Olympische Spiele in Peking:Zeitenwende im Wasser

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Weltrekorde am Fließband - kann das mit rechten Dingen zugehen? Die Fabelzeiten im Schwimmen haben viele Gründe.

Thomas Hummel

Wenn Alain Bernard aus dem Wasser auftaucht, sieht man erst, welch enormen Brustkorb dieser Mann hat. Es sieht aus, als würde er aus dem superengen neuen Schwimmanzug herausplatzen. Der kleine Kopf darüber wirkt, als gehöre er einem anderen. Da muss doch Doping im Spiel sein! Oder?

Acht Kilogramm Muskelmasse in einem Jahr zugelegt: Alain Bernard, Olympiasieger über 100 Meter Freistil. (Foto: Foto: Getty)

Michael Phelps ist zur Siegerehrung gekommen, unter seinem Trainingsanzug hat er bereits seinen Schwimmanzug an. Dieser ist zwar nicht zu sehen, aber es kann gar nicht anders sein, denn nur wenige Minuten nach dem letzten Ton der Hymnen muss er schon wieder ins Wasser. Nach dem Weltrekord über 200 Meter Schmetterling vor 40 Minuten wird er nun Teil haben am Fabelrekord der 4x200-Meter-Staffel der USA. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Oder?

Die Schwimmer stoßen mit ihren Leistungen in Peking in neue Dimensionen vor. Weltrekorde werden um mehrere Sekunden verbessert, insgesamt gibt es schon 18 Bestzeiten nach sechs Wettkampftagen. Wenn man die Fülle an Weltrekorden dazurechnet, die von Zweit-, Dritt- und sogar Viertplatzierten erzielt wurden, sind es wesentlich mehr.

Bessere Mittel?

Die Schwimmer erregen in dieser ersten Woche viel Misstrauen. Woher kommen all diese Bestleistungen, all diese Zeiten, die vor kurzem noch als unschwimmbar galten? Es wäre verwegen zu glauben, es ginge alles mit rechten Dingen zu. Wenn sogar Fechter und Volleyballer schon mit Doping erwischt werden, kann kein Realist glauben, dass ausgerechnet im Geradeauskraulen ohne Gegnereinwirkung alles im Reinen ist. Allerdings ist es auch Unsinn zu glauben, dass im Schwimmen erst seit einem Jahr gedopt wird.

Bedeuten die Zeitsprünge nun, dass die Schwimmer neue, bessere Mittel gefunden haben? Zumindest nicht mehr als in anderen Sportarten, und da muss man wohl abwarten, was die Leichtathleten nächste Woche treiben.

Die Zeitenwende im Wasser haben auch andere Details bewirkt: 1. Im Gegensatz zur den Laufwettbewerben der Leichtathletik sind die Technikfacetten im Schwimmen sehr umfangreich, alle Elite-Schwimmer feilen an Armzügen, Beinschlägen, Startsprüngen, Tauchphasen, Wenden usw. 2. Die Professionalisierung des Sports ist erst in den vergangenen Jahren richtig vorangeschritten. Die Australier forcierten ihre Anstrengungen im Hinblick auf Olympia 2000 in Sydney, jetzt kamen die Chinesen dazu. Nun gibt es Schwimm-Helden auch in Korea und Japan. Sogar in Österreich. 3. Die Architektur der Schwimmbecken produziert das sogenannte "schnelle Wasser": Das Becken hat Überlauf, um die Wellen zu versenken. Es hat zehn Bahnen und ist sehr tief, damit die Wasserbewegungen Auslauf haben. Düsen am Boden pumpen frisches und sauerstoffreiches Wasser hinein. Es hat ideale 25 Grad Celsius. Das alles kann die Schwimmer schneller machen. 4. Die neuen Anzüge, die so eng sind, dass die Athleten 20 Minuten benötigen, um in sie reinzuschlüpfen, bewirken eine Grund-Muskelanspannung. Damit liegen die Körper nach Aussagen einiger Athleten höher im Wasser und haben mit weniger Widerstand zu kämpfen. 5. Letztlich könnten die neuen Anzüge der Grund dafür sein, dass nun auch Bodybuilder gerade durchs Wasser kommen. Noch vor kurzem hieß es, dass zu viel Muskelmasse langsam macht. Das kann in diesen Tagen von Peking wahrlich nicht mehr behauptet werden. Wenn Bernard und einige andere an einem vorbeigehen, wird es dunkel. Die Trainingsmethodik im Schwimmen hat sich zuletzt enorm in Richtung Kraft verschoben.

Und die Deutschen?

Wo da die Defizite der Deutschen liegen? Offensichtlich konnten oder wollten sie den Weg der Professionalisierung nicht mitgehen. Der Sportdirektor und Cheftrainer Örjan Madsen muss nun den Kopf für die vielen schlechten Leistungen hinhalten, ist aber nur in wenigen Fällen wirklich verantwortlich. Die meisten Spitzenathleten haben sich geweigert, nach seinen Vorgaben zu arbeiten. Immerhin das soll sich nach Peking ändern. Madsens Nachfolger (der Norweger tritt zurück) soll Weisungsbefugnis erhalten über alle Heimtrainer.

So viel zu all den Argumenten, die auf Leistungssteigerungen mit legalen Mitteln hinweisen. Alain Bernard übrigens, ein Asthmatiker, der sich mit kortisonhaltigen Mitteln behandeln darf, hat innerhalb eines Jahren acht Kilogramm Muskelmasse aufgebaut. Ob das allein mit neuen Trainingsmethoden zu erreichen ist? Einen Doping-Beweis gegen den Franzosen gibt es nicht. Doch Paul Biedermann mit acht Kilo mehr Muckis würde in Deutschland sicher Probleme haben, das Antlitz des sauberen, erfolgreichen Sports zu vertreten.

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