Probleme bei Bayer Leverkusen:Trotz Erfolg nur wenig sexy

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Leverkusens bester Stürmer Stefan Kießling. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Bayern-Gegner Bayer Leverkusen leidet an fehlender Anerkennung - trotz des Rekordstarts in die Bundesliga-Saison. Nun soll wieder einmal eine Imagekampagne Abhilfe schaffen. Dazu gehört auch besserer Service an den Würstchenbuden.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Stefan Reinartz, 24, wohnt mitten in Köln in einer Gegend, in der es viele Kneipen gibt, die bei jeder Gelegenheit Fußball zeigen. In den Pausen stehen die Leute auf den Straßen, rauchen tüchtig und reden über die Spiele. Es ist kein Problem für Reinartz, sich unter die Menge zu mischen, niemand behelligt ihn. Ein Leverkusener Bundesligaprofi und Nationalspieler, der im Hoheitsgebiet des 1. FC Köln freundlich toleriert wird - das ist einerseits eine schöne Geschichte und andererseits gar nicht so erstaunlich.

Es hat mit ihm selbst zu tun, weil er nicht der typische Ferrari-Fahrer unter den Fußballern ist, aber auch mit seinem Arbeitgeber, der in der Nachbarstadt nur an Derbytagen größere Gemütsregungen hervorruft. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger in diesen Tagen geschrieben hat: "In seiner Rolle des pausenlos Unterschätzten ist Reinartz der ideale Botschafter von Bayer 04 Leverkusen."

In dieser Woche, die nach dem Champions-League-Spiel gegen San Sebastian als krönenden Höhepunkt die Begegnung mit dem FC Bayern vorsieht, sollte Reinartz beantworten, wie ihm die Lobeshymnen zur andauernden Leverkusener Erfolgssträhne gefielen, aber er hat dazu nur irritiert geguckt und sich dann erkundigt, welche Lobeshymnen denn gemeint seien.

Von ausufernder Begeisterung über den Rekordstart in die Saison hat er jedenfalls nichts mitbekommen, was ihn allerdings nicht verwundert hat, denn "ich habe in Leverkusen noch nie erlebt, dass alle euphorisiert rumrennen" - Stefan Reinartz kam als Zehnjähriger zum Verein. An der Abwesenheit vom Medienlärm, die Bayer 04 üblicherweise als Wettbewerbsvorteil ausgelegt wird, kann sich der Mittelfeldspieler daher nicht so richtig erfreuen. "Ich bin froh über jede Schlagzeile", sagt er.

Bei Bayer Leverkusen ist man das Los im Schatten der großen Namen so leid, dass man daran zu leiden beginnt. Der neue Geschäftsführer Michael Schade, 60, der am Dienstag in die Nachfolge von Wolfgang Holzhäuser eingetreten ist, hat sein Amt damit begonnen, dass er sich für unglücklich erklärt hat. "Ich bin unglücklich mit dem Zuschauerzuspruch", sagte er. Selbst gegen San Sebastian, in der Champions League, blieben 2000 Plätze leer.

Schade will erreichen, dass künftig wenigstens zwei Drittel der Heimspiele ausverkauft sind, aber dazu fällt ihm auch nichts Anderes ein, als die nächste Image- und Markenkampagne zu starten. Außerdem sollen die Toiletten im Stadion modernisiert und der Service an den Würstchenbuden verbessert werden. Immerhin hat er noch keinen Fauxpas begangen wie sein Vorgänger Holzhäuser, der die Leverkusener Fangemeinde in Aufruhr versetzte, als er vorschlug, der "beliebteste Zweitverein im Land" werden zu wollen. Für all die Fußball-Konsumenten, denen der FC Bayern, Dortmund und Schalke noch nicht reichen.

Am Sport kann es nicht liegen, dass die Anerkennung fehlt. Spieler wie Rolfes, Castro, Kießling oder Reinartz geben der Mannschaft ein vertrautes und sympathisches Gesicht; junge Profis wie Leno, Sam, Son oder Bender versprechen Perspektive, der Leverkusener Fußball ist kämpferisch und attraktiv. Aber Erfolg macht offenbar doch nicht immer sexy. Eine Marktanalyse hat im Frühjahr ergeben, dass Bayer beim Fußballpublikum, das nicht unmittelbar zur Anhänger- oder Gegnerschaft zählt, die schlimmste Empfindung hervorruft - eben nicht Ablehnung und Feindseligkeit, sondern:Gleichgültigkeit.

Schade, der aus der Konzernkommunikation an die Spitze der sportlichen Unternehmenstochter delegiert wurde, wird möglicherweise nicht viel dazu beitragen, das Gefühlsniveau zu heben. Bei der Präsentation vor der Presse fasste er seine persönlichen Defizite in präzisester Form zusammen. "Ich bin weder ein Calli noch Weltmeister", gestand er.

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Sami Hyypiä, 39, wird in diesem Leben vermutlich nicht halb so viele Worte machen wie der Bayer-Ahnherr Reiner Calmund an einem Nachmittag bei Kaffee, Kuchen und Koteletts, aber der seit diesem Sommer alleinverantwortlich amtierende Bayer-Trainer bringt genügend gute Eigenschaften mit, um als Kultfigur zu fungieren. Die Spieler achten Hyypiä nicht nur deshalb, weil er als Profi Legende und Vorbild war, sondern weil er sich als Trainer nicht anders benimmt als vor drei, vier Jahren, als sie alle noch gemeinsam auf dem Platz standen.

"Er ist genau so, wie ich ihn kennengelernt habe", sagt Bernd Leno, der Hyypiä in seinen ersten Leverkusener Tagen noch als Praktikant des Trainers Robin Dutt erlebte. Der Torwart kann Hyppiä in wenigen Worten sehr präzise beschreiben: "Ruhig, sachlich, beeindruckend. Er ist, wie er ist." Dass viele Bayer-Profis ihren Chef duzen, ist für sie eine Selbstverständlichkeit, aber es ist kein Grund, um Hyypiäs Autorität zu fürchten.

Auch Hyypiä, die Kultfigur und Respektsperson, passt daher ziemlich gut zu diesem Verein. Er kommt ohne besondere Eitelkeiten aus, er schlägt keinen Krach, er arbeitet gründlich und er nutzt die Hilfen der Experten in seinem Trainerstab, die zwar allesamt keine Heldenvergangenheit im Profifußball vorweisen können, dafür aber ihr Fach studiert haben.

Eigentlich ist es also bei Bayer 04 Leverkusen genau so, wie es in einem modernen Fußballverein sein sollte. Und trotzdem fehlt etwas.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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