Ralf Fährmann bei Schalke 04:Vereinsheiliger im Dauerstress

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Hält gut: Ralf Fährmann (Foto: dpa)

Ralf Fährmann ist der Rückhalt im alarmierenden Spiel von Schalke 04, so gute Zensuren wie er bekommt nicht einmal Manuel Neuer. Beim Bundestrainer hat er trotzdem keine Chance.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Eine der Thesen aus Rudi Völlers umfänglichem Handbuch der Fußballweisheiten besagt, dass es Vereine als schlechtes Zeichen begreifen sollten, wenn ihr Torwart von der Fachpresse andauernd die besten Noten in der Mannschaft bekommt. Völler hat zwar nichts dagegen, wenn Bernd Leno bei Bayer Leverkusen hin und wieder mit einer starken Leistung glänzt, aber im Großen und Ganzen fühlt er sich wohler, wenn der Torwart dem Idealbild des Schiedsrichters entspricht: Er sollte immer gegenwärtig sein, wenn er gebraucht wird, aber er sollte nicht im Mittelpunkt stehen.

In manchem Notenranking führt er die Bestenliste an

Demzufolge genügt es nicht, wenn sich die Leute in Gelsenkirchen jetzt ein paar Sorgen zu machen. Vielmehr muss die Situation bei Schalke 04 als alarmierend betrachtet werden. Nach der bekanntlich penibel betriebenen Zensurenvergabe des Fachmagazins kicker war Ralf Fährmann bereits in der vorigen Saison mit einigem Abstand der notenbeste Bundesligatorhüter, auch in der laufenden Saison führt er wieder die Konkurrenz an: vor Oliver Baumann aus Hoffenheim, Ron-Robert Zieler aus Hannover und Loris Karius aus Mainz. Manuel Neuer dagegen, den doch die Menschen von Feuerland bis Grönland für den Besten der Weltbesten halten, rangiert auf Platz acht der Liste.

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Dies spricht aber nicht gegen Neuer, sondern gibt Rudi Völler recht: Auf Dauer kann ein Torwart nur dann glänzen, wenn ihm seine Vorderleute dazu die Gelegenheit geben. Während Neuer in München oft nur Zuschauer der Kantersiege seiner Mitspieler ist, kann sich Ralf Fährmann in Schalke über Mangel an Beschäftigung selten beklagen.

An diesem Samstag beim Spiel zwischen Schalke 04 und Bayern München werden sich die seit Jugendtagen miteinander vertrauten Fährmann und Neuer wieder mal über den Weg laufen, und es darf als sicher gelten, dass der 29-jährige Nationaltorwart von seinem zwei Jahre jüngeren Kollegen sehr viel freundlicher begrüßt wird als vom heimischen Publikum. Immer noch hat ihm ein unversöhnlicher Kern der Schalker Tifosi den Wechsel nach München vor vier Jahren nicht verziehen. Immer noch macht diese Leute der zielbewusste Karriereschritt des ehemaligen Vereinsheiligen Neuer zornig, obwohl an dessen Stelle längst ein neuer Vereinsheiliger getreten ist.

Fährmann wurde zwar nicht wie Neuer in Gelsenkirchen, sondern im fernen Chemnitz geboren, und er kam auch nicht wie Neuer im Alter von fünf Jahren zum Verein, sondern zog mit 14 ins Jugendinternat ein - er gehört aber längst zu den wenigen Schalke-Profis, die nicht nur als Schalker anerkannt werden, sondern sogar als "echte" Schalker. Was ein gewaltiger Unterschied ist.

Fährmann wohnt mit seiner Verlobten, die er im Reha-Zentrum auf dem Klubgelände kennengelernt hat, in Recklinghausen, er ist im Ruhrpott heimisch geworden. Als er neulich seinen Vertrag verlängerte, sorgte das für rasende Begeisterungsstürme in der Schalker Gemeinde - dabei hatte er lediglich den ohnehin bis 2019 bestehenden Vertrag um ein Jahr fortgeschrieben. Andererseits dürfen die Anhänger von ihm tatsächlich erwarten, dass er den Vertrag erfüllen wird. Das unterscheidet Fährmann von anderen langfristig gebundenen Spitzenspielern im aktuellen Kader, die zwar - wie Leroy Sané und Joel Matip - seit Kindesbeinen Schalker sind, denen es aber genauso ergehen könnte wie Manuel Neuer: Möglicherweise sind sie bald zu gut für Schalke. Oder auch zu wertvoll, als dass der Verein sie sich ewig leisten könnte.

Während Sané am Unglücksabend in Paris sein Länderspieldebüt gab, ist Fährmann trotz der höchstrichterlichen Bestnoten immer noch nicht in Joachim Löws Aufgebot aufgenommen worden. An mangelnder Wertschätzung liegt das nicht: Löws Torwartminister Andreas Köpke ist ehrlich angetan von Fährmanns konstanten Höchstleistungen. Das Problem ist jedoch, dass Neuer und Fährmann zwar in demselben Betrieb von demselben Ausbilder angelernt wurden, dass sie aber zwei unterschiedliche Stilformen vertreten. Neuer agiert mit Leidenschaft und technischem Können als elfter Feldspieler, Fährmann ist ein Strafraumtorwart. Auf Neuers offensivem Vorgehen baut das hoch postierte Spiel der Nationalelf auf, Fährmann ist fußballerisch nicht gut genug, um diese Spielart zu unterstützen. Konkurrenten wie Bernd Leno und Marc-André ter Stegen sind ihm da voraus.

Fährmann scheint das zu ahnen. Eine Einladung ins Nationalteam bleibt sein Wunsch, aber er ist auch nicht enttäuscht, dass er noch keine erhalten hat, er nimmt es sportlich. Das passt zu diesem Menschen, der nicht nur behauptet, für sein Dasein als Schalke-Torwart dankbar zu sein, sondern es auch tatsächlich ist- obwohl ihm seine Mitspieler mehr Arbeit überlassen, als es sich für ein Top-Team gehört.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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