Radsport:Motörchen stören die Tour de France

Lesezeit: 3 min

Bei der diesjährigen Tour de France sind Kontrolleure auf der Suche nach kleinen Motoren im Rahmen der Rennräder. (Foto: REUTERS)

Der Radsport bekämpft rigoros sein jüngstes Ärgernis: das Motordoping. Aber ist das Tuning eines Rades schlimmer als das Vollpumpen des Körpers?

Von Johannes Aumüller, Revel

Der Radsport ist seit Kurzem um ein paar neue interessante Bilder reicher. Da sind am Start jeder Tour-Etappe diese jungen Männer, die mit einem Tablet-Computer in der Hand den Rahmen des Rennrades absuchen. Und da sind am Ziel andere Männer, die sich ein Velo schnappen und in ein braunes Zelt in der Nähe der finalen Linie bringen. Allabendlich fügen die Organisatoren ihren üblichen Communiques dann dreistellige Zahlen an, 198, 136, solche Größenordnungen. Und wenn gegen Ende der Frankreich-Rundfahrt jemand diese Zahlen aufaddiert, kann er wohl ein Ergebnis von knapp 4000 erreichen.

Tablets, braune Zelte, die Zahl 4000. Das sind die Elemente, mit denen die Tour und der Weltverband (UCI) zeigen wollen, wie rigoros sie gegen die neue Gefahr für den Radsport vorgehen: den technischen Betrug, der sich knackig als "Motordoping" etabliert hat. Aber Tablet-Computer, braune Zelte und die 4000 sind auch Symbole für Ungewissheit. Und für die Debatte darum, ob es wirklich einen harten Kampf gegen neue Manipulation gibt - oder ob nicht auch viel Marketing dabei ist.

Die Diskussion um technischen Betrug gibt es spätestens seit 2010. Damals verbreitete sich im Internet ein Video von Fabian Cancellara, wie er bei einem Frühjahrsklassiker scheinbar mühelos die Geschwindigkeit erhöhte - als hätte er an einem Knopf gedreht. Der Schweizer wies den Verdacht zurück. Aber seitdem sind Radsport-Fans auf Suche nach Video-Schnipseln, die rätselhafte Bewegungen des Rades nach einem Sturz oder ähnlich Verdächtiges zeigen. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Berichte über Merkwürdigkeiten. Zuletzt sagte der Ex-Direktor der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD, Jean-Pierre Verdy, bei der Tour 2015 seien ein Dutzend Fahrer motorgedopt gestartet. Namen oder Belege lieferte er nicht.

Tour de France
:Froome wehrt Fan ab - und zahlt Strafe

Der britische Radprofi ist auf der Tour mit einem Zuschauer aneinandergeraten. Dirk Nowitzki kritisiert die Personalpolitik seines Klubs. Die russische Weitspringerin Darja Klischina erhält eine Starterlaubnis der IAAF.

Bisher nur ein Verstoß aktenkundig

Es ist schwer einzuschätzen, wie verbreitet diese Betrugsart tatsächlich ist. Dass sich mit versteckten Mini-Motoren oder sonstigen Tricks ein paar zusätzliche Watt herausholen lassen, bezweifelt niemand. Und wenn etwas technisch möglich ist, wird es in der Regel auch von jemandem genutzt. Klar ist auch, dass das Radsport-System beim Motordoping anders als beim herkömmlichen Schlucken und Spritzen nicht einfach auf Einzeltäter verweisen kann; ohne Unterstützung von Team und Mechanikern erscheint Technik-Betrug zumindest bei Rennen wie der Tour nicht organisierbar. Andererseits lässt es sich insgesamt leichter nachweisen. Aktenkundig ist in jedem Fall erst ein Verstoß: Anfang des Jahres war im Rad der Belgierin Femke Van den Driessche bei der Cross-WM der Juniorinnen ein Motörchen gefunden worden. Sie erklärte das so: Ihr Velo sei mit dem eines Freundes verwechselt worden.

Die UCI hat ihre Haltung zu diesem Thema stark verändert. Anfangs reagierte sie kaum, die für Verstöße festgelegten Strafen waren lächerlich gering - und Kontrollen gab es auch kaum. Aber seit 2015 rückte das Thema immer stärker in den Fokus. Das wichtigste Instrument der UCI sind Magnetresonanz-Untersuchungen via Tablet, davon gab es 2016 bei größeren Rennen schon Tausende. Bei der Tour kommen Wärmebildkameras und Röntgen-Tests hinzu - obwohl die UCI noch kürzlich und entgegen vieler Experten das Röntgen als uneffektiv beschrieb.

So weit, so gut; so schön verkaufbar und so unklar, was die Effizienz angeht. Neben der konkreten Technik stellt sich noch ein anderes Thema in diesem Kontext, nämlich der Vergleich mit dem herkömmlichen Doping. Auf den Motor-Fund bei Van den Driessche reagierten weite Teile der Branche überaus empört - darunter von Eddy Merckx bis Alberto Contador nicht wenige Sportler, deren Körperdoping-Vergangenheit bestens dokumentiert ist. Prompt bekam die Belgierin eine Sechs-Jahres-Sperre, gleichbedeutend mit dem Karriereende, das sie auch sofort ankündigte.

Dahinter mag der berechtigte Wunsch nach Abschreckung stecken. Andererseits erhält der normale Doper für ein Erstvergehen nur zwei Jahre. Und ist das Tuning des Rades wirklich schlimmer als das Vollpumpen des Körpers? Aus gesundheitlicher Sicht nicht, und aus moralischer Sicht auch nicht unbedingt. Denn normales Doping ist selbst dann wettbewerbsverzerrend, wenn es alle und alle in der gleichen Dosis benutzen: Denn jeder Körper reagiert anders auf verbotene Substanzen. Fünf Watt mehr durch einen Mini-Motor sind bei allen fünf Watt mehr. Aber wenn die Rad-Szene Technik-Doping als ungeheuerlich böse und normales Doping nur als halb so böse ansieht, dann zeigt das, dass viele den ungeheuren Mittelmissbrauch immer noch relativieren.

UCI: Tun so viel wie nie gegen Doping

Zumal die Bilder von Tablets, die Zelte und die Diskussionen über Motoren und Tretlager auch den Effekt zu haben, dass das immer noch weit verbreitete klassische Doping in der Branche und der Berichterstattung noch weiter aus dem Fokus gerät. Die Vergangenheit mancher Teamchefs und Fahrer; die Chancenlosigkeit der Kontrolleure gegen die Substanzen, die nach Einschätzung der Dopingjäger wieder im Umlauf sind, die sich aber noch nicht nachweisen lassen; der immer noch lückenhafte Kampf des Weltverbandes gegen das Dopingproblem.

Die UCI beteuert zwar, dass sie so viel wie nie gegen Doping tue. Aber mancher im Feld wundert sich, warum er seltener als früher Blut und Urin abgeben muss. Der Rennfahrer 2016 erhält offenkundig sehr viel öfter Besuch von einem jungen Mann mit einem Tablet als vom Dopingkontrolleur.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tour de France
:"Jeder fährt, als ob ihm sein Leben nichts wert wäre"

Heftige Stürze prägen die ersten Tage der Tour de France. Der Gesamtführende Peter Sagan kritisiert seine Kollegen heftig. Es herrsche kein Respekt mehr unter den Fahrern.

Von Johannes Aumüller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: