Neuseeland bei Rugby-WM:All Blacks vertreiben die Geister von Cardiff

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Neuseelands Ma'a Nonu setzt sich gegen Frankreichs Verteidigung durch. (Foto: Getty Images)
  • Im Viertelfinale der Rugby-WM deklassiert Neuseeland Angstgegner Frankreich 62:13 - und revanchiert sich für die Niederlage beim Turnier 2007.
  • Die Presse überschlägt sich: Es ist von "Rugby aus einer anderen Welt" die Rede.
  • Die All Blacks gelten nun als Turnier-Favorit - sie können als erstes Team die Titelverteidigung schaffen.

Von René Hofmann, Cardiff

"Die Geister von Cardiff": Für die Rugby-Spieler und Rugby-Fans aus Neuseeland war das eine bedrohliche Formel. Vor acht Jahren hatte in der Hauptstadt von Wales ein denkwürdiges WM-Viertelfinale stattgefunden. Zum zweiten Mal bei einer WM waren die neuseeländischen All Blacks damals auf der großen Bühne Frankreich unterlegen. 18:20 - dass es so knapp ausgegangen war, machte die Niederlage nur noch bitterer.

An diesem Samstag trafen die beiden Nationen wieder bei der WM aufeinander. Wieder in Cardiff. Wieder im Viertelfinale. Natürlich war da viel von 2007 die Rede - vorher, vor allem aber nachher. Denn so erbarmungslos sind selten Geister vertrieben worden. Neuseeland glückte der höchste Sieg, den es je in einem WM-Viertelfinale gab. Dabei erzielte Neuseeland nicht nur die höchste Punktzahl, die je ein Rugby-Team in einem WM-Match in der K.-o.-Phase erreicht hat. Es erzielte auch mehr Punkte, als zuvor je ein Land gegen eine französische Rugby-Auswahl erreicht hatte. Neuseeland gewann 62:13.

Bereits zur Halbzeit hatte es 29:13 gestanden und die Partie war quasi entschieden gewesen. Nach zehn vergleichsweise starken Minuten brachen die Franzosen dann völlig ein - und es gab kein Halten mehr. Neuseeland legte neun Versuche. Auf drei kam alleine Top-Scorer Julian Savae. Vor dem 25-Jährigen war eine solche Ausbeute in der K.-o.-Phase einer WM nur zwei Spielern geglückt. Kein Wunder, dass Savae zum "Man of the Match" gewählt wurde.

Frankreich gibt Klassenunterschied zu

"Wir müssen an uns glauben. Ich habe schon ein Dutzend Mal gegen die All Blacks gespielt. Niemals waren wir die Favoriten, dennoch konnten wir sie hin und wieder schlagen", hatte Frankreichs Kapitän Thierry Dusautoir vor der Partie gesagt. Nach der Niederlage konstatierte der 33-Jährige: "Das war ein Unterschied von zwei oder drei Klassen. Wir haben uns fast die ganze Zeit hilflos gefühlt."

Ähnlich krass fiel der Vorher-Nachher-Vergleich bei Trainer Philippe Saint-André aus. Aus "Natürlich ist Neuseeland Favorit, aber in einem Rugby-Spiel weiß keiner, was passiert", wurde: "Man muss Würde in der Niederlage zeigen." Die Neuseeländer nannte Saint-André "die Brasilianer des Rugby: Sie sind schnell und sie gewinnen 80 Prozent ihrer Duelle". Gegen seine eigenen Spieler wollte der Trainer der Unterlegenen keine Vorwürfe erheben: "Ich kann nicht sagen, dass wir nicht alles gegeben hätten", so Saint-André, "wir haben auch gute Rugby-Spieler. Aber die Neuseeländer haben eine wirklich außergewöhnliche Geschwindigkeit und Technik."

Das Lauf- und Pass-Spiel der von Steve Hansen betreuten Auswahl ist tatsächlich sehenswert. Kommen die Neuseeländer ins Laufen, dann überrennen sie die Gegner regelrecht. In der Vorrunde war das Namibia (58:14), Georgien (43:10) und Tonga (47:9) so ergangen. Dass sie sich zum Einstieg in die entscheidende WM-Phase nun aber noch einmal steigerten, überraschte die Fach-Kommentatoren.

"Reine schwarze Magie" sah der Experte des Guardian: "Das war Angriffs-Rugby par excellence, vorgetragen von einer Mannschaft, die lieber mit dem Stilett zusticht, als mit dem Eisenrohr zuzuschlagen." Die Daily Mail hatte "Rugby aus einer anderen Welt" gesehen: "Rugby - schneller, entschlossener und wilder, als irgendwer zügeln kann." Der Gesandte von ESPN.com unter den 71 619 Zuschauern hatte den Eindruck, nicht nur Zeuge einer "Zerstörung" geworden zu sein: "Das war die reinste Vernichtung."

Selbst aus Australien, wo sich die Begeisterung für die Nachbarn von den kleinen Inseln meist in engen Grenzen hält, kam Bewunderung: "Die Neuseeländer haben gezeigt, dass sie die Könige des Turniers sind", schrieb der Sydney Morning Herald, "und es kann einen das Gefühl beschleichen, dass sie immer noch etwas zulegen können."

Im Halbfinale gegen Südafrika

Gegner im Halbfinale ist Südafrika. Die Auswahl von der Südspitze Afrikas demonstrierte beim 23:19 in ihrem Viertelfinale gegen Wales, dass sich im Rugby auch anders zu Erfolg kommen lässt als mit atemberaubender Technik und Geschwindigkeit. Die Partie war derart von Straftritten geprägt, dass der New Zealand Herald aus Auckland findet, dass es im Kräftemessen am kommenden Samstag in London schon aus ästhetischen Gründen nur einen Sieger geben darf: Die Zeitung sieht ein Halbfinale "zwischen Gut und Böse, zwischen Rugby und Nicht-Rugby" bevorstehen und findet, das neuseeländische Team sei eines von ganz wenigen, die es hinbekommen, den so schwierigen Sport auch sehenswert vorzutragen.

Die Rugby-WM wird seit 1987 ausgetragen. Neuseeland hat den Titel bisher zweimal gewonnen - bei der Premiere und vor vier Jahren bei der Heim-WM durch ein knappes 8:7 im Finale gegen Frankreich. Das Team ist nun seit zwölf WM-Spielen unbesiegt. Den WM-Titel zu verteidigen, hat allerdings noch niemand geschafft.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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