Real Madrid:102 Dezibel gegen Sergio Ramos

Lesezeit: 3 min

  • Nach 40 Spielen ohne Niederlage in Folge verliert Real Madrid 1:2 gegen den FC Sevilla.
  • Der frühere Sevilla-Spieler Sergio Ramos, der permanent ausgepfiffen wird, leitet die Niederlage mit einem Eigentor ein.
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Von Oliver Meiler

Die Akustikmessung erhält einen neuen Apparat. Im spanischen Sevilla, wo er am Sonntagabend erstmals zur Anwendung kam, nennen sie ihn "Sergíometro". Er misst alle missliebigen Laute gegen den andalusischen Fußballer Sergio Ramos, 30 Jahre alt: das Pfeifen, das vulgäre Schimpfen, das ironische Gejohle - den ganzen, gellenden Geräuschteppich. Im Spitzenspiel der spanischen Liga zwischen dem zweitplatzierten FC Sevilla, Ramos' Jugend- und Leibverein, und dem Tabellenführer Real Madrid, seinem Arbeitgeber seit zehn Jahren, wurde der Innenverteidiger bei jeder Aktion derart laut geschmäht, dass Versöhnung ausgeschlossen erscheint. Für immer. Das Gepfeife war ja auch programmiert gewesen, vorsätzlich also.

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Stevan Jovetic trifft für den FC Sevilla in der 92. Minute zum Siegtreffer und fügt Real Madrid die erste Niederlage seit April zu. Sergio Ramos hat einen unglücklichen Abend.

95 Dezibel zeigte das "Sergíometro" etwa an, als Ramos nach dem Aufwärmen in die Umkleide zurückkehrte. 101 Dezibel waren es, als der Stadionsprecher die Nummer 4 ankündigte: Der Nachname ging unter. Und 102 Dezibel wurden es in der 84. Minute. Man wird den Vorfall, Ramos' Eigentor, in den kommenden Tagen in jeder "tertulia", jeder Talkshow, zu deuten versuchen und sich dabei wohl auch bei der Hobbypsychologie bedienen.

Schön anzusehen war das Spiel nicht

Real war nach Cristiano Ronaldos Elfmetertor in der 67. Minute 1:0 in Führung gegangen, ohne davor überzeugt zu haben. Man hatte sich im Mittelfeld abgenützt, Pressing und Gegenpressing, intensiv und leidenschaftlich. Trainer Zinédine Zidane ließ sein Team mit drei Innenverteidigern spielen, denen im Notfall noch zwei Außenverteidiger assistierten. Sehr schön anzusehen war das nicht, es war eine taktische Schlacht. Und wieder hatte es den Anschein, als käme Real mit einer bescheidenen Leistung durch.

Es wäre das 41. Spiel ohne Niederlage in Serie gewesen, alle Wettbewerbe gezählt, man wäre dann nur noch zwei Spiele entfernt gewesen von Juventus Turins Rekord. Von Zidane hätte es wohl geheißen, er sei die Traineroffenbarung schlechthin, wider alle Skepsis zu Beginn. Mit einem Sieg, so sagten die Auguren auch voraus, wäre die Liga zur Hälfte der Saison entschieden gewesen. Der FC Barcelona hätte fünf Punkte Rückstand gehabt, mit einem Spiel mehr.

Doch dann kam alles anders - wie nach einem abenteuerlichen Drehbuch, Science Fiction gewissermaßen. In der Hauptrolle: ausgerechnet der Geschmähte, der ausgepfiffene verlorene Sohn. Das Pfeifen hatte eine Vorgeschichte.

Als die beiden Mannschaften vergangene Woche in der Copa del Rey in Sevilla aufeinander trafen, trat Ramos einen Elfmeter mit aufreizender Nonchalance: Er lupfte den Ball nur leicht an, platzierte ihn zentral und düpierte damit den hechtenden Torwart. In Spanien nennt man die Figur "Panenka", nach dem großen Antonin Panenka. Sie gilt als spektakulär, aber auch als respektlos.

Danach baute sich Ramos auf unter der Kurve der Ultras, der Biris Norte, die ihn seit vielen Jahren und bei jeder Ballberührung auspfeifen, weil sie ihn für einen Verräter halten, und wies sie mit der typischen Daumenbewegung an, sich den Namen auf seinem Rücken zu merken. Dann hielt er sich noch beide Hände an die Ohren: "Nun, habt ihr noch Luft zum Pfeifen?" Zurück kam das vollständige Repertoire des Stumpfsinns samt Gesten. Nach dem Spiel sagte Ramos, wer seine Mutter verunglimpfe, verdiene seinen Respekt nicht. Der FC Sevilla kündigte darauf an, man werde Ramos beim Verband anzeigen, weil er das Publikum provoziert habe. Im Höchstfall gibt es dafür eine Sperre von zwölf Spielen.

So also ging man in dieses Spiel, als wäre es eine Revanche. Die Biris sangen zu Beginn Chöre zu Ehren von Ivan Rakitic und Dani Alves, auch sie ehemalige Sevillistas, die zu ihrer Zeit zu einem größeren Verein gewechselt sind: Man schätzt sie aber offenbar mehr als den Sohn aus der eigenen Nachwuchsabteilung. Ramos sagte schon mehrmals: "Wenn ich beerdigt werde, soll die Fahne des FC Sevilla auf meinem Sarg liegen." Doch alle Treuebekenntnisse halfen nichts. Ein Teil der Anhängerschaft glaubt bis heute, dass Ramos mit 19 seinen Transfer nach Madrid gegen den Willen des Vereins durchgesetzt hat. Nun soll er spüren, dass er daheim nicht mehr daheim ist. So stand es am Sonntag auch auf einem Spruchband: "Das ist nicht dein Zuhause".

So viel Fügung auf einmal

Ramos steckte zunächst alles weg und war nahe dran, auch die Revanche zu gewinnen - bitter zwar, aber mit Trotz. Bis zur 84. Minute und diesem Flankenball von rechts. Ramos stieg wohl mit der Absicht hoch, den Ball aus der Gefahrenzone zu befördern, traf aber ins eigene Tor. 102 Dezibel - ein Teil war wohl Verwunderung: ausgerechnet Ramos. So viel Fügung auf einmal. Der Film war gerissen. In der 92. Minute schoss Neuzugang Stevan Jovetic das 2:1. Ramos senkte den Kopf. 105 Dezibel zur Kapitulation.

In den tertulias wird man wohl hören, dass auch einer wie Ramos, der sich in seiner großartigen Karriere an den süßen Klang des Applauses gewöhnt hat, an Pfiffen zerbreche. Gerade zu Hause, wo sie besonders schmerzen. In den sozialen Medien gibt es eine hübschere Deutung: "Er ist eben doch Sevillista, tief drinnen!", konnte man lesen, als habe das Unterbewusstsein Ramos befohlen, ein Tor zu schießen. Ein Tor für Sevilla. Vielleicht keimt da doch schon etwas Hoffnung auf Versöhnung.

© SZ vom 17.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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