Petkovic bei den French Open:Gescheitert an der Lothar-Matthäus-Frage

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"Am meisten nerve ich mich selbst", sagt Andrea Petkovic bei den French Open. (Foto: AP)

"Netz - Rahmen - F... dich!": Die angeschlagene Andrea Petkovic verabschiedet sich emotional von den French Open. Julia Görges hingegen strahlt die beste Aura aus - und erreicht als einzige Deutsche das Achtelfinale. Trotz Heuschnupfen.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Was Andrea Petkovic am meisten nervt? Es ist nicht das Gestöhne von Gegnerinnen wie Maria Scharapowa oder Viktoria Asarenka, sagt sie. Und es war auch nicht dieser Klappmesser-Aufschlag von Sara Errani, den man eigentlich in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett ausstellen müsste, weil er so bizarr ist. "Am meisten nerve ich mich selbst", sagt Petkovic. Sie ist keine, die ein schlechtes Wort über die Konkurrenz verliert, aber sich kann sie wahrlich gut niedermachen.

Am Samstag um die Mittagszeit fielen ziemlich unanständige Sätze, einmal schallte es gar "Netz - Rahmen - F... dich!" über Court 1, der einer Stierkampfarena nachempfunden ist. Petkovic hatte Glück, dass die Schiedsrichterin kein Deutsch versteht, denn die 27-Jährige war ja schon einmal verwarnt worden, weil sie ihren Schläger aufs Übelste malträtiert hatte. In der Runde zuvor hatte ihr ein emotionaler Ausbruch noch geholfen, das Match gegen die Spanierin Lourdes Domínguez Lino zu drehen. Errani, diese coole Weltranglisten-17. und Paris-Finalistin von 2012, machte da nicht mit.

"Nicht bei hundert Prozent"

Die 3:6, 3:6-Niederlage bedeutete folglich das Aus für Petkovic. "Ich hatte nicht die Energie, das Match diesmal rumzureißen, also mental", meinte die Halbfinalistin der French Open 2014, die ja manchmal ganz gut darin ist, Matches herumzureißen, man denke nur an einige Fed-Cup-Auftritte. Von fünf deutschen Frauen in der dritten Runde war sie damit die vierte, die ausschied - nur Julia Görges sollte ihren Auftritt am frühen Nachmittag erfolgreicher gestalten.

Aber Petkovic ging später nicht mehr ganz so hart mit sich ins Gericht, im Grunde schien sie sogar sehr mit sich im Reinen zu sein. Sie war ja "nicht bei hundert Prozent" gewesen vor dem zweiten Grand Slam des Jahres, der rechte Oberschenkel bereitete ihr schon beim Turnier in Nürnberg Probleme, dort hatte sie gleich bei ihrem ersten Match aufgeben müssen.

In Paris setzte sich, so durfte man Petkovic verstehen, das Spiel fort mit der großartigen früheren Lothar-Matthäus-Frage: Macht der Muskel auf? Oder macht er zu? "Ich hab schon am Abend zuvor im Training gemerkt, dass er wieder etwas zu machte", sagte Petkovic. Petra Winzenhöller, die im deutschen Fed-Cup-Team als Physiotherapeutin arbeitet und mit nach Paris gereist war, konnte die Beschwerden zwar lindern, aber nicht wegzaubern.

Tennis bei den French Open
:Görges beeindruckt - Petkovic hadert

Sie ist die letzte Deutsche in Roland Garros: Julia Görges zeigt gegen die Amerikanerin Irina Falconi eine starke Leistung und erreicht das Achtelfinale - Andrea Petkovic ärgert sich über eine Verletzung.

Nun war es andererseits aber auch nicht so, dass sich Petkovic wie mit Gipsbeinen auf dem Sandplatz bewegte, sie war schon mobil. Sie hatte aber auch spielerisch zu selten Antworten auf das unangenehme Wühlmaus-Tennis von Errani gefunden. Die Italienerin aus Bologna, bei den vergangenen French Open noch völlig chancenlos gegen Petkovic (damals 2:6, 2:6 im Viertelfinale), gräbt an guten Tagen fast jeden Ball aus den Ecken aus; mit ihrer Vorhand spielt sie äußerst steile Cross-Winkel, druckvoll durch ihren extremen Topspingriff zudem.

Sie ist nur 1,64 Meter groß, aber für Gegner muss es sich anfühlen, als sei diese Errani ein Krake mit fünf Meter langen Tentakeln. "Für mich war es schwer, die Balance zu finden: Wie beende ich den Punkt, ohne völlig wild zu werden", sagte Petkovic, die, wenn sie mal ihre vielen prägnanten, unterhaltsamen Bilder und Metaphern weglässt, auch sehr fundiert und tiefgründig über Tennis philosophieren kann.

Diese fehlende Balance drückte sich anschaulich in einer Statistik aus. Ihr gelangen zwar 28 direkte Punkte gegenüber 14 von Errani. Dafür aber, gravierender, beging sie 41 unnötige Fehler, Errani hingegen nur 12. Petkovic nimmt sich nun erst mal eine Pause vor dem Start der Saison auf Gras-Plätzen, sie verzichtet auf das Turnier in s'Hertogenbosch, auch die Trainerfrage soll irgendwann mal geklärt sein; bis einschließlich Wimbledon wird sie weiter Dirk Dier betreuen, sonst Co-Trainer im Fed-Cup-Team.

Ein Geheimnis von Görges' Erfolg: die verbesserte Körpersprache

Julia Görges dagegen darf noch länger im Westen des Pariser Stadtzentrums verweilen, sie besiegte die Amerikanerin Irina Falconi 6:4, 6:1. Damit steht die 26-Jährige aus Bad Oldesloe zum ersten Mal im Achtelfinale der French Open, nach dem Erreichen der Runde der letzten 16 in Melbourne im Januar ihr zweites richtig gutes Ergebnis 2015.

"Ich bin sehr glücklich", sagte sie, sie sei überrascht, vor allem weil die Auslosung nicht so vielversprechend klang, etwa mit der an Nummer 5 gesetzten Dänin Caroline Wozniacki im Weg, die die 26-Jährige dann in der zweiten Runde in brillanter Manier ausschaltete - und doch sei sie auch wieder nicht überrascht, "wegen der Art, wie ich spielerisch in Form bin", sagte sie und strahlte tatsächlich selbst eine Stunde nach dem Match immer noch eine Zuversicht aus, als könnte sie gleich erneut auf den Platz gehen und weitersiegen. An ihrer Körpersprache hat sie übrigens auch gefeilt, verriet sie später. Görges war und ist von den deutschen Frauen in Paris definitiv die mit der besten Aura diesmal.

Auf Platz 72 steht sie derzeit in der Weltrangliste, aber von ihren Anlagen her müsste sie tatsächlich mindestens dort positioniert sein, wo sie 2012 einmal war, auf Platz 15 der Welt. So wie sie gegen Falconi agierte, die als 85. eigentlich in ihrer Ranking-Region ist, hat sie auch gegen Errani absolut berechtigte Chancen. Wühlmaus hin oder her. Jedenfalls bereiteten ihr nach einem Fehlstart (0:3) die Bäume samt den Pollen in der Nähe von Court 7 mehr Probleme - sie übertrieb nur unwesentlich, als sie meinte, sie hätte aufgrund ihrer Allergie "400 Taschentücher" verbraucht. 28:12 Winner, bei nur 12:19 Fehlern gegenüber Falconi sprachen für sich.

Die Frage ist nun, ob Errani mit ihrem zähen Tennis auch die dritte Deutsche in Serie besiegen kann, zumindest von der Strategie her will Görges ja gar nicht so viel anders machen als Carina Witthöft (Hamburg) und Petkovic vor ihr. "Es ist ein wichtiger Teil meines Spiels, dass ich aggressiv bleibe", betonte sie, wusste aber auch zu analysieren: "Bei Sara bekommt man immer wieder einen Extraschlag", es sei daher wichtig, das Angriffsspiel "nicht zu überstrapazieren, man muss seine Punkte taktisch gut aufbauen". Petkovic wird sie indes nicht mehr befragen zu ihrer Gegnerin, in der Branche kennt man sich eh in- und auswendig, vor allem Spielerinnen mit Tussaud-Potenzial.

© SZ vom 31.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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