höflich formuliert hatte, sondern gar den 1:3-Rückstand aus dem Hinspiel aufholen. Ein einziger weiterer Treffer hätte ja gereicht zu einem glatten 2:0, dem Viertelfinale, der Fußballsensation. David schlägt Goliath, das ist sozusagen der Urmythos in der Südmetropole, die sich unter Anfeuerung ihrer politischen Führung gern auf den Fußball konzentriert, um es denen da oben im Norden zu zeigen. Auch wenn der Norden, wie im Falle von Madrid, auf demselben Breitengrad liegt.

Entsprechend war das Spiel gegen Real Madrid verklärt worden zum Match genialischer und wackerer Außenseiter gegen das müde Establishment, beifällig ausgeschmückt von italienischen Medien, die gegen jede Wahrscheinlichkeit Neapel hohe Siegchancen herbei rechneten. Bereitwillig leistete auch das Publikum seinen Beitrag, pfiff die Gäste aus, blieb aber durchaus selbstironisch, wie jener ältere Herr, der auf der Tribüne das Spruchband schwang: "Wir akzeptieren auch Wunder."

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Andere waren gleich im Ornat des Stadtheiligen San Gennaro erschienen, kurz, es wurde alles mobilisiert, auch in der Nacht vor dem Spiel. Da befolgten immerhin einige Dutzend den alten Brauch, den Gegner vor einem wichtigen Match buchstäblich um den Schlaf zu bringen, und tauchten mit Topfdeckeln und anderem bunten Gerät vor dem Mannschaftshotel der Spanier auf. Real Madrid hatte sämtliche 150 Zimmer eines renovierten Adelspalazzos in der Altstadt gebucht, der mit Schall isolierenden Fenstern ausgestattet war. Tags darauf beschwerten sich die Gäste, die Neapolitaner hätten sie auf dem Weg zum Stadion einen Extra-Umweg machen lassen - begleitet von der Polizei und einer Armada frenetisch hupender Vespa-Fahrer.

In Wirklichkeit waren die direkten Zufahrtswege vollkommen blockiert. Sechs Stunden vor Spielbeginn war das San Paolo schon zur Hälfte gefüllt - und wer kein Ticket hatte, wollte trotzdem irgendwie in der Nähe der Mannschaft sein. Grenzenlose Begeisterung also - doch dann grenzenlose Ernüchterung.

Real Madrid dachte gar nicht daran, sich von dem Rückstand aus der Ruhe bringen zu lassen, zu Hause, im Hinspiel, hatten sie schließlich auch aus einem 0:1 ein 3:1 gemacht. Und ohne unnötige Kräfte zu vergeuden, wiederholten sie vor den entgeisterten Neapolitanern tatsächlich noch einmal das alte Stück. Es läuft nicht ganz rund, ihr Lieben, mag Zinédine Zidane seinem Team in der Pause gesagt haben. Wir müssen da jetzt mal was tun. Aber verausgabt euch bitte nicht, am Sonntag müssen wir schon wieder Real Betis erledigen.

Ein Fall für das deutsch-spanische Spaßbremsen-Duo also. Toni Kroos und Sergio Ramos brauchten gerade mal sieben Minuten, um das Resultat und die Fußballwelt wieder gerade zu rücken. Ecke Kroos, Kopfball Ramos - in der 51. und in der 58. Minute. Nur die vergebliche Mühe des wackeren Mertens verhinderte die vollkommene Kopie des ersten Treffers: Der Belgier gelangte irgendwie in die Flugbahn von Ramos' Ball und bekam das 1:2 prompt als Eigentor zugeschrieben. In Wirklichkeit hatte Ramos, der charismatische Kapitän, es auch bei seinem 100. Auftritt für Real auf der europäischen Bühne mal wieder für sein Team gerichtet, kongenial assistiert von dem beeindruckend coolen und präzisen Toni Kroos. Zwei Standardsituationen, zwei Tore, das reichte, um die verzweifelt kämpfenden Neapolitaner abzuhängen. Danach kam, was Zidane bei seinem alten Arbeitgeber Juventus Turin gelernt hatte - Ergebnisverwaltung und schließlich Einsatz eines ausgehungerten Ersatzspielers, um dem frustrierten Gegner den Rest zu geben. Der Vollstrecker war Alvaro Morata, ebenfalls ein Ex-Juve-Mann, dem eine Viertelstunde gewährt wurde, die er selig zum 3:1 nutzte.

Das schöne Spiel ist der Trost der Kleinen

"Vor der Pause haben wir gelitten", gestand Zidane später mit der Großzügigkeit des Siegers, aber davon, mit Glück gewonnen zu haben, wollte er nichts wissen: "Im Fußball spielt Glück keine Rolle." Jedenfalls nicht beim Gesamtergebnis von 6:2.

Der Trainer der Königlichen blieb auch in der Analyse gewohnt minimalistisch, ganz anders als sein Kollege Maurizio Sarri, der auch in der Champions League im Trainingsanzug auftritt, "weil mein Beruf halt Trainer ist". 50 Minuten lang habe sein Team den Titelverteidiger aus Spanien "unterjocht", jubelte Sarri, "das gibt mir Hoffnung für die Zukunft". Das schöne Spiel ist der Trost der Kleinen. Für Neapel war Dabeisein auch diesmal wieder alles. Real aber hat sich kurz geschüttelt und steht im Viertelfinale.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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