Paul Biedermann bei der Schwimm-WM:Im Kreise der Giganten

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Paul Biedermann: Noch immer schnell

(Foto: dpa)
  • Paul Biedermann sichert dem DSV die erste Medaille der Beckenwettbewerbe.
  • Über 200 Meter Freistil schwimmt er zu Bronze - obwohl er nach dem Start noch Letzter ist.
  • Dass er nicht mehr der Held dieser Distanz ist, macht ihm wenig aus.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Jeder bringt seine eigene Geschichte mit in so ein Finale. Aber die Geschichte von Paul Biedermann ist die einzige, die jedes Mal auf der Anzeigetafel eingeblendet wird, wenn irgendwo auf der Welt ein Wettkampf über 200 Meter Freistil geschwommen wird. Oft zusammen mit seinem Namen und einem Deutschland-Fähnchen nebendran.

Die Geschichte geht so: 1:42,00 Minuten.

Am Dienstagabend steht Biedermanns Weltrekord nun also wieder oben unter dem Hallendach in der zum Schwimmbad umgebauten Fußball-Arena von Kasan. Unten steht Biedermann selbst, auf dem Startblock mit der Nummer sieben.

In wenigen Tagen wird er 29 Jahre alt, ein Jahr Schwimmen noch auf höchstem Niveau hat er sich vorgenommen, nach den Olympischen Spielen in Rio soll dann Schluss sein. Biedermann klopft sich ein paar Mal auf den wuchtigen Brustkorb, neben ihm steigt Chad le Clos, 23, auf den Block, daneben James Guy, 19, daneben Ryan Lochte, 30, daneben Cameron McEvoy, 21, daneben Sun Yang, 23. Die 200 Meter Freistil haben immer etwas von einem Kampf der Giganten, selbst wenn diesmal der Olympiasieger Yannick Agnel aus Frankreich gar nicht dabei ist wegen einer Rippenfellentzündung.

Aber eines weiß man immer schon vorher: 1:42,00 Minuten wird keiner der Beteiligten schwimmen.

Die Geschichten der anderen? Nun, da wäre zum Beispiel Lochte, 15-maliger Weltmeister, fünfmaliger Olympiasieger, der auch immer in der Mission unterwegs ist, "mehr Schwimm-Bewusstsein in Amerikas Wohnzimmer zu bringen". Sei es als Hauptfigur der Reality-Show "What would Ryan Lochte do?" vor ein paar Jahren, sei es, indem er "das Schwimmen auf eine neue Ebene" hebt. Seine neueste Idee: Er schwimmt die ersten Meter nach den Wenden jetzt unter Wasser auf dem Rücken.

Nun ist Lochte bekannt als der beste Unterwasserschwimmer der Welt, es gibt Videos, da legt er 50 Meter tauchend in 25 Sekunden zurück, nur mit der Kraft seiner Beine. Das ist im Wettkampf nur 15 Meter erlaubt, also dreht sich Lochte nach ein paar Beinschlägen um die eigene Achse - und taucht mit Vorsprung wieder auf. Im Halbfinale unterbot Lochte so die Jahresweltbestzeit. "Jeah", sagte er. Das Wörtchen "Jeah" hat er sich beim "US Patent and Trademark Office" als Marke eintragen lassen.

Chad le Clos, das ist der Südafrikaner, der bei Olympia 2012 in London das Ende der Ära Michael Phelps einleitete, er schlug den Gewinner von 18 Goldmedaillen über 200 Meter Schmetterling. Nicht zuletzt ist Le Clos auch Träger des Ikhamanga-Ordens in Silber. James Guy ist einer aus der neuen Generation britischer Wunderschwimmer, die aus der Millionen-Förderung für die London-Spiele hervorgegangen sind - wenn auch erst nach den Spielen. Der Australier Cameron McEvoy wiederum gilt seit Jahren als heißes Talent, und auch, wenn er das bisher nur bei den Pan-Pazifik-Spielen zeigen konnte, wird er zu Hause "Giant Killer" genannt.

Chinesische Schwimmer könnten gedopt sein? "Ein dreckiger Gedanke", schimpft Sun Yang

Und Sun Yang stand eine Weile stellvertretend für den Aufschwung des chinesischen Schwimmens. Doch inzwischen steht er auch für vieles, was schief läuft in dem Sport. Dabei ist noch nicht mal davon auszugehen, dass er das Trimetazidin, das man im Mai 2014 in seinem Körper fand, in der Absicht zu sich genommen hat zu manipulieren. Der Wirkstoff steht erst seit kurzem auf der Dopingliste. Schon eher manipulativ war der Umgang der Offiziellen mit dem Fall: Der chinesische Verband wollte ihn zunächst vertuschen, der Welt-Verband Fina sprach seine Drei- Monats-Sperre so diskret aus, dass sie erst publik wurde, als sie schon wieder abgelaufen war.

"Nirgends wird härter trainiert als in China"

Nach Sun Yangs erster Goldmedaille bei dieser WM, am Sonntag über 400 Meter Freistil, hat man ihn also nach den vergangenen Monaten gefragt, er sprach dann von "Schwierigkeiten": Er sei "oft verletzt" gewesen, die Ärzte würden ihm zur Schulter-OP raten, aber "ich komme nicht dazu, wegen der vielen Wettkämpfe". Als dann ein Schweizer Kollege noch mal nachfragte, ob er auch ein paar Sätze zu seinem Dopingfall sagen wolle, wurde Sun Yang wütend. Getuschel mit der Dolmetscherin: "Wir wollen wissen, aus welchem Land sie sind?"

Switzerland. Aha.

Und dann hielt Sun Yang eine bemerkenswerte Ansprache: "Immer, wenn ein Chinese Erfolg hat, meint die Welt, der Chinese sei gedopt", sagte er, "das ist ein dreckiger Gedanke." Es gebe auch Sportler aus anderen Ländern, die dopen, Australier zum Beispiel, und "nirgends wird härter trainiert als in China". Den Überblick zu behalten über all die Medikamente, sei leider unmöglich. Deshalb die Integrität der chinesischen Schwimmer anzuzweifeln, findet er, sei "ein Mangel an Respekt".

Nun ist es unstrittig, dass das chinesische Schwimmen eine Doping-Vergangenheit hat: Allein in den Neunzigerjahren wurden 40 gedopte Athleten aus dem Verkehr gezogen, danach schafften es Chinesen lange kaum noch in die Siegerlisten. Man kann aber auch nicht ausschließen, dass Sun Yang, geboren 1991, darüber nicht viel weiß. In chinesischen Medien sind diese dunklen Flecken eher kein Thema.

Das ist an diesem Dienstagabend also das Umfeld, in dem Paul Biedermann sich bewegt, und vielleicht ist es da ganz beruhigend, dass auch er selbst an die 1:42,00 Minuten nie mehr herangekommen ist. Sie stehen da seit der WM 2009 in Rom, aufgestellt im damals neuesten Modell der Hightech-Anzüge, die kurz darauf verboten wurden wegen ihrer Auftriebswirkung und ihrer Muskelkompression.

17:32 Uhr, der Start. Paul Biedermann kommt am schlechtesten weg vom Block. Aber die erste Zwischenzeit ist in etwa so, wie er sich das mit seinem Trainer Frank Embacher vorgenommen hat: Er wendet nach 25,23 Sekunden. Und er ist ja immer schon hinten raus besonders stark gewesen. Ryan Lochte taucht wieder mit Abstand am längsten - in seiner neuen Technik, den Bauch nach oben. Sun Yang schwimmt mit Wut im Bauch. Biedermann schiebt sich sukzessive voran. Und am Ende ist er Dritter, gewinnt Bronze in 1:45,38 Minuten. Es ist die erste Medaille für einen deutschen Beckenschwimmer in Kasan. Gold geht an Guy (1:45,14), Silber an Sun Yang (1:45,20). Lochte wird nur Vierter.

Biedermann schaut zunächst ein bisschen enttäuscht drein danach. Aber das täuscht: "Mir fehlte nur ein wenig Sauerstoff, den ich vom Gehirn auf die Augen weiterleiten konnte", scherzt er kurz darauf. Er ist "mit Bronze belohnt worden", findet Paul Biedermann, und dieser dritte Platz im letzten WM-Einzelfinale seiner Karriere, der "wiegt noch etwas mehr" als jener 2011 in Shanghai. "Weil ich ja auch älter geworden bin." Weltmeister wird Paul Biedermann nicht mehr werden in diesem Leben. Aber es ist wie es ist. Man muss nicht immer der größte der Giganten sein. Manchmal reicht es, wenn man es einmal war und sich alle immer wieder daran erinnern.

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