Premier League:Gefangen in Melancholie

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Hat inzwischen 21 Saisontore geschossen: Evertons Angreifer Romelu Lukaku. (Foto: REUTERS)
  • Der FC Everton wollte immer best of the rest sein, also Siebter der Premier League.
  • Attraktiv macht das nicht, das wissen sie natürlich. Doch gerade wird es erstmals deutlich ausgesprochen - von Torjäger Romelu Lukaku.
  • Wie ernst Lukaku es mit seiner Klage meinte, machte er deutlich, indem er ein Angebot zur Vertragsverlängerung über den Sommer 2019 hinaus ablehnte.

Von Sven Haist, London

Liebevoll nennen die Fans des FC Everton ihre Heimat Grand Old Lady. Das Stadion an der Goodison Road, erbaut inmitten eines Arbeiterviertels im Jahr 1892, feiert im Sommer seinen 125. Geburtstag. Das Alter ging nicht spurlos an der Spielstätte vorüber, aber gerade das macht den Charme aus. An den weißen Stützpfeilern auf der Haupttribüne, die die Sicht aufs Spielfeld versperren, lässt sich ja zur Not vorbeischauen.

Auf den Rängen drehen die Evertonians gerne die Zeit zurück, um in Erinnerungen zu schwelgen. Sie singen Lieder über die von anderen Klubs unerreichten 114 Jahre in der höchsten englischen Liga. Oder über die Zeit, in denen ihr Stadion noch modern war, ihr Verein neun Meisterschaften gewann und in den Achtzigerjahren den Europapokal der Pokalsieger. Das Problem, das sie in Everton in diesem Frühjahr so schmerzlich wie lange nicht mehr spüren: Die fußballerische Zukunft, sie spielt woanders.

"Best of the rest", das reicht in Zukunft wohl nicht mehr

Das große Geld, das in den Neunzigerjahren die Premier League erreichte, hat Everton aus der Liste der Meisterschaftsanwärter geworfen. Der eigene Anspruch ist über die Jahre geschrumpft. Immerhin "best of the rest" wollten die Toffees sein, also Siebter der Tabelle. Hinter dem Nachbarn Liverpool sowie den Branchengrößen aus London und Manchester. Attraktiv macht das nicht, das wissen sie natürlich. Doch gerade wird es erstmals deutlich ausgesprochen.

Vor ein paar Tagen gab der belgische Stürmer Romelu Lukaku, wertvollster Profi in Evertons Kader und einer der besten Torjäger Englands, ein viel beachtetes Interview in der "Times". Er sagte: "Okay, Everton hat als Fußballverein eine große Historie. Aber wir möchten, dass die Fans über uns reden, statt über die Teams von damals." Wie ernst Lukaku es mit seiner Klage meinte, machte er deutlich, indem er ein Angebot zur Vertragsverlängerung über den Sommer 2019 hinaus ablehnte. Trotz eines offerierten Wochengehalts von mehr als 150 000 Euro.

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Lukaku ist nicht der einzige Spieler mit Wechselgedanken. Auch Spielmacher Ross Barkley weigert sich, seinem Kindheitsklub die Treue zu schwören. Bereits im vergangenen Sommer ging der beste Verteidiger John Stones zu Manchester City. Die Frage ist nun: Weist Lukakus Vertragspoker darauf hin, dass der Klub in Melancholie stirbt und den Anschluss verpasst? Oder ist er ein Weckruf?

Am Samstag gewann Everton mit 4:0 gegen Hull, Lukaku traf zweimal, er hat jetzt 21 Tore erzielt. Mindestens für eine Nacht sind die Toffees Sechster und punktgleich mit Arsenal auf dem Europa-League-Platz. Doch obwohl Arsenal und ManUnited angreifbar zu sein scheinen, ist die Qualifikation für den Europapokal gefährdet, und die für die Champions League unwahrscheinlich. Doch die Champions League bräuchte der Klub, um etwas an seinem Schicksal zu ändern. Der Kampf, erstmals an der Königsklasse teilnahmen zu dürfen, gleicht einer Sisyphusarbeit.

Dabei soll diese Saison für Aufbruchsstimmung sorgen. Auf den Abwärtstrend der Vorjahre (jeweils Platz elf) reagierte Everton im Sommer mit der Verpflichtung des niederländischen Trainers Ronald Koeman. Der lässt es in keinem Interview aus, auf die guten Perspektiven seines Klubs hinzuweisen. "Klar bin ich nicht glücklich über das Interview", sagte er jüngst zu den Aussagen Lukakus, "denn wenn Everton ohne Ambitionen wäre, würde ich nicht der Trainer dieses Klubs sein."

Der Stürmer hatte auch kritisiert, das Management des Klubs habe es verschlafen, den Kader zu verstärken. Koeman sagt dazu, es benötige noch ein Transferfenster, um die Mächtigen der Liga herauszufordern: "Wir müssen zeigen, dass wenn ein Klub außerhalb der Top-6 den nächsten Schritt machen kann, es Everton ist."

Die Ironie der Geschichte: Was Koeman Mut macht, ist vor allem frisches Geld. Der iranische Geschäftsmann Farhad Moshiri, der sich vor 13 Monaten in den Verein eingekauft hat, sorgt für ein Umdenken. Für die Stelle des Sportdirektors warb Everton Steve Walsh ab, einer der prägenden Köpfe hinter den Spielertransfers beim Sensationsmeister Leicester. Dazu setzt sich Investor Moshiri mit Nachdruck für den Bau eines neuen Stadions ein. Eines, das die Erinnerungen zerstören würde. Aber in dem die Fans vielleicht von der Zukunft singen.

© SZ vom 19.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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