Olympia:Wie Sania Mirza eine Ikone für Millionen Inderinnen wurde

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"Glaubt ihr, dass sie in Wimbledon spielen wird?", wurden Mirzas Eltern einst gefragt. 2015 gewann sie an der Seite von Martina Hingis den Doppel-Titel. (Foto: AFP)

Kinder gebären, kochen und auf den Ehemann warten: Die indische Tennisspielerin Sania Mirza fährt als Medaillenkandidatin zu Olympia. Doch ihre Heimat hat eine ganz andere Rolle für sie vorgesehen.

Von Gerald Kleffmann

Am 5. August beginnen die Olympischen Sommerspiele in Rio. Nach dem Willen der Funktionäre soll es dann nur um den Sport gehen. Doch längst begleiten politische und gesellschaftliche Themen das Denken vieler Olympia-Kandidaten. Die SZ stellt in einer Serie einige Athleten und Athletinnen vor, die auch für ein Ziel jenseits des Kampfes um Gold, Silber und Bronze stehen: Manche für persönliche Ziele, manche für die brisanten Themen unserer Zeit.

Da stand Shah Rukh Khan, Schauspieler, Produzent, Bollywood-Mogul, reich geworden mit Filmen wie "Wer zuerst kommt, kriegt die Braut", er wusste, welche Botschaft er jetzt senden musste: "Sania hat mehr als jeder andere getan, um unser Land stolz zu machen." Der 50-Jährige sah wie ein Bräutigam aus, neben ihm posierte Sania Mirza, sie sah wie eine Braut aus, weißes Kleid, Ohrringe, Lächeln. "Wir haben ein Land, in dem wir, bis auf wenige Sportarten, international nicht viel Bedeutung erlangt haben", sagte Shah Rukh, "die Dinge entwickeln sich." So sehr, dass er ausrief, hoffentlich werde Mirzas Leben verfilmt. Er würde das Werk produzieren. Und wenn sie wollte, den Liebespartner darstellen. Ein riskanter Witz.

Die politischen Gegner, und von denen hat Mirza einige, lauern auf jede Chance. Am vorigen Mittwoch hat die 29-Jährige aus Mumbai ihre Biografie in ihrem Wohnort Hyderabad vorgestellt, Shah Rukh präsentierte das schillernde Ereignis. Titel des Werkes: "Ace against odds" - Asse gegen Widrigkeiten. Das trifft es gut.

Vermögend, kurze Röcke, verheiratet und keine Kinder

Im Leben Mirzas hat vieles nichts mit Sport zu tun, ist bedeutungsschwer aufgeladen. Regelmäßig, "und daran habe ich mich schon gewöhnt", sagt sie, wird sie zur Staatsaffäre. Mirza ist erfolgreich im Tennis, vermögend, sie trägt Röcke auf den Centre Courts dieser Welt, ist verheiratet, hat keine Kinder, will sich erst ihrer Karriere widmen. Eine moderne, offene, intelligente Frau, hübsch und oft gewitzt. Für Kräfte in ihrem Land ist vieles verkehrt.

Ace against odds. Mirza hat sich nicht beirren lassen, dass ihr die Rolle einer wahren indischen Frau oft abgesprochen wurde. Dass ihr Heimatverrat unterstellt wurde, immer noch wird. So wurde Mirza zu einer Ikone, die Millionen Frauen in Indien und weltweit inspiriert. Eine Leitfigur für den Aufbruch in eine bessere Gesellschaft. Manchmal sagt sie, sie sei "stolz" darauf. Dabei sieht sie sich selbst in erster Linie anders: Sie schlägt doch nur Bälle übers Netz.

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Ihre Geschichte ähnelt der von Tiger Woods. Der Ausnahmegolfer drang als Farbiger in einen von Weißen dominierten Sport ein, wollte sich aber nie als Klassenkämpfer ethnischer Gruppen einspannen lassen. Mirza drang in eine von Männern und Cricket dominierte Welt ein, in eine, in der Frauen oft als minderwertig gelten. Sie nahm, anders als Woods, ihre unfreiwillig aufgebürdete Rolle an. Wenn sie vor einem TV-Millionenpublikum gefragt wird, ob sie sich nicht zurückziehen wolle aufgrund der Anfeindungen, sagt sie, die jüngst im Time-Magazin zu einer der 100 mächtigsten Personen der Welt gekürt wurde, pointiert: "Das ist eine dumme Frage."

Überhaupt diese Fragen. Mirza sagt, sie sei eine normale Frau: "Außer, dass ich so viele Fragen erhalte." Jede Antwort, und sei sie richtig, könnte ja ein Fehler sein. Den nächsten Sturm entfachen. Kräfte in der Bharatiya Janata Party, einer hindu-nationalistischen Partei, warten nur darauf, aus dem Hinterhalt zu schießen, die sozialen Medien zu vergiften. Dort spielt sich vieles ab, dort ist dieses riesige Land Indien so klein. Einmal wurde Mirza gefragt, wann sie zuletzt keinen Druck als öffentliche Person gespürt habe. Sie erinnerte sich nicht.

Ihre sportliche Geschichte ist einfach zu erzählen, der Bogen von der Sechsjährigen, die gleich mit einer harten Vorhand auffiel, bis zur Olympionikin, die bei den Sommerspielen in Rio im Doppel mit der jungen Prarthana Thombare antritt und im Mixed mit dem erfahrenen Rohan Bopanna Medaillenchancen hat; bei ihren zwei Teilnahmen zuvor blieb sie erfolglos. Ihr Talent brachte Mirza rasch nach oben, bis auf Rang 27 schaffte sie es in der Einzelweltrangliste.

Nach Operationen am Handgelenk stand sie 2010 vor dem Karriereende. Sie spezialisierte sich aufs Doppel und Mixed. 2009 gewann sie, als erste Inderin, mit Mahesh Bhupathi einen Grand-Slam-Titel, im Mixed bei den Australian Open, zwei weitere Male triumphierte sie in dieser Kategorie bei einem der vier größten Tennisturniere. Aber bedeutsamer waren ihre Erfolge im Doppel, das relevanter ist als der Mixed-Wettbewerb. Als sie sich im Frühjahr 2015 mit der früheren Nummer eins Martina Hingis aus der Schweiz zusammentat, war das eine Fügung. Die Chemie stimmte.

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Im April 2015 stieg Mirza zur Nummer eins im Doppel auf, sie ist es noch, mit Hingis. Im Sommer, in Wimbledon, holten sie den ersten Grand-Slam-Titel, zwei weitere folgten. Aber der erste Titel hatte die größte Symbolkraft. Schon früher hatte Mirza dem indischen Sender NDTV erzählt: "Die Leute kamen zu meinen Eltern, verspotteten sie und sagten: ,Sie ist ein Mädchen aus Hyderabad. Glaubt ihr, dass sie in Wimbledon spielen wird?'" Ace against odds.

Der Vater Imran, Sportjournalist, und die Mutter Nasima, im Druckereigeschäft tätig, förderten früh die Tochter; sie haben noch eine, Anam heißt die jüngere. Sania war gut im Schwimmen, doch sie liebte Tennis, damit begannen die Widrigkeiten. Respektiert wäre gewesen, die Mirzas hätten einen Jungen gehabt, der Cricket spielt; Imran war gut in diesem Nationalsport. Frauen sollen in Indien nur eine bestimmte Rolle erfüllen, die Mirza im Januar bei den Australian Open der indischen Internetseite sportskeeda.com so schilderte. "Ich gewinne Wimbledon, und zwei Tage später werde ich gefragt, wann ich ein Kind bekomme. Von Frauen wird erwartet, dass du für die Familie da bist, gebärst, kochst und auf den Ehemann wartest."

Mirza lebt in zwei Welten. Im Tennis, auf der Tour, wehrt sie sich mit dem Schläger. Im privaten Leben, in Indien, wehrt sie sich mit Worten und Haltung. Mit den ersten Profierfolgen verurteilten muslimische Gruppen ihre Tenniskleidung, die zu viel Haut zeige. 2008 beim Hopman Cup soll sie barfuß auf die indische Flagge gestiegen sein, Nationalisten schimpften, sie habe das Symbol entweiht. Es gab eine Ermittlung, ohne Ergebnis. In London, bei Olympia 2012, hielt sie kein Fähnchen. Wieder fielen sie über sie her. Wenn sie heute in Indien ausgeht, wird sie von Sicherheitsleuten bewacht. Sie hat mehrmals die Handynummer gewechselt.

Am heftigsten war es, als sie heiratete. Mirza hatte sich 2009 mit dem Geschäftsmann Sohrab Mirza verlobt, löste das Versprechen jedoch und ehelichte in einer pompösen Hochzeit dann den Cricketspieler Shoaib Malik. Für Brisanz sorgte zusätzlich, dass Malik von einer Frau beschuldigt wurde, mit ihr verheiratet und noch nicht geschieden gewesen zu sein. Er bestritt erst alles, um sich dann doch scheiden zu lassen. Für die Nationalisten wog schwerer, dass Malik Pakistani ist. Eine selbstbestimmende Frau, die Tennis erfolgreicher als der legendäre Vijay Amritraj spielt und mit einem Landesfeind verheiratet ist - diese Konstellation macht sie zur Zielscheibe. Dass sie als global reisende Spielerin in anderen Ländern Steuern zahlt, wird ihr auch vorgeworfen.

Mirza lernte sich zu wehren

Mirza lernte zwangsläufig, sich zu wehren. Ein Boykott indischer Turniere, wie sie mal beschloss, war keine deeskalierende Lösung, das sah sie ein. Auch erkannte sie, dass diplomatisches Geschick für ihre Arbeit als Profi oft besser ist als Wahrheiten auszusprechen. Einmal redete sie über Safer Sex, sie tut das nicht mehr. Einmal wollte sie mit Shahar Peer ein Doppel spielen, stornierte es aber. Weil Peer Israelin ist, wurde ihre Absage politisch gedeutet. Mirza stritt Ressentiments gegenüber Peer ab, bezeichnete sie als Freundin. Heute ist sie vorsichtiger denn je. Sie spricht nicht über Religion, bejaht nicht mal im Spaß, dass der Straßenverkehr Indiens gefährlich sei. Man könnte sie geißeln.

Für Shah Rukh Khan steht Mirza auf einer Stufe mit indischen Ausnahmeerscheinungen wie der Sprinterin P.T. Usha oder der Boxweltmeisterin Mary Kim. "Wir kämpfen jeden Tag einen kulturellen Kampf", sagte Mirza, die als erste Südasiatin zur Goodwill Botschafterin der UN ernannt wurde, im Frühjahr. Ace against odds. "Ich kämpfe ihn immer noch."

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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