Nationalspieler Toni Kroos:Attraktion mit Alonso-Diplom

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Toni Kroos: Kommt gut an in Spanien (Foto: Bongarts/Getty Images)

In Spanien wird Toni Kroos noch mehr geschätzt als in Deutschland. Vor dem Test-Länderspiel in Vigo gilt er als Sensation, die vom FC Bayern hergeschenkt wurde. Bundestrainer Löw braucht ihn als Brückenbauer.

Von Jonas Beckenkamp, Vigo

Wenn einer Weltmeister ist, wird er entsprechend feierlich empfangen. Das gehört sich so, denn Weltmeister treffen sie in der Stadt Vigo am Nordwestzipfel Spaniens nicht jeden Tag. Vigo ist eher kein Ort für die schillernde Bühne. Eine enge Bucht, ein Hafen mit vielen Containerschiffen, morbider Charme - die Träume reichen hier nur bis zur nächsten Taverne, wo kleine Tintenfische als Spezialität gelten. Aber dann gingen doch die Lichter der wenigen Kameras an. Im Hotel "Ciudad de Vigo" hatte der DFB Toni Kroos als Gesprächspartner angekündigt und den kennen sie mittlerweile bestens in Spanien.

"Schön, dass wir wieder gegen Spanien spielen", sagt der 24-Jährige, "es geht ums Prestige. Und ich hatte eine kurze Anreise, das ist angenehm." Kroos unternahm nach der EM-Qualifikation gegen Gibraltar noch einen Zwischenstopp in Madrid bei seiner Familie.

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Seit dem vergangenen Sommer ist er ein Königlicher, ein weltmeisterlicher noch dazu. Sowas macht Eindruck. Wer bei Real Madrid fast immer in der ersten Elf steht und zudem mit einer gesunden Prise Nonchalance gesegnet ist wie Kroos, gilt hier als "Attraktion".

So beschreibt den 24-Jährigen das Madrider Sportmagazin AS. "Kroos hat sich zu einer der großen Sensationen der spanischen Liga entwickelt", heißt es da. Und: "Er ist der Anführer der Deutschen beim Testspiel gegen Spanien." Wenn der Weltmeister an diesem Abend im Stadion Balaidos den vorherigen Weltmeister herausfordert, fürchten die Zuschauer vor allem einen: Toni Kroos.

Seine Präzision im Passspiel, seine exquisiten Eckbälle, sein ausgereiftes Fußballerhirn sind Qualitäten, deren Wert die Menschen in Spanien noch mehr anerkennen als in Deutschland. Neulich sagte sein Trainer Carlo Ancelotti einen bemerkenswerten Satz: "Kroos ist wie ein zusätzlicher Fußballlehrer. Er hat die Universität von Xabi Alonso schnell abgeschlossen." Kroos und Alonso, immer wieder fällt dieser Vergleich. Auch wenn sich Alonso mit dem Wechsel nach München und Kroos mit seiner Ankunft bei Real Madrid nicht auf Vereinsebene begegnet sind - die Alonso-Spielweise, die in Spanien gelehrt wird, hat Kroos erstaunlich schnell adaptiert. In Madrid gilt es bei aller Wertschätzung für den Basken als ausgemachte Sachte, dass der FC Bayern einen galaktisch guten Fußballer wie Kroos quasi herschenkte.

Seit seiner Ankunft sorgt der blonde Deutsche neben dem blonden Kroaten Luka Modric als Balancependel für Ordnung im Kollektiv der königlichen Einzelkünstler. Vorne dürfen sich die Benzemas, Ronaldos und Bales austoben, in der Mitte hält der gebürtige Greifswalder den Laden zusammen. Er sei jetzt ein echter Sechser, sagte Kroos neulich im Interview mit der SZ.

Und weil Modric sich im Länderspiel gegen Italien am Oberschenkel weh tat, könnte bei Real in den kommenden Wochen das Duo Kroos/Khedira die Herrschaft übernehmen. "Luka wird schwer zu ersetzen sein, er hat fast alle Spiele gemacht," erklärt Kroos - er kann sich diese netten Worte derzeit leisten, denn sein Platz ist sicher.

Das gilt auch für seine Rolle im Nationalteam, wo er in diesen Tagen einer der wenigen gesunden Weltmeister von Rio ist. Die Seuche hat sie alle heimgesucht: Die Kramers, Özils, Boatengs, Hummels, Schürrles. Kroos kommentiert die angespannte Personallage beim DFB mit einem Schulterzucken: "Es ist ganz normal, dass es bei uns zuletzt nicht so flüssig lief. Uns fehlten viele wichtige Leute. Klar sind wir mit dem der EM-Qualifikation nicht zu Hundert Prozent zufrieden, aber ich mache mir keine Sorgen."

Dass es in der Nationalelf nach der WM noch hakt, ist augenscheinlich. Bundestrainer Joachim Löw muss das Kunststück fertig bringen, eine funktionierende Mannschaft ohne die zurückgetretenen Lahm, Mertesacker und Klose zu formen. Er will die Spielidee des Teams verfeinern, wünscht sich mehr "Organisation und Kompaktheit" - und dazu braucht er Kroos als Strategen und Brückenbauer zwischen der Weltmeister-Elf und der Gegenwart der Bellarabis. "Als Weltmeister muss man sich hinterfragen: Was kann man noch besser machen? Was tut der Mannschaft am besten? Das gilt es herauszufinden", präzisiert Kroos, "aber wir werden nicht alles auf den Kopf stellen."

Dann verlässt er die Bühne mit einem Grinsen und einem Klaps für Joachim Löw. Der Bundestrainer darf auch noch was sagen. In Vigo freuen sie sich über so viele Weltmeister auf einer Bühne.

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