Olympia:Sabine Spitz gewinnt die Pflaster-Medaille

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Eine Medaille war für Sabine Spitz wegen einer Knieinfektion unerreichbar, dabei sein wollte sie trotzdem. (Foto: dpa)

Die Mountainbikerin tritt gegen den Rat der Ärzte mit einer Knieinfektion an. Das hat wohl auch mit den Sponsoren zu tun.

Von Volker Kreisl, Rio de Janeiro

Bei ihrer letzten Fahrt ging es nicht mehr ums Ziel. Im letzten ihrer großen internationalen Einsätze ging es nicht mehr ums Aufholen, Überholen und Davonfahren, ums Schalten und Treten. Es ging vielmehr ums Horchen.

Die Mountainbikerin Sabine Spitz ist nun 44 Jahre alt, sie zählt zu den wenigen Amateursportlern, die sich unabhängig gemacht haben vom traditionellen Verbands-Förderungssystem. Schon lange lebt sie von ihren Sponsoren aus dem Breisgauer Mountainbike-Milieu in ihrer Heimat. Und sie hat ihre Verdienste, somit konnte sie sich eine Sonderrolle auch in Rio de Janeiro leisten: ein Einsatz im olympischen Rennen ohne jede Chance auf eine gute Platzierung. "Ich bin mit Genuss gefahren", sagte sie. Worauf sie horchen musste, waren allein die Schmerzsignale aus ihrem sturzgeschädigten linken Knie. Wären die zu stark geworden, hätte sie sofort absteigen müssen. Ihr letztes Rennen bedeutete also Schmerz für Spaß.

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Die härtesten Kerle der Spiele? Ganz klar: Serbiens Wasserballer, die sich Gold erkämpfen. Die eleganteste von allen? Eine Russin. Und dann erst dieser Chinese im Turmspringen! Die Bilder der Nacht.

Vor Rio war Spitz schon bei den Olympischen Spielen in Sydney, Athen, Peking und London, immer war sie über Kurse aus felsigen Bergab-Schneisen, Schotterpisten, giftigen Anstiegen, durch Hoppelpassagen oder sandiges, tiefes Terrain gerast. Sie hatte in Athen eine Bronze-Medaille gewonnen, in Peking eine aus Gold und in London, mit 40, noch eine aus Silber. Und woraus bestand nun die Medaille in Rio? Es war jedenfalls mehr als Luft.

Rang 19 war es zwar nur, aber Spitz war glücklich. Man kann sich kaum eine zufriedenere Athletin vorstellen als eine, die ihre Karriere nach 22 Jahren soeben gut zu Ende gebracht hat. Spitz stand mit gepflastertem Knie vor den Medienleuten und redete wie immer, wie in Sydney, Athen, Peking und London, im höchsten Gang, diesmal über ihre Situation als Hochleistungssportlerin im sehr reifen Alter und über den letzten Akt der Selbstüberwindung.

Spitz war noch einmal eine starke Saison gefahren. Sie stand in der Weltrangliste auf Platz drei, hatte sich früh für Rio qualifiziert, aber am 12. August hatte sich eine Verletzung aus einem Trainingssturz plötzlich drastisch verschlechtert. Der Schleimbeutel entzündete sich, acht Tage lang blieb sie ohne nennenswertes Training, es ging nur noch darum, das Dabeisein zu sichern. Spitz unterzog sich einem minimal-invasiven Eingriff. Mit einem nur vier statt zehn Zentimeter langen Schnitt wurde etwas kaputtes Gewebe entfernt, ansonsten ruhte sie, hielt die Muskeln mit Elektrostimulation halbwegs in Form, und als ihr die Ärzte schließlich rieten, es bleiben zu lassen, trat sie trotzdem an.

Das hat wohl auch mit ihren Sponsoren zu tun. Spitz lebt schließlich vom Radeln, und fünf Olympia-Teilnahmen machen in der Vita deutlich mehr her als vier. Der Ehrgeiz erwächst aber auch daraus, dass Spitz eben ihre eigene Herrin ist und auch das Urteil von Ärzten, die vor plötzlicher Ausbreitung einer Entzündung warnen, selber noch einmal überprüft. "Ich verstehe, dass Ärzte sich gegen Schadenersatz absichern müssen", sagte sie, "aber ich habe mich entschlossen, es zu probieren."

Vier Wochen hatte sie insgesamt in der zurückliegenden Saison zu Hause verbracht, und jetzt reicht es. Vielleicht bestreitet sie da und dort noch ein Regionalrennen, ansonsten, sagt sie, wohne sie ja nicht mehr als junge Sportlerin im "Hotel Mama" und freue sich darauf, mal nicht in die Welt hinauszuziehen, sondern umgekehrt. Spitz wohnte lange in der Welt und freut sich nun darauf, zu Hause Familie und Freunde wiederzusehen.

An ihrem Knie hielt bei ihrem letzten Rennen in Rio ein Netzstrumpf ein dickes Pflaster. Ein Pflaster aus Zellstoff - vielleicht ist das ja das passende Material ihrer letzten Medaille.

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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