Olympia:Die Athleten fühlen sich verraten

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Die deutschen Athleten 2014 in Sotschi. Vier Jahre später ist die Lage noch einmal komplizierter. (Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

Faire Wettbewerbe bei Olympia? Sind nicht mehr möglich, glauben viele Sportler. Das trifft die Spiele bis ins Mark - denn die Athleten sind ihr wahres Kapital.

Kommentar von Barbara Klimke, Pyeongchang

An diesem Freitag beginnen die Winterspiele in Pyeongchang; wann sie wirklich enden werden, ist ungewiss. Es könnte 2022 werden, möglich ist auch, dass sich das südkoreanische Festival in Eis und Schnee bis 2030 hinzieht. Mit dem Erlöschen der olympischen Flamme in zwei Wochen wird jedenfalls kaum der Schlussstrich gesetzt. Dagegen spricht die Erfahrung aus jüngster Zeit. Denn Olympia ist erst vorbei, wenn die Umverteilung der Medaillen abgeschlossen ist. Für die Betroffenen ist das ein zäher Prozess.

Vergangene Woche wurde etwa die Hochspringerin Ariane Friedrich nachträglich zur WM-Zweiten in der Leichtathletik gekürt, weil eine ursprünglich vor ihr platzierte russische Athletin bei Doping-Nachtests zu den Olympischen Spielen 2008 aufgefallen war; die Weltmeisterschaft, bei der die Gedopte hätte disqualifiziert sein müssen, liegt neun Jahre zurück. Ein nigerianischer Staffelläufer war bereits verstorben, als ihm 2012, mit zwölf Jahren Verspätung, das Olympiagold von 2000 zugesprochen wurde.

Olympia sei zu groß zum Scheitern, hieß es oft

In Pyeongchang hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) jetzt die Akten der russischen Doping-Tricksereien von Sotschi 2014 auf dem Tisch. Kein Wintersportler, der in Südkorea Pirouetten dreht oder von Schanzen springt, hat heute die Gewissheit, dass seine Platzierung Bestand haben wird. Keiner kann sich sicher sein, dass er nicht von anderen Wettkämpfern betrogen wird. Das erklärt, warum sich zuletzt auch vermehrt Athleten - lange die glaubhaftesten Verteidiger der olympischen Idee - offen kritisch geäußert haben. Zunehmend desillusioniert, sind sie innerlich abgerückt von einem globalen Wettbewerb, der ihre Interessen nicht mehr wahrt. Beklagt wird die Entzauberung Olympias.

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Der Vorwurf ist nicht neu. Seit die Sportspiele zur Unterhaltungsshow wurden, wird Anstoß an Gigantismus, Vermarktung und Geschäft genommen, an jenen Charakteristika also, die sie erst so medienwirksam machten. Olympia sei zu groß zum Scheitern, hieß es oft. Tatsächlich hat der Privatklub IOC noch jeden Skandal mit der Robustheit eines Weltkonzerns abgewehrt. Die Kritik aus Sportlerkreisen trifft ihn nun jedoch bis ins Mark. Denn die Athleten sind sein wahres Kapital. Sie sind die Darsteller in den Arenen, in denen Milliardenumsätze aus Werbung und Übertragungsrechten eingespielt werden. Sie stellen ihre Kraft, Kreativität, Kompetenz und Knochen zur Verfügung, ohne angemessenes Honorar. Sogar ihr Recht am eigenen Bild haben sie weitgehend abgetreten. Das Mindeste, was sie dafür verlangten, war ein fairer Wettbewerb.

Stattdessen sehen sie sich dreimal verraten. Erstens, weil das Ringe-Gremium den Aktiven weiter einen großzügigen Anteil aus den Erlösen vorenthält, auch wenn Selbstvermarktung nun in bescheidenem Rahmen gestattet ist. Zweitens, weil das IOC beim russischen Staatsdoping die Schuldigen in der Regierung schonte. Es verlegte sich auf die Taktik, Einzeltäter zu suchen, als habe es die systematische Manipulation, das Austauschen von Dopingtests im Labor, den großen Flaschenschummel, nie gegeben. So wurde, drittens, manch sauberer Athlet um seine Lebensleistung gebracht, weil er, ohne es zu wissen, gegen die Pharma-Konkurrenz antrat.

Besonders in wenig kommerziellen Sportarten macht es einen enormen Unterschied, ob im Ziel hinter dem Namen eine Platzziffer "4" oder "2" aufblinkt, weil derlei Details in leistungsorientieren Gesellschaften über Ansehen und Kontostand entscheiden. Noch schlimmer ist für Athleten oft der emotionale Betrug: die Befürchtung, dass ihnen der Moment des Sieges geraubt wurde. Nicht Medaillen und Hymne sind für viele der Ansporn beim täglichen Training. Sie streben vielmehr nach dem Augenblick des Glücks, der sich beim Queren der Ziellinie, beim Blick auf Zeiten oder Punkte einstellt, wenn die Gewissheit reift, dass jahrelange Mühen belohnt worden sind. Wird dieser Moment gestohlen, bringt nichts ihn zurück. Auch keine verspätete Medaillenvergabe nach Überführung des dopenden Rivalen.

Der Moment des Sieges, der den einen über alle anderen erhebt, war schon den Griechen heilig. Ihn zu schützen ist die einzige Aufgabe der Wettkampfveranstalter, die sich im Titel mit dem antiken Vorbild schmücken. Bringt dieser Wettkampf keine rechtmäßigen Sieger mehr hervor, könnte das IOC das Vertrauen der Athleten ganz verlieren. Dann wird man sehen, was von Olympia übrig bleibt: Kommerz. Panoptikum. Spektakel.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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