Olympia:Falsche Richtung

Lesezeit: 3 min

"Ich konnte nichts anfangen mit meiner Bewegung": David Storl verpasst in Rio eine Medaille. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Kugelstoßer David Storl und die Speerwerferinnen sind weit entfernt von Medaillen. Für die deutsche Leichtathletik verheißt das nichts Gutes - das meiste ging schon vor dem Wettkampf schief.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

David Storl setzte die Kugel zum ersten Mal ins Feld, und die Laune war schlecht. Er kippte aus dem Ring, ungültig, die Kugel war ohnehin bei 20 Metern heruntergeplumpst. Geschenkt. Storls Saison war bis hierher nach dem Motto "Hop oder Top" gelaufen, sagte er später. Man spürte recht bald, in welche Richtung sein Wettkampf an diesem Donnerstagabend driften würde.

Wenn die Werfer und Stoßer, das zuverlässigste Ressort des deutschen Verbands, ihre Medaillenchancen vergeben, dann können diese Olympischen Spiele in Rio de Janeiro in keine gute Richtung steuern für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Die ambitionierten Speerwerferinnen reihten sich am Donnerstag auf den Rängen acht (Christina Obergföll/62,92 Meter), zehn (Linda Stahl/59,71) und zwölf (Christin Hussong/57,70) ein. Für Obergföll, Weltmeisterin von 2013, und Stahl, Europameisterin 2010, waren es die letzten Sommerspiele in ihrer jeweils letzten Saison.

Stahl machte dafür später auch die Turbulenzen im Vorfeld verantwortlich, als sich die deutschen Werferinnen bis kurz vor den Spielen bis in den Gerichtssaal hinein um die drei Startplätze gestritten hatten. Katharina Molitor, vor einem Jahr noch Weltmeisterin in Peking, verfolgte den Wettkampf in der Nacht zum Freitag vor dem Fernseher. "Das hat definitiv Körner gekostet", sagte Stahl, man habe sich wohl doch aufgerieben im internen Wettstreit.

"Machst du es mit der Brechstange, oder machst du es mit der Technik?"

Zehnkämpfer Kai Kazmirek streute mit seinem vierten Platz ein hervorragendes Ergebnis ein, zumal er sich beim Saisongipfel eine neue Bestleistung erarbeitet hatte, mit 8580 Punkten. Aber die Kugelstoßer, vor einem Jahr in Peking noch verantwortlich für einen WM-Titel durch Christina Schwanitz und Silber durch Storl, reihten sich in Rio nach diversen Wehwehchen nun auf den Rängen sechs (Schwanitz) und sieben (Storl/20,64 Meter) ein. Die Wolken der Wut hatten sich über Storl bis zum Schluss nicht verzogen. Er habe sich ein wenig "hilflos" gefühlt und gefragt: "Machst du es mit der Brechstange, oder machst du es mit der Technik?", erinnerte sich Storl. "Wenn du in so einer Situation bist, siegt meist die Brechstange."

Die Amerikaner hatten das Kugelstoß-Finale von Rio eröffnet, mit zwei Weiten, an denen sich der Rest erst einmal den Kopf blau und grün stieß. Joe Kovacs bot gleich 21,78 Meter an. Kovacs hat das Kugelstoßen in seiner Kindheit auf einem Parkplatz erlernt, der örtliche Sportklub konnte sich keine Laufbahn leisten, mit dieser Geschichte hatte es Kovacs in den USA zuletzt zu bescheidener Berühmtheit gebracht. Ryan Crouser, 23, überbot ihn umgehend, mit 22,22 Metern im zweiten Versuch. Für den Rest des Feldes war jetzt eigentlich nur noch die Bronzemedaille ausgeschrieben. Storl lenkte seinen Fokus schnell auf den Bronzerang, aber seine 20,64 Meter aus dem dritten Versuch reichten nicht, erst einmal. Sie hoben ihn gerade noch ins Finale.

Storl war während seiner Karriere kontinuierlich in die Weltspitze geklettert, fast ohne Umwege. Er wurde 2011 in Daegu erstmals Weltmeister, er knüpfte daran einen weiteren WM-Sieg (2013) und drei Goldmedaillen bei Europameisterschaften, die dritte vor einem Monat in Amsterdam (21,39 Meter). Er stellt sich selbst die höchsten Aufgaben, den EM-Titel vor zwei Jahren in Zürich wertete er als Enttäuschung, weil ihm die Weite nicht gefiel (21,41 Meter). Im vergangenen Juli übertraf er zum ersten Mal die 22 Meter, er war jetzt ein Mitglied eines exklusiven Zirkels, Sportlern sind diese Marken oft genauso wichtig wie Medaillen.

Aber Storl litt schon damals unter seiner Patellasehne, die sich auch nach einer Operation vor zwei Jahren immer wieder entzündete, und im vergangenen Winter rissen ihn die Schmerzen schließlich in ein Tief, aus dem er bis heute nicht recht herausgekrabbelt ist.

Olympia
:Captain America und seine Superhelden-Freunde

Ashton Eaton gewinnt zum zweiten Mal den olympischen Zehnkampf - und wird zu einer Sportlegende. Wie jeder große Gewinner profitiert er von einem harten Gegenspieler.

Von Jürgen Schmieder

Storl gab dem Körper im Winter Zeit, die Entzündung abzuschütteln. Er arbeitete mit einem Neuro-Athletiktrainer zusammen, der sein Krafttraining umbaute und somit die Schmerzen aus dem Körper trieb. Dafür begann seine aktuelle Saison erst im März. Ihm fehlten rund 1500 Trainingsstöße, rechnete sein Trainer Sven Lang im Mai vor, und "Kugelstoßen lernt man nun mal durch Kugelstoßen", sagte er.

Storl lebt weniger von seiner Kraft als vielmehr von seiner Schnelligkeit. Seine Kraft kommt aus den Füßen, von dort fließt sie in den Oberkörper und in den Stoß. Aber ohne saubere Technik, die diesen Fluss herstellt, ist diese Verbindung gekappt, sein Kraftwerk stillgelegt. "Ich konnte nichts anfangen mit meiner Bewegung", sagte Storl in Rio, "da hätte ich aus dem Stand stoßen können." Dann fügte er an: "Es ist einfach mal so ein kleiner Tiefpunkt."

Die letzten Durchgänge von Rio brachten keine Besserung, es blieb bei 20,64 Metern, Platz sieben. Crouser berauschte sich derweil an seinem eigenen Wettkampf, im letzten Versuch stieß er 22,52 Meter, ein neuer olympischer Rekord. "Das hat lange keiner mehr gestoßen", sagte Storl. Ob das erklärbar sei, wurde er gefragt; Crouser hatte im Vorjahr noch eine Bestleistung von 21,11 Metern mit sich geführt (für die er später sein gesteigertes Trainingspensum verantwortlich machte). "Ich kann's mir nicht erklären", sagte Storl. Dann schmunzelte er und schwieg.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: